Was ist eigentlich kaputt bei mir?

Diese und ähnliche Fragen habe ich mir in den vergangenen mehr als 15 Jahren immer wieder gestellt. Inzwischen schäme ich mich fast dafür, dass ich diesen Fragen nur in eine Richtung nachgegangen bin. Ich habe meine „Fehler“ mehr oder weniger akzeptiert und gehofft, dass sich meine jeweiligen Partner nicht daran stören. Vielleicht hatte ich auch einfach die Hoffnung, dass sich meine Probleme mit dem richtigen Partner von alleine lösen.

Heute weiß ich, dass ich mich irgendwo auf diesem Weg geirrt habe. Meine Definition von Liebe hat sich vor allem während meiner Pubertät und dem Erwachsen werden immer mal wieder geändert. Als Teenager hat mir eine Schwärmerei gereicht, um (sexuelles) Interesse zu wecken. Früher habe ich immer gesagt, dass sich bei mir so viel um Sex und körperliche Nähe dreht, weil ich zu früh aufgeklärt wurde. Heute vermute ich eher, dass ich falsch aufgeklärt wurde. Ich wusste zu viel von den falschen Dingen und habe aufgrund dessen auch häufig falsche Entscheidungen getroffen.

Anpassung an die Bedürfnisse des Partners

Sex und körperliche Nähe sind ein einfacher Weg Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Qualität dieser Aufmerksamkeit war mir oft gleichgültig. Aber immer nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich habe mir viele „falsche“ Partner ausgesucht, habe mich ihren Bedürfnissen und Wünschen angepasst und auf diese Weise nie wirklich gelernt, auf meine eigenen Bedürfnisse zu achten.

In vielen dieser Fällen bin ich oft über meine eigenen Grenzen gegangen, habe mich ausgeliefert und wurde dann auch entsprechend ausgenutzt und verletzt. Im Nachhinein betrachtet folgte mein Beuteschema relativ klaren Linien. Ich suchte mir Partner, die mir zuhörten, die zu Vertrauten wurden und band mich an sie. Jeder meiner Partner war auf seine Art und Weise genauso wenig „normal“ wie ich. Jeder hatte seinen Spleen, seine eine Eigenschaft, die mich verzauberte und für die ich ihn bewundern konnte. Ich kann hier natürlich nur meine Sicht der Dinge schildern, aber im Rückblick betrachtet waren meine früheren Partner nicht die einzigen, die stellenweise missbräuchlich waren.

Ja, in der Anfangszeit habe ich mich vollkommen hingegeben. Ich habe mich aufgelöst zwischen den Vorstellungen meines Partners und dem nicht vorhanden sein eigener Bedürfnisse. Mein einzig klares Ziel war dabei eigentlich ziemlich spießig: Haus, Kinder, Hund und Katze und das alles in einer stabilen und glücklichen Ehe. Genau mit diesem Wunsch habe ich aber scheinbar auch angesteckt. Ich habe mich meinen Partnern vollkommen ergeben und sie gleichzeitig in diese Hoffnung gepresst, bis sie auch daran geglaubt und sie sich auch gewünscht haben.

Die Gefühle lassen nach

Und dann kam jedes Mal der Punkt, an dem sich die vielen von mir nicht bewusst wahrgenommenen Verletzungen so weit angestaut hatten, dass ich anfing mich zu fragen, was ich da eigentlich mache. Meistens fing es damit an, dass die Gefühle nachließen. Nicht von jetzt auf gleich. Manchmal habe ich es erst gemerkt, als ich bereits angefangen hatte, mich für jemand anderen zu interessieren. Bei den zwei langen Beziehungen, die ich bisher hatte, begann es mit den Konflikten, die aus meiner Unlust entstanden.

Ich verstehe das heute besser. Nicht nur weil eine dieser beiden Beziehungen aktuell drauf und dran ist daran zu Bruch zu gehen, sondern weil ich inzwischen gelernt habe zu reflektieren und zumindest ein bisschen auch in mich hineinzuhorchen. Jeder würde sich verarscht vorkommen, wenn der Partner, der in der Anfangszeit jeden Wunsch erfüllt und für nahezu jedes Abenteuer zu haben ist, plötzlich keine Initiative mehr zeigt.

Jahrelang habe ich meine teilweise sehr ablehnende Reaktion auf mutmaßlich sexuelles Interesse auf das missbräuchliche Verhalten zurückliegender Beziehungen geschoben. Es war eine (so blöd das klingen mag) einfache Ausrede:
„Andere haben schlimme Dinge getan, deshalb habe ich kein Vertrauen mehr.“
„Ich wurde zu oft verletzt, um mich wirklich fallen zu lassen.“

Mein aktueller Partner hat sich das durch sechs Jahre und Therapien angehört. Wir hatten in dieser Zeit immer wieder Konflikte deswegen, weil ich trotz intensiver Anfangszeit nicht in der Lage war, mich ihm zu öffnen, meine Bedürfnisse zu äußern und der Sex auch immer seltener wurde.

Den Gefühlen auf den Grund gehen

Im Gegensatz zu vorhergehenden Partnern hat er sich aber hingesetzt und zwischen den vermeintlichen Vorwürfen auch versucht, mich zu verstehen. Dass ich mich selbst hier nicht verstand und mich nicht in der Lage fühlte, meine Bedürfnisse wahrzunehmen, hat es jedoch jedes Mal schlimmer statt besser gemacht. Der Umstieg auf hormonfreie Verhütung hat dem ganzen Dilemma dann den Startschuss gegeben. Mein verdrängter Kinderwunsch kam wieder hoch und ich wusste nicht, wie ich ihn und viele andere Dinge ansprechen sollte. Am Ende stand ich da und teilte ihm mit, dass ich gehen müsse, weil ich Kinder will, und er klar gemacht hat, dass er keine will.

Natürlich war das nur die Spitze des Eisbergs. Ich hatte schon länger keine Bedürfnisse geäußert und das Gefühl, dass wir uns auseinander lebten und über Nichtigkeiten diskutierten, während ich mich nicht sicher genug fühlte, um die schwierigen Themen anzusprechen. Wie meine ursprünglichen Ausreden war hier der Kinderwunsch ein, wie ich dachte, einfacher Weg, etwas zu beenden, dass sich für mich schon aufgelöst anfühlte. Aber mein Partner ließ nicht locker. Er wollte es verstehen und nichts unversucht lassen.

Am Ende kamen wir an den Punkt, an dem mir klar wurde, dass es schon ewig her war, dass ich das Bedürfnis nach Sex hatte und dass ich mich eigentlich nur ihm zuliebe überhaupt darauf einließ. Einer seiner Lieblingsserien, „Bojack Horseman“, verdanke ich es, dass ich jetzt in der tiefsten Krise seit der Pubertät stecke und mich zum ersten Mal ernsthaft mit meiner Sexualität auseinander setze. Und alles weil mein Partner mich gefragt hat, ob das tatsächlich psychische Ursachen hat oder ich vielleicht einfach asexuell bin.

Für mich war ein Asexueller jemand, der keinerlei Lust auf Sex empfindet und alles, das Sex betrifft, als abstoßend empfindet. Dass es auch hier Abstufungen gibt, war mir nicht bekannt. Ich machte seine Frage also zu meiner: „Bin ich asexuell?“

Was bedeutet also Asexualität?

Inzwischen habe ich mich eingelesen, bin aber noch weit davon entfernt, ein Experte zu sein. Tatsächlich finde ich es hier sehr schwer an hilfreiche Informationen zu kommen. Es gibt den einen oder anderen „Online-Test“, aber die Fragen sind hier oft (logischerweise) zu eng gefasst und passen oft nicht gänzlich, wodurch das Ergebnis dann nicht überzeugt.

Der fließende Übergang zwischen den verschiedenen Formen (siehe Links am Artikelende) macht es mir schwer mich zu orientieren. Inzwischen muss ich aber sagen, dass es, umso mehr ich mich informiere und umso mehr ich mich auch mit dem Thema (A-)Sexualität auseinander setze, umso besser passt auch das erste Ergebnis, dass ich demisexuell bin.

Vielen Dank an ChasingGrey für diesen ehrlichen Einblick. Wir sind gespannt, wie deine weitere Suche in dieser Richtung verläuft, und wünschen dir inspirierende Erkenntnisse.

Linktipps: