Verraten oder schweigen? BDSM und Coming-out

Bild von zwei Kaffeetassen mit zwei Klammern

photo credit: Donna Flagellason via Flickr cc

Ein Coming-out ist – laut dem Schwarmwissen auf Wikipedia – zuerst ein Prozess der Bewusstwerdung und anschließend ein Prozess der Bekanntmachung dieser Erkenntnisse. Man verwendet den Begriff Coming-out meist im Zusammenhang mit geschlechtlicher Identität oder Geschlechterrollen, also wenn es zum Beispiel um Homosexualität geht. Aber er wird auch im BDSM-Bereich angewendet.

Ist ein BDSM-Outing nötig?

Ich gehe deshalb auf die ursprüngliche Verwendung des Begriffs Coming-out ein, weil BDSM meines Erachtens weniger Outing-bedürftig ist als Homosexualität. (Der Einfachheit halber bleibe ich beim Beispiel Homosexualität, auch wenn es selbstverständlich noch weitere Formen gibt, die geoutet werden können.) Eine gleichgeschlechtliche Beziehung wird spätestens dann erkannt, wenn zwei Frauen oder zwei Männer offiziell ihre Partnerschaft deklarieren. BDSM hingegen läuft oft unter dem Radar, weil man nach außen hin nichts davon sieht. Vielleicht verhaut der Mann des netten Nachbarpärchens regelmäßig seine Partnerin mit dem Nudelholz, vielleicht lässt sie ihn die Küche auf Knien putzen oder vielleicht haben beide einen Wollsockenfetisch. Aber man sieht das nicht. Wenn jemand sichtbare Spuren oder Erkennungszeichen wie ein Halsband trägt, ist das eine bewusste Entscheidung, keine unvermeidbare Situation. Daher besteht in ganz vielen Fällen keine Notwendigkeit eines Outings.

Aber trotzdem gibt es einige Situationen, in denen man sich als BDSM-Anhänger outen möchte. Oder auch Personen, die man aufklären will. In welchem Umfang das geschieht, ist individuell ziemlich verschieden.

Coming-out in der Familie

Die liebe Familie … ob man sich hier outet oder nicht, ist höchst unterschiedlich. Ich könnte es mir nicht im Traum vorstellen, aber manche Frauen haben beispielsweise zu ihrer Mutter ein recht enges Verhältnis und fühlen sich besser damit, dass sie Bescheid weiß. Mein Highlight in dieser Richtung war, als ich eine Mutter und ihre Tochter kennengelernt habe, die zusammen auf die BDSM- und Fetisch-Messe Boundcon gegangen sind.

Schwierig ist es vor allem dann, wenn man noch nicht volljährig ist, aber auf einen einschlägigen Stammtisch gehen möchte. In diesem Alter ist man von den Eltern oft noch sehr abhängig, so dass diese schnell (absichtlich oder unabsichtlich) etwas mitkriegen und in der Folge oft besorgt reagieren. Die SMJG hat daher auch schon Leitfäden für Eltern und Jugendliche erstellt.

Coming-out im Freundeskreis

Ein Outing vor guten Freunden ist aus meiner Sicht ziemlich empfehlenswert. Voraussetzung ist natürlich, dass die Freunde halbwegs offen für deviante Sexualität sind und man sich mit ihnen überhaupt über Sexualität unterhalten kann. Denn damit hat man Menschen, mit denen man sich ehrlich austauschen kann – ich finde es tendenziell anstrengend, wenn ich von Erlebnissen oder Gedanken erzähle und dann erst mal überlegen muss, wem ich was erzählen kann und wem nicht. Ein offener, intensiver Austausch mit Freunden ist mir sehr wichtig und daher bin ich froh, dass große Teile meines engen Freundeskreises über das Thema Bescheid wissen und auch gut damit klarkommen.

Beachten sollte man auf jeden Fall, dass man – im Falle eines Coming-outs – den Freunden Zeit lässt, mit dem neuen Thema umzugehen. Eine gute Freundin hat hier geschildert, wie sie im ersten Moment von der Neuigkeit geschockt war und diese erst verarbeiten musste. Ein guter Indikator, wie Freunde damit zurecht kommen, ist meines Erachtens auch, ob sie nach dem Outing von selbst Nachfragen stellen oder das Thema einfach nie mehr erwähnen.

Ein Punkt, an dem man selbst auch immer sensibel handeln sollte, ist, wenn es um Outings von anderen Freunden geht. Ich habe auch hier schon darüber geschrieben, welche mehr oder weniger lustigen Verwicklungen es geben kann, wenn ein Teil der Freunde Bescheid weiß und der andere Teil nicht.

Weitere Coming-outs: Beruf, Arzt …

Der Vollständigkeit halber zähle ich jetzt noch berufliche Coming-outs auf. Es gibt einige wenige Menschen, die komplett geoutet sind, so dass auch die Kollegen Bescheid wissen. Der überwiegende Teil verschweigt dies aber. Ich kenne leider zu wenige beruflich geoutete Menschen, um hierzu Erfahrungen beisteuern zu können. Für mich ist es nichts, worüber ich nachdenke, weil BDSM Teil meines Privatlebens ist und das meine Kollegen nichts angeht.

Je nach Spielpraxis ist es unter Umständen sinnvoll, seine Ärzte über seine Aktivitäten zu informieren. Zum einen um Missverständnisse zu vermeiden, wenn man mit vielen blauen Flecken zur Untersuchung kommt. Zum anderen, um eine angemessene Behandlung sicherzustellen. Bei denen, die häufig die Spielpartner wechseln, macht es beispielsweise Sinn, von Zeit zu Zeit das komplette Spektrum sexuell übertragbarer Krankheiten zu testen. Aber dem Zahnarzt würde ich es in der Tat nicht beichten ;-).

Und jetzt?

Den Weisheit letzter Schluss gibt es natürlich auch hier nicht und man kann mal wieder das alte Motto von BDSM-Partys „Alles kann, nichts muss“ bemühen. Ein gutes Kriterium ist meines Erachtens das, ob man Redebedarf hat oder nicht und ob dieser von Szene-Freunden abgedeckt wird oder nicht. Außerdem ist relevant, welche Rolle BDSM im täglichen Leben spielt – wenn es sich „nur“ in exotischen Spielzeugen äußert, hat man wahrscheinlich weniger Überdeckungsbedarf als wenn man regelmäßig Stammtische und Partys in der ganzen Republik besucht. Man sollte auf jeden Fall einkalkulieren, wie das Umfeld mit diesen Informationen umgeht – es bringt nichts, reihenweise Leute zu überfordern, aber umgekehrt gibt es auch immer wieder Menschen, die einen mit ihrer gelassenen Reaktion überraschen. Wichtig ist vor allem, dass man sich selbst damit wohlfühlt. BDSM ist ein sehr intimes Thema und es tut einem selbst gut, nur mit den „richtigen“ Menschen darüber zu sprechen.