Die Vielschichtigkeit von Schmerzen

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Zu den seltenen Gelegenheiten, an denen es mich in den letzten Jahren auf BDSM-Stammtische verschlagen hat, habe ich häufig eine der folgenden Fragen als Einstiegsfragen gehört: Seit wann weißt du, dass du BDSM gut findest? Wie bist du dazu gekommen? Eine genauso häufige Antwortversion war: Irgendwie habe ich es schon immer gewusst, ich hab schon als Kind meine Barbiepuppen verschnürt oder ähnliche Antworten. Und irgendwie hatte ich jedes Mal in diesen Gesprächsverläufen das Gefühl nicht dazuzugehören. Warum? Auch wenn mich die Thematik von Unterwerfung und Dominanz schon immer sehr fasziniert hat, konnte ich die Fantasien nie mit mir in einer von beiden Rollen zusammenbringen. Und da sich in meinem Kopf sehr lange die Vorstellung gehalten hat, dass das Empfangen von Schmerzen mit Unterwerfung verlinkt ist und das Zufügen von Schmerzen mit Dominanz, bin ich sehr lange nicht auf die Idee gekommen, dass mein Kink einfach nur Masochismus sein könnte. Mein voreingenommener Eindruck hätte sich vermutlich schnell relativiert, wenn ich mich tiefer mit der Thematik beschäftigt hätte, aber meine Faszination war leider nicht stark genug, mich mit etwas zu beschäftigen, von dem ich mir sicher war, dass es nichts für mich ist. Und wahrscheinlich würde ich darüber immer noch im Unklaren sein, wenn ich meine ersten Spielpartner nicht außerhalb der Szene gefunden hätte. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, Erfahrungen komplett außerhalb eines Erwartungsspektrums zu sammeln.

Nachdem ich meinen Zeh das erste Mal ins kalte Wasser getaucht habe, wurde mir sehr schnell bewusst, dass Schmerzerfahrungen, denen ich mich bewusst ausetze, für mich einen sehr befreienden Effekt haben. Ich habe bis jetzt noch keine anderes Szenario erlebt, in dem ich die Möglichkeit habe, bei Bewusstsein zu sein und meine Gedanken und Grübeleien einfach loslassen zu können und mich absolut auf die körperliche Wahrnehmungsebene konzentrieren zu können. Schmerz ist für mich auch eine Herausforderung, der ich mich gern aussetze, um eigene Grenzen kennenzulernen und neu auszutesten. Mit dem Zurückziehen auf das Erleben von taktilen Eindrücken distanziere ich mich meist auch von anderen Eindrücken – weswegen ich es auch in vielen Fällen als störend empfand, wenn mein Spielpartner noch eine dominanz-geprägte Ebene einbringen wollte, die mich aus der Situation herausreißt.

Das Statement „Ich mag Schmerzen“ benötigt im Übrigen weitere Erläuterungen. Verschiedene Variationen, mir Schmerzen zu bereiten, können sehr unterschiedliche Auswirkungen haben. Damit Schmerzempfindungen eine positive Wirkung auf mich haben, dürfen sie nicht unerwartet herbeigeführt werden. Ich weiß gerne, in welcher Situation ich mich befinde und was ich ungefähr erwarten kann. Es gibt Formen von Schmerzen, die mich tiefer in die Spielsituation und die von mir vorgezogene Stille im Kopf hineinziehen können – heißes Kerzenwachs auf dem Rücken, schwere dumpfe Schläge, Bisse in den Nacken und Schultern fallen in diese Kategorie. Was diese Kategorie von Empfindungen ebenfalls eint, ist der Umstand, dass ich sie nicht nur unter dem Begriff Schmerzen einordnen würde, sondern sie haben oftmals für mich noch eine zusätzliche Konnotation eines eher wohligen, angenehmen, beruhigenden Gefühls. Scharfe Schmerzformen (für mich zählen da zum Beispiel Schläge mit schmalen, harten Gegenständen oder Bisse an empfindlichen Stellen wie Bauch) sind für mich hingegen komplexere Schmerzformen, die ich nicht immer als positiv einordnen kann und die in mir teilweise unmittelbaren Ärger und Wut auslösen (etwa die gleichen Reaktionen, die ich habe, wenn ich mir den Zeh anstoße). Generell empfinde ich sie als erträglicher oder sogar positiv, je erregter ich bin.

Alles in allem bin ich trotz des unnötig langen Umwegs inzwischen sehr zufrieden, meine Bedürfnisse besser in Worte packen und beschreiben zu können – es erleichtert mir ungemein die Umsetzung von Fantasien, ohne mich dabei in Richtungen zu verbiegen zu müssen, um diversen selbst auferlegten Vorstellungen zu entsprechen.