Erotische Aufwärmübungen und Kennenlernspiele

Vom Leben gelernt: Veranstalter*innen von Events, die sie als sexpositiv deklarieren und bei denen sie irgendwie vermuten, die Teilnehmenden könnten sich sexuell näher kommen, machen sich viele Gedanken um ihre Events. Dazu gehört oft, dass man ein Ankommensritual durchführt. Ich habe jetzt – sowohl bei Partys als auch bei Treffen in informellerem Rahmen – schon einige dieser „Aufwärmübungen“ mitgemacht und möchte davon erzählen.

Warum der ganze Aufwand?

Bevor ich gleich ein paar davon schildere: Ein wichtiger Zweck dieser gemeinsam durchgeführten Übungen besteht darin, die anderen Teilnehmenden (näher) kennenzulernen. Gerade wenn man teilnimmt und noch niemanden kennt, kann ein spielerisches Kennenlernen von anderen Teilnehmenden sehr viel wert sein – man hat später einen Gesprächsaufhänger und fühlt sich nicht mehr ganz so allein. Denn meist kommt in solchen Runden ja heraus, dass es noch mehr Menschen gibt, die niemanden kennen und daher unsicher sind.

Aber auch wenn man schon andere Teilnehmende kennt: Wichtig ist auch das Ankommen als solches. Ich kenne das von meiner Yoga-Praxis – bei den meisten Stunden gibt es am Anfang ein paar ruhige Minuten, in denen man willkommen geheißen und dazu aufgerufen wird, vom Alltagsstress in den Yoga-Space zu wechseln. Gerade umtriebige Menschen wie ich sind für ein paar ruhige Momente, in denen man sich sammeln kann, dankbar. Das ist auf sexpositiven Events nicht anders als im Yoga. Je nachdem, wo ich herkomme, musste ich womöglich hetzen oder mich einfach nur fertig machen und konnte mich dabei bis zuletzt nicht entscheiden, welches Kleid ich anziehe. Insofern bin ich meist sehr dankbar für eine kurze Erinnerung, wo ich gerade bin, und die Einladung, mich auf die kommenden Geschehnisse einzulassen.

Einige Veranstalter*innen nutzen die Gelegenheit einer Aufwärmübung auch, um die Teilnehmenden nochmal auf die Regeln einzuschwören oder sie mit ihnen vertraut zu machen. Hintergrund ist der, dass man Verhaltensweisen besser verinnerlichen und anwenden kann, wenn man sie zuvor schon mal praktisch geübt hat. Einfach nur theoretisch davon hören oder zu lesen, hat bei den meisten Menschen nur wenig Effekt, selbst wenn der gute Wille vorhanden ist. Ein spielerisches Ausprobieren dieser Praktiken (unten mehr davon) hilft den Teilnehmenden außerdem, zu erfahren, wie genau eine bestimmte Regel ausgelegt wird.

Nicht zuletzt geht es darum, eine bestimmte Atmosphäre schaffen. Je nach Ausrichtung des Events kann es darum gehen, die Teilnehmenden zu sexuellen Aktivitäten anzuregen, Gespräche zu initiieren, Hemmungen abzubauen, gegenseitige Achtsamkeit zu verstärken … die Möglichkeiten hier sind endlos. Voraussetzung für alle diese Übungen ist übrigens, dass die Teilnehmenden pünktlich kommen und gemeinsam begonnen wird.

Wie laufen diese Kennenlernspiele konkret ab?

Das gegenseitige Kennernlernen der anderen Teilnehmenden, das ich oben zuerst beschrieb, kann als klassischer Kreis ablaufen – jede*r stellt sich vor und beantwortet bestimmte Fragen, die zuvor festgelegt wurden. Beispielsweise gehört dazu die Frage, wie ich mich gerade fühle und worauf ich Lust habe. Die hat dann mehrere Effekte: Mich den anderen Teilnehmenden vorstellen, meine Achtsamkeit in Bezug auf mich selbst verstärken, mich als Teil der Gruppe fühlen, von jedem der anderen Anwesenden zumindest schon mal einen Satz gehört haben und alle Teilnehmenden ankommen lassen.

Fast schon ein Klassiker unter diesen Aufwärmübungen ist das Drei-Minuten-Spiel von Betty Martin, das auf dem Konsensrad beruht, das Pablo im Artikel Sex ist ein Geschenk schon näher beschrieben hat. Kurz zusammengefasst geht es darum, dass zwei Menschen für die Dauer von je drei Minuten die verschiedenen Rollen Dienen, Nehmen, Erlauben oder Annehmen einnehmen. Was genau man macht, wird individuell vereinbart: Das kann intensiver Blickkontakt sein, eine Nackenmassage oder auch ein kurzes Spanking – Letzeres setzt tendenziell voraus, dass man sich bereits kennt oder ansonsten seeehr schnell darin ist, eine Verbindung zu einem anderen Menschen aufzubauen. Das Ziel dieses Spiels besteht natürlich darin, zumindest einen der anderen Teilnehmenden näher kennenzulernen. Die Verstärkung einer intimen Atmosphäre geht fast zwangsläufig damit einher, außerdem sensibilisiert es die anwesenden Personen für die verschiedenen Dimensionen von Konsens. Das Thema Konsens wird im Artikel Konsens und Konsent näher beleuchtet.

Aufwärmübungen, die mit Konsens zu tun haben, erfreuen sich sowieso großer Beliebtheit. Zu den Regeln auf den Events, wo ich mich herumtreibe, gehört meistens, dass man erst fragt, bevor man eine andere Person berührt. Je nach Charakter und Hintergrund der Teilnehmenden fällt es manchen leicht und anderen umso schwerer, ihre Wünsche zu formulieren. Schließlich gehört Überwindung dazu, einen anderen Menschen zu fragen, ob er gern eine Runde kuscheln möchte, oder ihm umgekehrt freundlich zu sagen, dass man eben nicht kuscheln möchte. Letztens habe ich ein Aufwärmspiel erlebt, bei dem man der Person vor sich ein paar Minuten lauter Angebote gemacht hat und die Person immer mit Ja antworten musste. Nach Ablauf der Zeit wurden die Rollen getauscht und in der nächsten Runde mussten alle Angebote mit Nein beantwortet werden. Auch hier wurden anschließend die Rollen gewechselt. Das war zeitweise lustig, weil man natürlich, wenn eine Person immer mit Nein antwortet, angespornt ist, ein noch tolleres Angebot als bei der letzten Frage zu machen – auch wenn man weiß, dass sie ja mit Nein antworten muss. Außerdem erfährt man aufgrund der Angebote, die die andere Person macht, viel über ihre Gedanken und Ideen. Besonders liebreizend ist es auch, ein sehr enttäuschtes Nein zu hören, das deutlich macht, dass die Person außerhalb des Spiels durchaus Ja gesagt hätte. Das heißt, dass man außer dem Konsens-Verständnis der Party auch noch eine andere Person näher kennenlernt und – je nach Offenheit für die Übung – sein eigenes Kopfkino anheizt und anheizen lässt. Gerade, wenn man Lust auf intime Begegnungen hat, ist das eine angenehme „Trockenübung“, um in eine erotische Stimmung zu kommen.

Wie fühlt es sich für mich an?

Gerade bei interaktiven Übungen mit hohem praktischen Anteil haben solche Aufwärmrunden für mich den Effekt, dass ich das Gefühl habe, ich habe schon etwas erlebt – obwohl die Veranstaltung gerade erst anfängt. Ich bin selbst noch dabei, mir über dieses Gefühl richtig klar zu werden, aber ich vermute, dass es bei vielen Menschen den Druck wegnimmt, etwas Tolles erleben zu müssen. Denn sie haben ja bereits etwas Intensives erfahren.

Ich habe festgestellt, dass erotische Kennenlernen für mich nur dann funktionieren, wenn ich nur mit einem Partner oder einer Partnerin interagiere. Einmal war ich Zeuge eines Gruppen-Aufwärmspiels, bei dem ein Teil der Gruppe den anderen Teil der Gruppe, dessen Augen verbunden waren, vorsichtig in der Mitte des Raums als einen Kuschelhaufen drapiert und sich dann selbst dazu gelegt hat. Ich habe bei diesem Spiel ausgesetzt, weil es für mich enorm wichtig ist, auszusuchen und zu sehen, mit welchem Menschen ich gerade interagiere. Mir ist die Möglichkeit, zu einem anderen Menschen Ja oder Nein zu sagen, ein absolutes Grundbedürfnis. Für andere Menschen fühlt sich das teils anders an – gerade im konkret beschriebenen Fall haben mir hinterher einige Menschen sehr enthusiastisch berichtet, wie gut es sich für sie angefühlt hat.

Es ist also völlig okay, bei solchen Aufwärmspielen und Kennenlernrunden auszusetzen, wenn man sich nicht wohlfühlt mit ihnen. Insgesamt sind sie aber eine gute Möglichkeit, sich selbst ein bisschen aus der Komfortzone zu locken und auf die anderen Teilnehmenden einzulassen. Außerdem merkt man als Teilnehmender, dass sich die Veranstalter*innen intensive Gedanken um das Eventkonzept als solches gemacht haben, und das schätze ich sehr.