Ernste Beziehungen

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photo credit: Laszlo Nagy HU via Flickr cc

Manchmal habe ich das Gefühl, in der Kennenlernphase mit einer neuen Frau missverstanden zu werden. Das Gefühl „verknallt“ zu sein stellt sich bei mir nur selten – wenn überhaupt – ein und so richtige Verliebtheits-Gefühle kann ich erst erfahren, wenn man sich bereits sehr gut kennt. Ich glaube, bei den meisten anderen Menschen ist es aber genau umgekehrt: Zuerst ist man Hals-über-Kopf verliebt und nach und nach verändert sich das Gefühl in etwas Familiäres. Ich durchdenke oft viele beziehungstechnische Sachen im Kopf und kann mich deswegen nicht einfach so fallen lassen. Zuerst brauche ich das familiäre Gefühl von Sicherheit und Nähe. Dann erst verliere und verliebe ich mich.

Natürlich lebe ich auch einige Beziehungen, die ich nur der Begegnung und des Kontaktes willen führe. Diese Beziehungen waren am Anfang für mich sehr wertvoll, da das Zusammensein so vertraulich wurde (vielleicht bin ich ja ein Oxytocin-Junkie?). Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem ich gerne mit diesen Frauen – vielleicht gerade wegen der Vertraulichkeit – eine gemeinsame Zukunft gestalten will. Ich bekomme den Wunsch, dass diese Frau auch in 5 Jahren noch in meiner Nähe ist und man zusammen eine Familie gründen kann. Wenn ich also anfangs von „familiärer“ Liebe gesprochen habe, dann meine ich dieses Bedürfnis, sich um jemanden anderen und um gemeinsame Kinder zu sorgen und sich dafür zu verpflichten – erst dann würde ich von einer „ernsten Beziehung“ reden. Aber obwohl ich verspreche, dass ich mich gleichberechtigt um die Kinder kümmern will und man sich auch die Versorgung gemeinsam teilt, fürchten viele Frauen in unserer Gesellschaft das Risiko, am Ende doch in einer Altersarmut zu enden oder von mir abhängig zu sein.

Eine sehr gute Freundin hat mich vor Kurzem gefragt, warum ich eigentlich unbedingt ein Kind, das genetisch von mir abstammt, haben möchte. Wahrscheinlich könnte ich ein adoptiertes Kind oder ein Kind, das ich innerhalb einer Gemeinschaft miterziehe, genauso lieben wie mein eigenes Kind. Aber die Erfahrung einer Schwangerschaft, einer Geburt und damit verbundene Gefühle kann ich auf diese Art und Weise nicht machen. Zumindest erklärt das, warum ich so vehement versuche, eine gut funktionierende Beziehung zu verändern, und Pläne für die Zukunft machen will. Wenn es um Zukunftsplanung geht, bin ich wohl noch immer zu sehr in alten Denkmustern gefangen.

In letzter Zeit versuche ich mich mehr und mehr von diesen Denkmustern zu befreien. Dieses Bild der Kernfamilie scheint mir einfach zu viel Druck auf mich und die Art von Frauen, mit denen ich Beziehungen eingehe, auszuüben. Ich schaue mir Öko-Dörfer an, in denen eine Kultur des Schenkens und ein Bewusstsein von sich selbst erhaltenden Wirtschaftskreisläufen (Stichwort Postwachstumsökonomie und Permakultur) angestrebt wird. In mancher solcher Kommunen ist es vielleicht gar nicht so wichtig, wer wann und mit wem Kinder bekommt, da für ihr Weltbild alles zum Kreislauf des Lebens dazugehört und sich das komplette Dorf ein wenig mitverantwortlich für die Erziehung jedes einzelnen Kindes fühlt. Wenn ich irgendwann in ein Öko-Dorf ziehe, weiß ich natürlich jetzt noch nicht, ob sich überhaupt eine Frau findet, für die es sich genauso richtig wie für mich anfühlt, zusammen ein Kind zu zeugen. Aber zumindest lastet durch das Leben in einer Gemeinschaft nicht mehr der Druck auf der Frau, dass die Familie zu einem Verlust ihrer Autonomie oder der Zukunftsmöglichkeiten führen könnte.

Vielleicht übertreibe ich auch am Anfang des Artikels mit der Aussage, dass ich keine Verliebtheitsphase habe. Es ist viel mehr so, als empfinde ich für fast alle Menschen eine gewisse Art von Zuneigung, so dass es mir nicht besonders anders oder intensiver vorkommt, wenn man dann auch Zärtlichkeiten austauscht. Aber ich will mich darüber hinaus verlieben und fallen lassen. Ich ärgere mich nur über mich selber, dass ich am Anfang so gehemmt bin und später zu ungehemmt. Letzteres weiß ich inzwischen zu verhindern, da ich aufmerksamer zuhöre und erkenne, ob jemand ein Problem damit hätte, wenn ich auf einmal intensivere Gefühle und die zuvor genannten Wünsche nach einer Familie entwickle.

Ich denke, die Lösung liegt vielmehr darin, mich von meinem inneren Kontrollzwang zu befreien. Wovor habe ich überhaupt Angst? Habe ich Angst davor, zurückgewiesen zu werden? Oder wie ein Narr dazustehen, der sich lächerlich gemach hat? Ist es die Befürchtung, den anderen in Verlegenheit zu bringen oder gar emotional unter Druck zu setzen? Vielleicht eine Mischung aus allem. Sicher weiß ich nur, dass ich oft das Gefühl hatte, „aus Liebe“ dumme Sachen gemacht zu haben (siehe auch Artikel Warum ich nicht ich liebe dich sage). Was würde passieren, wenn ich mich von der Kontrolle befreie? Werde ich zu sorglos mit meinen Mitmenschen umgehen? Wird es in einer Gemeinschaft einfacher sein, weil alle locker, achtsam, vertraut und aufmerksam miteinander umgehen?