Anlaufstelle für BDSMler, Polys, Tantriker … – Interview mit maydaySM

Mal wieder hat uns die Neugier zu einem Interviewpartner getrieben: maydaySM, das Notfall-Telefon für BDSMler. Chris Barde vom maydaySM-Team hat sich unseren Fragen gestellt.

Aureliana: Ihr beschreibt maydaySM auf eurer Website als Notfall-Telefon für BDSMler – kannst du etwas genauer beschreiben, was ihr macht? Wann darf ich mich an euch wenden?

Chris: Das Telefon ist, neben der E-Mail-Beratung, eins unserer wichtigsten Beratungswerkzeuge. Jeden Montag ab 19:00 Uhr und zusätzlich nach Absprache steht unser Beratungsteam telefonisch zu Verfügung. Du kannst dich an uns mit absolut jedem Anliegen wenden, welches dir Sorgen bereitet. Ursprünglich gegründet wurde das Beratungstelefon (deswegen auch der Begriff „Notfall-Telefon“), um eine Anlaufstelle bei Grenzverletzungen, Missbrauch, Vergewaltigungen und Fehlspielen zu haben, also einem Bereich, wo man als BDSMler es noch schwerer hat, ein Hilfsangebot aufzusuchen. Seit langem sind wir aber auch beratend in allen anderen Krisensituationen tätig. Das kann z.B. durch ein Zwangsouting sein oder auch der Wunsch nach Unterstützung bei der Suche nach einem Therapeuten, der BDSM nicht stigmatisiert. Die Sorgen und Nöte der Menschen sind tatsächlich sehr vielfältig und auch heute noch erhalten wir Anfragen, die wir in der Art noch nicht kannten. Wie alle ehrenamtlichen Hilfsorganisationen wollen wir in erster Linie „Hilfe zur Selbsthilfe“ bieten, wir unterscheiden uns von einem klassischen Sorgentelefon also in erster Linie durch unser Fachwissen zum Thema BDSM, Poly und andere alternative Lebens- und Liebesformen.

Wie intensiv wird euer Angebot genutzt? Und hat das abgenommen, seitdem es das Internet gibt? Denn gerade in der heutigen Zeit googlen doch bestimmt alle erstmal ausgiebig, bevor sie sich trauen, realen Kontakt mit Menschen wie euch aufzunehmen.

Wir bekommen täglich Anfragen. Durch das Internet haben die Anfragen deutlich zugenommen. Die E-Mail-Beratung ist als niederschwelliges Angebot sehr beliebt. Aber auch die Zahl der Anrufe hat stetig zugenommen, da das Internet uns leichter findbar macht, auch über Google. Neben dem Internet sind die Flyer, die von uns auf Stammtischen verteilt werden, das Hauptmedium, durch das Menschen auf uns aufmerksam werden.

Und mit welchen Fragen kommen die Menschen konkret zu euch? Was war z.B. der Inhalt deines ersten Beratungsgesprächs? Gibt es „Klassiker“, die immer wieder Probleme bereiten?

Vermutlich gibt es so verschiedene Fragen wie Menschen. Es geht um Themen wie Beziehungsprobleme, Fehlspiele, Sorgen auf der Arbeit nach einem Zwangsouting, Stigmatisierung durch Ärzte wegen einer sexuellen Präferenz, aber auch reine Fachfragen wie „ich habe diese und jene Krankheit, wie kann ich trotzdem sicher spielen“ oder rechtliche Fragen. In meinem ersten Beratungsgespräch ging es um eine SM-Session, die nicht einvernehmlich war. Richtige Klassiker gibt es eigentlich nicht, jeder Mensch ist nun einmal anders.

Gibt es auch mal lustige Situationen? Oder Geschichten, bei denen du hinterher schmunzelst?

Es gibt eher lästige als lustige Situationen. Bei Anfragen, um wie viel Uhr denn die nächste Party beginnt, wissen wir nicht so recht, ob wir lachen oder weinen sollen.

Ebenso war das Verständnis, dass auch BDSMler Opfer eines Gewaltverbrechens werden können, zumindest in den ersten Jahren von maydaySM, in der Öffentlichkeit nicht sehr groß. Da haben wir von offiziellen Stellen und auch von anderen Hilfsorganisationen öfters so etwas gehört wie „BDSMlern kann man gar keine Gewalt antun, die wollen das doch so“.

Gut, dass das heute anscheinend nicht mehr so ist. Wie sieht’s mit der Akzeptanz innerhalb der Szene aus? Und seid ihr an irgendwelche offiziellen Verbände angegliedert oder arbeitet ihr komplett unabhängig?

Die Akzeptanz innerhalb der Szene ist schwierig zu beantworten. Es kann ja keiner so genau definieren, was die Szene eigentlich ist. Wir bekommen Anfragen von BDSMlern, von Polys, von Tantrikern, von Menschen mit Trans-Hintergrund und auch von „Vanillas“ die fachspezifische Fragen haben. Trotzdem können wir nicht gesichert sagen „unsere Akzeptanz ist hoch“. An Verbände sind wir nicht angegliedert, wir bleiben lieber unabhängig.

Kannst du irgendwelche Tipps geben, um BDSM-Notfallsituationen zu vermeiden? Oder was man macht, wenn man in eine reingeraten ist?

Oh, das wird jetzt vermutlich die längste Antwort.

Mein Lieblingstipp ist „sich Zeit lassen“. Sowohl bei der Frage, wann ich mich auf jemanden einlasse, als auch bei der Frage, was ich denn jetzt Aufregendes erleben will, fühle ich mich mit einem weiten Zeitfenster sicherer. Ich antworte bei einem Spielangebot oft: „gerne, sollen wir uns fürs nächste Mal verabreden“ anstatt loszustürmen. Beim ersten Spiel denke ich oft „das wird jetzt vielleicht nicht die Session des Jahrhunderts, aber dafür fühlt sich jeder in der Komfortzone. Die Session des Jahrhunderts machen wir dann, wenn wir uns besser kennen“. Auch innerhalb des Spiels und in den Rahmenbedingungen hat sich „Zeit lassen“ als Wundermittel für mich herausgestellt. Ich muss nicht hektisch von Peitsche zu Peitsche wechseln und auch nicht direkt nach dem Losbinden Mails auf dem Handy checken. Es schadet auch nichts, einige Zeit nach dem Spiel, das können durchaus Tage sein, mal nachzufragen, wie es dem Anderen geht.

Das führt zur Frage, was tun, wenn man in eine Notfallsituation reingeraten ist. Das Medizinische ist einfach: Wenn körperlich etwas schief geht, sofort zum Arzt, im Zweifel in die Unfallklinik. Die haben schon alles gesehen und als SMler ist man dort gut aufgehoben. Beim Seelischen halte ich mich an den Rat einer wundervollen Spielerin: „wir gehen zusammen rein in die Session und wir gehen zusammen raus“. Das heißt, man begleitet einander auch, oder gerade dann, wenn etwas blöd gelaufen ist. Sich nur auf Absprachen, Codewörter oder Ampeln zu verlassen, halte ich für Leichtsinn. Zu beobachten, wie es dem anderen und einem selbst geht, scheint mir eine gute Ausgangsbasis. Wenn etwas schief geht, ist die Frage, was jetzt gerade gebraucht wird, wichtiger als die Frage, wer Schuld hat. Dem Anderen Zeit und Raum geben, ohne ihm das Gefühl zu vermitteln, zurückgelassen worden zu sein.

Eines möchte ich zum Abschluss gern noch wissen: Wenn man eure Arbeit toll findet, kann man euch irgendwie unterstützen? Was braucht ihr aktuell, um eure wichtige Mission noch besser zu machen?

Aktuell freuen wir uns sehr über neue MitgliederInnen. Das Beratungsteam braucht keine Verstärkung, aber für die Hintergrundarbeiten wie z.B. Flyer erstellen können wir helfende Hände gut gebrauchen. Ansonsten wäre es mir am liebsten, wenn unsere Arbeit überflüssig würde. Und wenn es noch so abgedroschen klingt: Redet miteinander und habt euch lieb.

Vielen Dank, Chris, für das Interview. Wir wünschen dir und dem Team von maydaySM weiterhin alles Gute und hoffen natürlich ebenso, dass eure Arbeit irgendwann nicht gebraucht wird.