Wie Kinder eine D/s-Beziehung verändern – ein Erfahrungsbericht
Ich lebe seit vielen Jahren in einer D/s-Beziehung mit meinem Herrn. Wer Schubladen und Abkürzungen mag, darf uns gerne in die APE/TPE/IE-Schublade stecken. Ich bin dabei der devote Part, mein Herr der dominante, der mit weitreichenden Befugnissen über mich zu bestimmen ausgestattet ist. Das bedeutet, dass das Machtgefälle auch im Alltag besteht und nicht auf den Kontext einzelner BDSM-Sessions begrenzt ist.
Das Team von Deviante Pfade hat mich gefragt, wie sich unsere D/s-Beziehung über die Jahre und mit dem Hinzukommen unserer Kinder verändert hat. Beides gehört eng zusammen.
Perfektionistische Ansprüche reduzieren
Zuerst fällt mir da einmal der Punkt „Perfektionismus“ ein. Wie viele Subs bin ich eine Person, die eher hohe Ansprüche an sich selbst stellt. Ich versuch(t)e in möglichst allen Bereichen meines Lebens das Optimum zu erreichen, seien es die Abschlussnoten, mich selbst fit und in Form zu halten, meine Arbeit und natürlich auch als Untergebene meines Herrn. Wenn die Anzahl solcher Lebensbereiche, in denen man möglichst Sein Bestes geben möchte, noch überschaubar ist, ist das gut möglich. Am Anfang der Beziehung lebte ich beispielsweise noch in meinem Elternhaus und musste mir um viele Dinge keinerlei Gedanken machen. Natürlich konnte ich da zu jeder Tages- und Nachtzeit verfügbar für meinen Herrn sein, mein Sportpensum einwandfrei erfüllen und hatte noch gut Zeit, mich um meine Freundschaften und Hobbys zu kümmern. Jetzt sieht das deutlich anders aus. Ich habe nun nicht mehr nur meinen Teil an der Pflege unserer D/s-Beziehung zu leisten, sondern bin auch weitestgehend für den gesamten Haushalt, meine Arbeit, die liebevolle Begleitung unserer Kinder und den ganzen Organisationskrempel rund um die Kinder verantwortlich. Letzteres sind oft so charmante Aufgaben, wie am Dienstagabend um 19:55 Uhr noch einen türkisfarbenen Eierkarton für den Kunstunterricht zu besorgen. Irgendwo muss ich auch noch Zeit für mich selbst unterbringen, in der ich mich meinen Interessen widme, mich beruflich fortbilde oder endlich mal wieder gezielt Sport treibe. Das Ganze ist im Alltag nicht zu bewältigen, ohne mein Bedürfnis nach Perfektionismus ordentlich zurecht zu stutzen. Ich muss also ein gutes Ressourcenmanagement betreiben und bewusst unwichtigere Dinge schleifen lassen. In heftigen Zeiten kann das dann natürlich auch unsere D/s-Beziehung betreffen. Grundsätzlich haben meine „D/s-Pflichten“ einen sehr hohen Stellenwert und der Haushalt hat gerade die niedrigste Priorität. 😛
Abgrenzen und nicht aus der Ruhe bringen lassen
Ein weiterer Punkt, der mich mit vielen Subs verbindet, ist meine stark ausgeprägte Fähigkeit zur Empathie. In unserer Anfangszeit genoss das mein Herr unheimlich, denn ich vermag besonders gut, zu spüren wie es Ihm geht und was Ihm gerade gut tun würde. Dass man als Sub dabei gewissermaßen auch über Seine eigenen Grenzen geht, ist eher typisch für eine so geartete D/s-Beziehung. Das macht auch den Reiz aus, der es erlaubt, so „entgrenzt“ im anderen Teil der Beziehung „aufzugehen“. Man fühlt sich ganz innig verbunden und geborgen. In einer Situation, in der jedoch sehr viele, insbesondere auch viele D/s-fremde Anforderungen an mich gestellt werden, ist diese Fähigkeit zur Empathie eher zu meinem Nachteil. Ich musste und muss lernen, mich wirksam abzugrenzen. Als Person, die im Alltag hauptsächlich für die Betreuung unserer Kinder verantwortlich ist, muss ich Sicherheit und Ruhe ausstrahlen, um ihnen Halt, Struktur und Orientierung geben zu können. Wenn mein Herr da ist, kann ich mich von Ihm auffangen lassen. Ist Er jedoch nicht da, muss ich den Laden alleine zusammenhalten und das sein, was man gemeinhin unter einer guten Mutter versteht.
Zeit für die Beziehungspflege nehmen
Nun, was hat sich in unserer Beziehung verändert? Oberflächlich betrachtet, ist die Zeit, in der wir uns ausschließlich unserer Beziehung und unserer D/s-Neigung widmen, stark reduziert. Es gab in anstrengenden Zeiten auch einmal längere Durststrecken von mehreren Monaten. Ganz ohne D/s- Elemente war unser Zusammenleben jedoch nie. Der Schlüssel hier liegt ganz lapidar darin, sich bewusst Zeiträume genau dafür freizuhalten. Auch unter Vanillapaaren mit Kindern ist der Tipp mit dem expliziten „Date für Sex“ kein Geheimnis. Während sich der Wechsel zwischen alltäglichem Leben im Vordergrund und den konkreten D/s-Handlungen früher ganz organisch fließend ergab, so müssen wir heute ganz aktiv dafür Zeit und Raum schaffen.
Rituale ganz selbstverständlich beibehalten
Einige wichtige D/s-Rituale finden in unserem Alltag auch bei herumhüpfender Kinderschar statt. Für unsere Kinder scheinen diese nicht weiter irritierend zu sein, wir machen darum bewusst kein Aufhebens. Neugierige Fragen gibt es natürlich hin und wieder, vor allem von fremden Kindern, wenn diese z.B. bei uns zum Spielen sind. Diese beantworte ich entspannt und bagatellisierend, so wie ich auch meinem Sohn erkläre, dass Glitzernagellack auch etwas für Jungs ist oder Mädchen natürlich auch sehr gute Fußballerinnen sein können. So ist mein Halsreif einfach ein Schmuck, fertig. Die Anrede „mein Herr“, die ganz normal und nicht gestelzt klingend in unseren Alltag miteinfließt, war bisher keinem unserer Kinder eine Frage wert. Vermutlich denken meine Kinder, es handele sich dabei um eine Art Spitznamen. Wenn ich mit ihnen über Ihn rede, ist er natürlich einfach der Papa
Was Nacktheit angeht, gehen wir mit unseren Kindern sowieso recht entspannt um. Klar, vor Besucherkindern würde ich nicht nackt herumlaufen wollen, aber in unserer Kernfamilie und im Beisein von entsprechenden Freunden ist das kein Problem. Mit der einsetzenden Pubertät und einem wachsenden Abgrenzungsbedürfnis unserer Kinder würden wir diesen Punkt sicher noch einmal neu bewerten. Andererseits ergäben sich in dieser Zeit auch deutlich größere Freiräume für uns als Paar, in der wir nicht vordergründig in unserer Elternrolle stecken müssen, was an diesem Punkt wieder ausgleichend wirken würde. Generell gehen wir mit Sexualität im Allgemeinen und BDSM im Speziellen offen um, ohne es jedoch in das Zentrum unseres Familienlebens zu rücken (das eine Extrem) oder es zu tabuisieren (das andere Extrem). Unsere Kinder sind altersentsprechend aufgeklärt, dürfen alles fragen, werden damit aber auch nicht über Gebühr behelligt. Das heißt, wir albern vor unseren Kindern herum, mein Herr greift an meinen Halsreif um mich zu küssen, haut mir mal im Spaß auf den Hintern, ich begrüße meinen Herrn mit einem kurzen Kniefall – das kriegen sie schon mit. Alles an Handlungen, was expliziter ist, nicht. Was wir schon tun: Wenn die Kinder mal einige Minuten in Ruhe im Wohnzimmer spielen, nutzen wir die Zeit für einen Quickie unter der Dusche. Aber das unterscheidet uns an vielen Stellen nicht von Vanilla-Eltern.
Ich denke, dass wir unseren Kindern dabei weniger als „der Papa bestimmt und die Mama hat dann zu kuschen“ erscheinen, wenngleich sie sicherlich merken, dass ich meinen Herrn wichtige Dinge absegnen lasse als es ganz alleine zu entscheiden. Subtil ist das bewusste Machtgefälle für sie damit spürbar. Klassische Rollenmuster passen hingegen wieder weniger zu uns, da mein Herr prima alleine mit den Kindern und dem Haushalt umgehen kann und will, ich arbeiten gehe und darin auch deutlich von meinem Herrn unterstützt werde, und ich in Abwesenheit meines Herrn genauso mit Schlagbohrer, Bandschleifer und Freischneider umgehen kann wie Er. Ihm ist es sogar ausgesprochen wichtig, dass ich das kann.
Gegenseitigen Respekt vermitteln
Zwangsläufig machen wir uns auch viele Gedanken um die Werte, die wir unseren Kindern vermitteln möchten. Der wichtigste Punkt dabei ist uns Respekt. Und da sind wir sicher im Vorteil gegenüber weniger reflektierten Beziehungen, da ein respektvoller, liebevoller, wohlwollender Umgang miteinander ganz integraler Bestandteil unserer D/s-Beziehung ist und schon immer war. Bewusste Arbeit an unserer Beziehung und ein bewusster Umgang mit den ihr innewohnenden Mechanismen ist uns selbstverständlich, so dass uns ein „sich auseinander entwickeln“ oder „sich nichts mehr zu sagen haben“ eher nicht passieren kann. Mit all den Handlungen und Ritualen aus der Welt des BDSM haben wir dazu sogar noch einmal eine ganze Armada an hilfreichen, bindungs- und beziehungsstärkenden Mitteln und Handwerkszeugen zur Verfügung. Da diese überwiegend nonverbaler Natur sind, helfen diese auch in verfahrenen Situationen, wo Reden einfach manchmal nicht mehr geht, wieder zueinander zu finden.
Aus Geburtserfahrungen Kraft schöpfen
Ein eher skurril anmutender Aspekt, der mir noch einfällt, betrifft die Zeugung und Geburten unserer Kinder. Es waren äußerst erregende Momente, mich von meinem Herrn schwängern zu lassen und dann zu beobachten, wie die Frucht in meinem Bauch wächst. Bis hin zur Geburt, die interessanterweise immer erst dann stattfand, als mein Herr vor Ort sein konnte. Seine Gegenwart dabei war mir sehr wichtig, Er konnte mich dabei ganz entspannt unterstützen und hatte beispielsweise keine Probleme damit, mich über Stunden so in Schmerzen zu sehen. Ich würde sogar sagen, dieser Zustand, in dem ich mich da befand, war Ihm vertraut und Er konnte mich auch im stärksten Wehenschmerz noch sehr gut „lesen“. Die Geburten fanden bewusst zu Hause statt und die Hebammen wussten Bescheid, dass mein Herr generell und besonders auf den Kontext der Geburt bezogen der Entscheider für mich ist. Für mich persönlich haben die Geburtserfahrungen viele extreme Körpererfahrungen, auch im BDSM-Kontext, sehr relativiert. Ich bin als Sub, aber auch als Frau, ein ganzes Stück stärker und auch stolzer daraus hervorgegangen.
Vielen Dank an Menina für diesen wunderbaren Gastartikel! Da wir ja alle älter werden und über das Konzept Kinder mindestens nachdenken, ist es hilfreich, einen ehrlichen und unaufgeregten Einblick in deinen Alltag zu erhalten.