Checking your privilege

Checking your privilege

Ich lebe ein privilegiertes Leben ‒ und bis vor kurzem musste ich mich damit noch nie auseinandersetzen. Als weiße, ​cis-geschlechtliche Frau, die aus einem mittelständischen, recht aufgeschlossenem Elternhaus kommt, Zugang zu Bildung hatte und sich zudem noch in einem kritisch denkenden, geisteswissenschaftlichen Umfeld bewegen konnte, war ich lange Zeit sogar der Auffassung, dass die Bewegung des Feminismus heutzutage vollkommen unnötig ist. Den letzteren Gedanken habe ich sehr schnell verworfen, nachdem ich den wohligen Kokon der Universität verlassen habe und mir im Alltag immer häufiger verstaubte Ansichten bezüglich einzelner Geschlechterrollen entgegen wehten. Aber die immer wieder hoch kochenden Diskussionen um die binäre Rollenverteilung von Männlein und Weiblein und die daraus folgende Wahrnehmung und Behandlung als ein Teil dieser Konstellation hat mich blind gegenüber eines anderen Aspektes des Schubladendenkens gemacht:

In den oben genannten Diskussionen wird man normalerweise als ein Teil des Weltbildes angenommen, der sich vielleicht entgegen der Normen des Gesprächspartners verhält, aber immerhin noch Bestandteil dessen ist, auch wenn man im Negativfall entgegen seiner eigenen Ansprüche und Vorstellungen behandelt wird. Was aber, wenn man aufgrund der Art, wie man sein Leben zu führt, seines Aussehens, seiner Sexualität (oder Abwesenheit davon) oder das Weltbild des anderen Menschen so in den Grundfesten berührt, dass dessen automatische Schutzreaktion Abwehr ist? Wenn die einfachste Reaktion, neue Informationen, Gegebenheiten, Umstände zu verdauen, darin besteht, sie zu negieren und verdrängen?

Es war daher tatsächlich ein erfrischendes Schockerlebnis für mich, als ich zum ersten Mal in meinem Leben direkte Ablehnung aufgrund eines Aspektes meines Lebens erfahren habe, der mit mir als Person oder meinen Verhaltensweisen nicht in direktem Zusammenhang stand. Der Vorfall an sich war objektiv gesehen weder schwerwiegend noch besonders bemerkenswert. Die Eltern meines damaligen Partners wussten von seinem polyamourösen Lebenswandel, und ihre Form damit umzugehen waren Vermutungen wie „wenn du irgendwann mal die Richtige findest, dann wirst du dich auch festlegen“. Eine von sich aus schon beleidigende Annahme, nicht nur seinen beiden Partnerinnen gegenüber, sondern auch für ihn. Immerhin scheinen sie stark davon auszugehen, dass er nicht weiß, was er im Leben möchte und einfach wahllos mit irgendwelchen Frauen Beziehungen führt. Normalerweise konnten sie diesen Aspekt seines Lebens aber gut ignorieren, da sie und ich uns auf Grund von verschiedenen Umständen nie über den Weg liefen. Bis zu dem Tag, als der Vater meines Partners zu einem Spontanbesuch zu ihm aufbrach und nicht wie erwartet auf ihn und seine schon bekannte und akzeptierte Freundin traf, sondern mich in seiner Wohnung vorfand. Die darauf folgende Szene war mehr als absurd. Nach dem ersten verdutzten Schock war sein erster Impuls Flucht. Mein Partner konnte ihn schließlich noch davon überzeugen, nach der langen Fahrt wenigstens noch kurz etwas zu trinken. Während der darauffolgenden Unterhaltung war er nicht in der Lage mich anzusehen und brach nach gefühlten zehn Minuten wieder auf. Die Tatsache, dass mich der Vater meines Partners nur deswegen so abweisend behandelt hat, weil ich einen Aspekt in dem Leben seines Sohnes repräsentiert habe, den er nicht akzeptieren konnte, hat in mir ein so starkes, teils sehr widersprüchliches Gefühlschaos hervorgerufen, dass ich mich erst einmal einige Zeit von meinem aufgebrachten Partner zurückziehen musste, um mir überhaupt darüber klar zu werden, was mich eigentlich an diesem Vorfall so verletzt und verstört hat. Ich wusste nur, dass ich nicht direkt wütend auf das Verhalten des Vaters war, und erst nach ein paar reflektiven Gesprächen mit vertrauten Personen wurde mir klar, dass es mich einfach unglaublich aufgebracht, verletzt und verstört hat, dass ich zwar nicht für Handlung oder Verhaltensweisen von meiner Seite, sondern einfach nur für das, was ich in dem Moment repräsentiert habe, als etwas Negatives angesehen wurde. Ohne dass es auch nur irgendeine Möglichkeit von meiner Seite gegeben hätte, die Meinung meines Gegenüber zu ändern.

Im Nachhinein ist mir dann bewusst geworden, wie selten ich mich in meinem Leben mit dieser Form von instinktiver Ablehnung auseinandersetzen musste und wie glücklich ich mich deswegen schätzen kann. Und deswegen bin ich auch sehr dankbar für das Internet und die vielen verschiedenen Blogs und Themen, die sich darin tummeln und die mir ermöglichen, mich mit Problematiken auseinandersetzen zu können, die ich nicht kenne und an die ich normalerweise nicht denken würde, wie zum Beispiel was für eine Herausforderung Umkleidekabinen darstellen können: /und inwiefern Polyamorie und Asexualität zusammen passen (ziemlich gut, wie sich herausstellt). Ich bin dankbar für jedes neue Schnipsel an Informationen, das mich immer wieder dazu zwingt, mich und meine Weltansichten zu hinterfragen, immerhin: Privilegien sind für jene, die sie genießen, oft unsichtbar!