Angst-Spiele (1): Mein Körper schreit „Nein“, aber ich spüre nur „Ja!“

Erst als ich plötzlich eine Pistole im Mund hatte, wurde mir wieder bewusst, wie unglaublich es sich anfühlt, wenn alles um dich herum still steht. Du die Waffe an deinen Lippen spürst, deinen Atem nicht beruhigen kannst und deine Gedanken erst recht nicht. Wenn dein Herz rast und sich alles andere aus deinem Blickfeld schiebt. Ich kann mich ehrlich gesagt nur noch an seine braunen Augen und die Waffe in seinen Händen erinnern, was ihn angeht. Aber ich kann mich an alles erinnern, was mich angeht. Auch daran, dass ich ihm meinen Arm um die Hüfte gelegt habe. Eine kleine Geste des „Ich will gerade mehr davon!”. Und dann war der Moment vorbei.

Geblieben ist die Faszination mit der Angst und die Frage, wie Angst-Spiele überhaupt funktionieren. In diesem ersten Teil des Doppels möchte ich euch mal erzählen, was mich an Angst fasziniert. Demnächst erzähle ich euch mal, wie man gezielter mit Angst spielen kann.

Biologisch ist Angst erst einmal simpel zu erklären: Unsere Sinnesorgane sehen, hören, spüren, schmecken, oder riechen etwas, was das Gehirn aufgrund vorheriger Erfahrungen als (lebens-)gefährlich interpretiert. Dies sendet es dem limbischen System unseres Körpers, welches wiederum die entsprechenden körperlichen Reaktionen auslöst. Das bedeutet jede Menge Adrenalin – yay! Das sympathische Nervensystem reagiert: Unser Herzschlag und Blutdruck schießen in die Höhe, unsere Pupillen weiten sich, unsere Muskeln spannen sich an, unsere Körpertemperatur steigt. Wir zittern. Sind unruhig. Angespannt. Erregt. Aufmerksam. So fühlen sich auch Klippenspringer während des Sprungs, in dem sich der Erregungszustand immer weiter aufbaut und dann schlagartig mit dem Schweben im Wasser entlädt. So wie ich mich vor dem leeren Klicken der Waffe gefühlt habe. Angstspiele sind also nur ein weiterer Extremsport. Die meisten Menschen können so auch nachvollziehen, warum Menschen Angst begeistert und kickt.

Neben dem Kick, der mir einfach ein kurzzeitiges Adrenalin-Schweben, einen emotionalen Höhepunkt der Erregung zaubert, begeistert mich Angst jedoch auch über längere Zeiträume. Denn Kick ist nicht gleich Kick. Generell unterscheiden sich der eben beschriebene Kick vom längeren Thrill, wobei beides innerhalb eines Spielszenarios vorkommen kann. Doch beim Thrill geht es um den Wechsel zwischen Anspannungs- und Entspannungsgefühl über einen längeren Zeitraum. Natürlicherweise kommen durch die Dauer der Angstphase(n) auch andere körperliche Angstreaktionen hinzu. Denn mit der Zeit gewöhnt sich unser Körper an die Angst. Üblicherweise sorgt das parasympathische Nervensystem dann dafür, dass sich unser Herzschlag und Blutdruck verlangsamen, unsere Muskeln entspannen sich, unsere Temperatur sinkt im Körper und steigt in der Haut. Wir schwitzen. Unsere Knie werden weich. Vielleicht wird uns schwindelig. Wir bekommen einen Kloß im Hals, oder fangen sogar unkontrolliert an zu weinen. Bei einem Thrill können beide Nervensysteme aktiviert sein, so kommt es zu einem Wechselbad der Gefühle wie etwa auf einer Achterbahn.

Obwohl der biologische Prozess bei jedem gleich funktioniert, erlebt und bewertet jeder Mensch Angst anders. Ich habe bei längeren Spielszenarien schon häufiger mal Kick und Thrill durchlebt, egal ob nun durch Pistolen, Messer, oder Strom provoziert. Dieser Wechsel zwischen Angst und Lust, zwischen Freude und Leid, zwischen Kampf und Hingabe ist für mich eine ganz besondere Sinneserfahrung, die ich durchaus genieße. Danach sacke ich meist ausgelaugt und überglücklich in den Armen meines Partners zusammen. Langsam spüre ich meinem Körper nach, das Glück, die Erleichterung und die Geborgenheit, während ich mich frage, ob ich am nächsten Tag wohl einen Muskelkater haben werde. Meistens habe ich einen – Angst ist eben auch anstrengend.

Neben der körperlichen Ebene finde ich das bewusste Spielen mit der Angst jedoch vor allem auch auf der Beziehungsebene spannend. Denn Angst kann nicht nur verdammt schön sein, sondern auch verdammt intim! Allein mit seinem Partner über seine Ängste zu reden, erfordert Mut und Vertrauen. Mit ihnen zu spielen führt das Ganze noch einen Schritt weiter. Bisher ging es hier zwar primär um die Angst um sein eigenes Leben und die körperliche Unversehrtheit, diese Angst hat jeder Mensch, doch das ist nur ein kleiner Teil eines breiten Spektrums der Angst. Daneben gibt es noch ähnliche Gefühlsregungen wie Scham oder Misstrauen, mit denen man ebenfalls spielen kann. Deswegen können Angstspiele oft so individuell und intim sein. Angstspiele zuzulassen erfordert also Vertrauen in der Beziehung, stärkt dieses für mich jedoch auch.

Denn wenn ich Angst habe, kann ich nur ich sein. Dann verliere ich im Spiel die Kontrolle über mein Verhalten und meinen Körper völlig. Es gibt keine Rollen, keine Erwartungen, keine Fassaden mehr. Nichts, hinter dem ich mich verstecken könnte. Angst bedeutet für mich das alles loszulassen, mich hinzugeben und mich ehrlich so zu zeigen wie ich in Extremsituationen bin. Diese Seite von mir sichtbar zu machen und nach dem Angstspiel von meinem Partner aufgefangen zu werden, schafft für mich deswegen eine unglaubliche Nähe und Vertrautheit. Je mehr mich dieser Mensch zerstört, desto mehr emotionale Bindung empfinde ich, denn er setzt mich ja schließlich auch wieder zusammen. Trotz meiner Angst und meiner Verzweiflung ist dieser Mensch noch da, kümmert, tröstet und liebt mich. Außerhalb eines Spiels erlebt man so eine Situation mit seinem Partner nur in extremen Lebenssituationen, aber durch Angstspiele hat man die Möglichkeit, seine Gefühle auch so zu explorieren.

Manch aufmerksamer Leser wird sich vielleicht denken, dass das doch paradox ist. Wenn ich meinem Partner vertraue, ist doch niemand in Gefahr, dann muss ich doch gar keine Angst haben. Denn die Pistole hatte sicher keine Kugel im Lauf. Sie war selbst vielleicht noch nicht einmal echt. Und erst recht würde ein Partner mich nicht einfach erschießen. Wie Angst trotzdem funktionieren kann, erzähle ich euch im nächsten Artikel 😉