(Ein-)Beziehung

Vor Kurzem ist mir bewusst geworden, ab wann ein Verhältnis für mich eine Beziehung ist. Nämlich wenn ich den Partner bei meinen Entscheidungen mitdenke und er mich in seinen Entscheidungen mitdenkt. Diese Art von Achtsamkeit über die Gefühle und Bedürfnisse des anderen ist für mich die höchste Form der Wertschätzung, die ich bekommen kann. Jetzt ist mir auch klar, warum ich immer so verletzt war, wenn ich meiner Partnerin unterstellt habe, sie würde mich vergessen. In meiner Verletzung ging ich in solchen Situationen sogar so weit zu glauben, meine Gefühle würden nicht ernst genommen werden. Ein Beispiel:

Als sich nach ein paar Jahren die Beziehung zu einer Liebhaberin intensivierte, bekam ich die Hoffnung, sie öfter sehen zu können. Als ich sie dann einmal verließ, ohne einen festen neuen Termin im Auge zu haben, habe ich gefragt, wann wir uns wieder sehen würden. Darauf wollte sie sich in dem Moment nicht festlegen. Die darauf folgende Woche habe ich dann ein paar Vorschläge gemacht und somit signalisiert, dass mir das wichtig ist. Aber als wir dann das nächste Mal miteinander über Planung reden wollten, hatte sie bereits zwei Monate im Voraus jedes freie Wochenende vollgeplant, ohne mich zu berücksichtigen. Es wurde davon ausgegangen, ich würde jede Entscheidung (er)tragen können und dass mich so etwas nicht stören könnte.

Dieser Kontrollverlust steht im Gegensatz zur Entscheidungsfreiheit des Partners. Inwiefern sich zwei Menschen in einer Beziehung mit dem Freiheitsbedürfnis des einen und dem Sicherheitsbedürfnis des anderen einig werden können, hängt von der Absprache ab, wie viel Partizipation beide bereit sind, einzugehen. Dafür finde ich die neun Stufen der Partizipation nach Sherry Arnstein hilfreich, die ich versuche, auf Absprachen innerhalb einer Beziehung zu projizieren:

Stufe 1 – Instrumentalisierung

Die Interessen und Gefühle der Partner spielen keine Rolle. Die entscheidende Person setzt ihre Partner weder über die Ziele noch über den Zweck ihrer Entscheidungen in Kenntnis.

Stufe 2 – Anweisung

Der entscheidende Part geht davon aus, er wüsste über die Interessen und Gefühlen der Partnerinnen Bescheid. Daher werden diese bei der Entscheidungsfindung auch nicht befragt. Die Partnerinnen bekommen eine fertige Lösung oder Situation serviert und müssen die Entscheidungen (er)tragen.

Stufe 3 – Information

Die entscheidende Person teilt ihr Bewusstsein über die Interessen und Gefühle ihrer Partner mit und schlägt eine vorgefertigte Lösung vor, wie die Partner mit der Entscheidung umgehen könnten. Die Partner können sich zu dieser Entscheidung äußern, aber es wird nicht abgewartet, ob dies passiert.

Stufe 4 – Anhörung

Der entscheidende Part teilt seine Absichten seinen Partnern mit und hört sich die Interessen und Gefühle seiner Partner an. Die Partner haben aber keine Einflussmöglichkeiten auf die Entscheidung.

Stufe 5 – Einbeziehung

Die entscheidende Person lässt sich von ihren Partnerinnen beraten, was unter Berücksichtigung der Interessen und Gefühle aller die beste Lösung wäre. Die Beratung hat keinen verbindlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung.

Stufe 6 – Mitbestimmung

Die Partner haben ein Mitspracherecht bei den Entscheidungen. Es kann zu Verhandlungen kommen, wie man zu einer Lösung, mit der einverstanden sind, kommen kann. Die Partner haben keine alleinige Entscheidungsbefugnis.

Stufe 7 – Teilweise Übertragung der Entscheidungsbefugnis

Die Verantwortlichkeit für die Entscheidungen liegen bei dem Entscheidenden. Über ausgewählte Teilaspekte der Entscheidungen dürfen jedoch die Partnerinnen bestimmen. Zum Beispiel könnten die Partnerinnen das Recht auf ein Veto gegen das Treffen mit bestimmten Personen haben. Diese Stufe der Einbeziehung ist z.B. in Ehen sehr üblich.

Stufe 8 – Entscheidungsmacht

Die Partner entscheiden darüber, wie die zu treffende Entscheidung aussehen muss. Der Entscheidungstragende nimmt nur begleitend oder unterstützend an der Entscheidungsfindung teil. Dies wäre zum Beispiel ein übliches Konstrukt in einer TPE-Beziehung.

Stufe 9 – Selbstorganisation (leider ein unpassender Begriff, wenn man versucht, ihn auf Beziehungen zu übertragen)

Die Partner nehmen die Entscheidung vorweg, indem sie aus ihrer Betroffenheit heraus ungewollte Situationen voraussehen und die Initiative für die Entscheidung und damit auch die volle Verantwortung übernehmen.

In einer anderen als der eingangs erwähnten Beziehung hatten wir die Kultur, uns gegenseitig zu erzählen, wen wir nebenher noch treffen und was für ein Interesse wir an diesen Menschen haben. Dennoch hat sich nie einer von uns beiden getraut, den anderen dabei einzuschränken. Wir haben uns zwar auf dem Laufenden gehalten, aber nicht eine Meinung abgewartet oder explizit danach gefragt (also Partizipation auf Stufe 3). Als ich dann eine Frau traf, in die ich mich total verknallte und mit der ich mir eine Beziehung vorstellen konnte, wurde meine Freundin dann ziemlich eifersüchtig. Da wir nie eine Möglichkeit gefunden hatten, miteinander eine Kommunikation zu entwickeln, wie wir über neue Beziehungen miteinander reden, hatte ich sie auch nach wie vor nicht in meine Planung mit der neuen Beziehung einbezogen. Ich habe während unserer Beziehung nie etwas von ihrer Eifersucht mitbekommen, aber es verletzte sie, wie ich sie behandelte, da sie sich bei neuen „ernsten“ Beziehungen eine Partizipation der Stufe 7 gewünscht hätte.

Ich persönlich finde die Stufe 6 am sinnvollsten für intime Beziehungen, da es ein sehr rücksichtsvoller Umgang miteinander ist und zeigt, wie wichtig die Meinung eines Partners für einen ist, ohne dass die Interessen und Gefühle des Partners aber eine Einschränkung bedeuten würden. Für andere Menschen wäre das aber – insbesondere in der Beziehung mit mehreren Menschen – zu viel Aufwand in der Kommunikation. Jedenfalls ist es wichtig, Gespräche über die Gefühle immer wieder zu führen und jemanden nicht aus Gewohnheit nur auf Stufe 3 in seine Entscheidungen mit einzubeziehen.