Antworten auf Fragen finden, die einen umtreiben
Vor einigen Monaten haben wir André Krummels Suche nach Protagonisten für ein Filmprojekt hier verbreitet. Das hat zwar leider doch nicht geklappt, aber da André einige weitere interessante Filme, zum Beispiel über Kuschelparties, gemacht hat, haben wir ihn jetzt mal ausführlich interviewt.
Deviante Pfade: Du hast ja öfter „deviante“ Themen in deinen Filmen. Woher rührt dein Interesse daran? Bzw. wie findest du diese Themen? Und wenn du ein spannendes Thema gefunden hast, wie findest du Menschen, die sich als Protagonisten eigenen? Das geplante Filmprojekt über die BDSM-Beziehung konntest du ja leider trotz unseres Aufrufes nicht umsetzen.
André Krummel: Es ist nicht immer so, dass ich zuerst das Thema habe, und dann die Protagonisten dafür suche. Bei meinem letzten Film “Viktoriya” war es so, dass ich zufällig die Protagonistin – eine Tantra–Masseurin aus der Ukraine – kennenlernte. Erst nachdem ich mich näher mit ihr beschäftigt habe, entwickelte sich dann daraus das Thema des Films. Viktoriya hat mich so inspiriert, dass ich unbedingt einen Film über sie und ihren “Weg” machen wollte.
Bei dem Film über BDSM-Beziehungen, für den ich immer noch nach den geeigneten Protagonisten suche, war das etwas anders. Das Interesse für die Fragen, die ich mit dem Film stellen wollte – was manche Menschen dazu bewegt, freiwillig die Macht über Körper und Handeln zu großen Teilen abzugeben – ist durch eine andere Begegnung entstanden. Ein junger deutscher Soldat erzählte mir von seinem Einsatz in Afghanistan, bei dem er sich trotz schlimmer Ereignisse wohlgefühlt hat. Er fand es toll, keine eigenen Entscheidungen treffen zu müssen. Er wollte einfach nur Befehle befolgen, ohne darüber zu reflektieren. Zurück in Deutschland drehte er fast durch, weil er plötzlich eigenständig entscheiden musste, was er anzieht, was er essen möchte, wie er seinen Tag verbringt. Daraufhin hat er im Internet nach einem SM-Meister gesucht und sich für zwei Monate als Sexsklave in einen Käfig sperren lassen. In diesem Käfig konnte er sich dann endlich wieder frei fühlen. Das fand ich einen sehr spannenden Gedankengang, den ich gern in dem Film über die BDSM-Beziehungen ausgebaut hätte. Aber es ist sehr schwierig, Leute zu finden, die sich in unserer Gesellschaft trauen, so etwas offen zuzugeben. Interessanterweise haben eher die männlichen Dominanten ein Problem damit, weil sie nicht als Frauenschläger dastehen wollen.
Sind andere Projekte von dir nicht umgesetzt worden, da du keine Protagonisten gefunden hast? Und gibst du diese Projekte dann auf oder werden sie bei dir in eine Ideenkiste abgelegt?
Nein, bei dem BDSM–Film ist mir das zum ersten Mal passiert. Ich habe mich vor einigen Jahren mit dem Thema “Asexualität” filmisch auseinandergesetzt, wo es anfangs auch Schwierigkeiten gab, Menschen zu finden, die kein Problem mit Öffentlichkeit haben. Ich habe damals regelmäßig Asexuellen-Stammtische besucht und viel Zeit damit verbracht, die Leute näher kennenzulernen. Es ist wichtig, ein ehrliches Interesse zu haben. Deshalb ist es für mich am Ende auch nicht so entscheidend, ob ein Film dabei herauskommt. Hauptsache, ich kann die Fragen, die mich umtreiben, beantworten.
Wie geht dein Umfeld damit um, wenn du ihnen erzählst, dass du beispielsweise einen Film über Tantra-Massagen drehst?
Die denken sich “war ja klar”. Scheinbar haben die meisten meiner Filme einen sexuellen Hintergrund. Aber irgendwo hat ja alles einen sexuellen Hintergrund. Die Filme selbst behandeln aber nicht-sexuelle Themen. Bei “Viktoriya” geht es zum Beispiel um eine Frau, die aus ärmsten Verhältnissen kommt, mehrmals als junge Frau vergewaltigt wurde, und jetzt in ihrem eigenen Tantra-Institut fremden Männern wieder Liebe schenken kann, nachdem sie jahrelang damit Probleme hatte.
Und wie reagieren die Zuschauer, wenn du ihnen nicht die klassische Liebesgeschichte vorsetzt, sondern zum Beispiel die Doku über einen Asexuellen zeigst?
Menschen, die meine Filme ansehen, interessieren sich meist schon vorher für die Themen, die darin behandelt werden und sind daher weniger schockiert oder gelangweilt. Alle anderen reden hinterher nicht mit mir.
Über intime Themen zu sprechen, ist ja sowieso nicht leicht, aber wenn eine Kamera einen dabei filmt, ist das sicher nochmal um einiges schwerer. Wie bringst du Menschen dazu, sich vor der Kamera zu öffnen? Und was bewegt deine Protagonisten, sich mitzuteilen?
Indem ich mich selbst öffne. Dadurch vertrauen mir die Menschen. Sie wissen, ich nehme sie ernst. Außerdem haben die meisten Menschen das Bedürfnis sich mitzuteilen. Die Schwierigkeit besteht darin, jemanden zu finden, dem man sich gern mitteilen möchte. Und meine Aufgabe ist es dann, die Kamera vergessen zu machen.
Wie – oder nach welchen Maßstäben – wählst du aus dem gedrehten Filmmaterial die Ausschnitte aus? Oder hast du bei den Dokumentationen schon ein fertig vorbereitetes Drehbuch?
Das mache ich im besten Fall mit dem Cutter zusammen. Ein guter Cutter hat eine eigene Vorstellung, worum es in dem Film gehen soll. Bei einer guten Zusammenarbeit streitet man sich dann darum, was wie in den Film soll und welche Wirkung dadurch erzielt werden muss. Ich mag es, wenn der Cutter anderer Meinung ist als ich und wir dann um die so genannte “Wahrheit” streiten. Ich nenne das “sich gegenseitig befruchten”. Eine fruchtbare Zusammenarbeit also.
Ein Drehbuch gibt es in der Form wie beim szenischen Film nicht. Bei manchen Filmen überlege ich mir aber vorher sehr genau, welche Szenen ich wie drehen möchte. Wieder andere Filme drehe ich situativ, wo ich also spontan auf das reagiere, was gerade passiert.
Hast du ein Ziel als Filmemacher?
Ich wünsche mir das, was sich wohl jeder Filmemacher wünscht: immer die Filme machen zu können, die man möchte.
Wir hätten da noch ein paar Fragen zu deiner Person, u.a. weil bei uns die Frage aufgekommen ist: Studierst du noch oder setzt du schon Aufträge um? Und konntest du deine Themen bislang frei wählen oder waren auch Auftragsarbeiten dabei?
Ich studiere seit Oktober 2013 an der Filmakademie Baden-Württemberg. Das geht jetzt noch 2 Jahre, insgesamt geht das Studium also 4 Jahre.
Vorher habe ich u.a. bei Rosa von Praunheim als Cutter gearbeitet und den Film “Wie ich lernte, die Zahlen zu lieben” geschnitten.
Aber ich habe auch eine Weltreise gemacht, in Imbissbuden gearbeitet und andere Jobs ausprobiert. Nicht, weil ich herausfinden wollte, ob das etwas für mich sein könnte, sondern um Geschichten zu sammeln. Alles diente also immer dem einen Ziel: Erlebtes in Filme zu verarbeiten.
Im Studium kann ich meine Themen frei wählen, aber nebenher – um Geld zu verdienen, nehme ich auch Auftragsarbeiten an (u.a. als Kameramann), wo die Themen vom Auftraggeber stammen.
Wenn ihr jetzt Lust bekommen habt, einen von Andrés Filmen live zu sehen, empfehlen wir euch das Fetisch Film Festival Nachtschatten im Juni in München, auf dem auch „Leiber“ gezeigt wird. Darin geht es um einen jungen Escort, der sich mit einem 250-Kilo-Mann trifft, dessen Fetisch es ist, immer dicker zu werden.