Konsens und Konsent

Neulich fragte mich ein guter Freund nach meiner Meinung. In einem Club, in den er öfter geht, wird sehr restriktiv mit Anmachen umgegangen. D.h. potenzielle Anmachen stehen unter Tabu und schon jeder Versuch könnte mit einem Rausschmiss bestraft werden. Auf der einen Seite werden dadurch Menschen vor fiesen Anmachen, also wenn man mit sexistischen Anspielungen jemanden herabsetzt, geschützt und haben damit einen safe space (siehe auch Artikel Geschützte Räume und Grenzüberschreitungen). Auf der anderen Seite schüchtert es Menschen ein, die mit anderen in Kontakt kommen wollen, aber nicht wissen, wie ihre Worte von anderen aufgefasst werden (können). Er erlebte das bei sexpositiven Partys (siehe Artikel Sexpositive Räume) ganz anders und wunderte sich, warum diese solche expliziten Regeln nicht brauchen und warum das dann nicht auch für Clubs gelten könnte. Ich glaube der große Unterschied ist, dass – aus guten Gründen! – in öffentlichen Räumen eine Konsens-Kultur nötig und auf etwas privateren Partys (mit ausgelesenen Gästen) auch mehr Konsent-Kultur möglich ist. Und um zu erklären, was der Unterschied ist, habe ich diesen Artikel geschrieben.

Wie schnell man Konsens und Konsent durcheinander bringen kann

Der Unterschied zwischen Konsens und Konsent ist, dass bei Konsens zu einer Entscheidung alle Beteiligten Ja sagen müssen. Bei Konsent reicht es, wenn keiner Nein sagt. In beiden Fällen kann man von der Einvernehmlichkeit ausgehen … oder kann man das? Das Problem ist, dass es vielen Menschen in bestimmten Situationen schwer fällt, Nein zu sagen, und sie dann in Situationen geraten, in denen mindestens ein Mensch denkt, ihre Einvernehmlichkeit wäre vorhanden, aber eigentlich ist sie gar nicht hergestellt worden. In vollkommen neuen und/oder experimentellen Situationen merkt man erst während dem Ausprobieren, wo die eigenen Grenzen liegen. Wie soll man da schon im Vorfeld seinen kompletten Konsens geben, wenn man noch gar nicht weiß, wie sich das für einen anfühlt? Weiter unten werde ich noch mehr zu der gegenseitigen Verantwortlichkeit schreiben, die man hat, wenn ein Konsens nicht möglich ist und man somit „nur“ einen Konsent herstellen kann.

Ich muss zugeben, ich habe früher Konsens und Konsent durcheinander gebracht, weil ich im Rückschluss dachte, wenn alles einvernehmlich war, dann wird es automatisch auch Konsens gewesen sein. Bevor ich wusste, was Konsent ist (und dass darüber unter den unten genannten besonderen Umständen auch Einvernehmlichkeit herstellbar ist), befürchtete ich manchmal, nur im Nachhinein wissen zu können, ob das jetzt Konsens war oder nicht. Denn es kam mir absurd vor, dass ich bei jedem einzelnen Schritt erst nach dem Konsens fragen müsste. „Darf ich dich jetzt hier anfassen?“, „Darf ich dich küssen?“, „Darf ich deinen Nacken kraulen?“, „Darf ich deine Brüste anfassen?“ etc. … für ein paar Menschen ist all das genau wichtig um sich überhaupt sicher zu fühlen. Für mich nimmt das jedoch die erotische Spannung aus einer Begegnung raus.

Ich finde, es ist total wichtig, dass es Räume gibt, in denen Menschen sich darauf verlassen können, dass für jede Annäherung zunächst der Konsens hergestellt wird. In einer Welt, in der man überall mit seinen Unsicherheiten konfrontiert wird, ist es wichtig, sich auch mal irgendwo sicher fühlen zu können. Für mich ist es die Gemeinschaft, in der ich lebe, für manche queer-feministische Menschen sind es extra ausgewiesene safe spaces. Solche sicheren Orte helfen, sich seiner Grenzen und Bedürfnisse bewusst zu werden – ein erster Schritt zu mehr Selbstwert. Wie ich bereits im Artikel Geschützte Räume und Grenzüberschreitungen schrieb, bin ich der Meinung, man sollte sich auch in fordernde Situationen begeben, um zu lernen mehr Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.

Welche Verantwortung haben wir bei Konsent?

Die Verantwortung in Räumen mit Konsent-Kultur würde ich zum einen mit Achtsamkeit auf die eigenen Grenzen und Bedürfnisse und zum anderen mit Empathie für die Gefühle des anderen beschreiben. Während wir zur Selbst-Achtsamkeit in diesem Blog schon einiges geschrieben haben (siehe z.B. Grenzen setzen und kommunizieren), bedarf es zur Empathie glaube ich etwas mehr Erklärung: „Es muss einfach sein, Nein zu sagen“, zitiere ich einen Mitbewohner von mir immer wieder gerne. Es ist manchmal schwer, mit einem Nein umzugehen, weil diese Zurückweisung wehtun kann oder eigene Bedürfnisse dadurch nicht befriedigt werden können. Der andere spürt das und das macht es schon schwierig, Nein zu sagen, insbesondere wenn man jemanden sehr gerne hat. Ich halte aber die damit verbundenen Gefühle bei mir und möchte diese nicht zu der Verantwortung des anderen machen. D.h. konkret, dass ich z.B. nicht mehrmals nachfrage, nicht versuche, über alternative Möglichkeiten zu diskutieren, und nicht versuche, den anderen z.B. durch Anbieten eines „Deals“ oder Einreden von Schuldgefühlen zu überreden. Inzwischen spüre ich stattdessen mehr und mehr sogar etwas wie Dankbarkeit. Ein Nein zu bekommen, bedeutet nämlich auch, dass mir damit etwas sehr Intimes vom Anderen mitgeteilt wurde und ich damit etwas „Echtes“ kennenlernen durfte.

Eine weitere Grundvoraussetzung für eine angenehme Konsent-Kultur ist, Unsicherheit nicht zu verdrängen, sondern wahrzunehmen. Wenn ich beim anderen eine Unsicherheit wahrnehme oder wenn ich mich selbst gerade unsicher fühle, ob das noch einvernehmlich ist, was ich tue, frage ich nach. D.h. nur weil man sich gemeinsam auf Konsent geeinigt hat, heißt das nicht, dass man komplett von der Verantwortung freigesprochen ist, im Zweifelsfalle nicht doch Konsens herzustellen. Entscheidungen im Konsent treffen zu wollen, kann nur eine Absichtserklärung und kein Versprechen sein.

Konsens im Club?

Wenn ich jemand Neuen kennenlerne kann ich nicht wissen, ob diese Person mich attraktiv findet und selbst wenn, ob sie in der Lage ist, auch Nein zu sagen, wenn ich mich ihren Grenzen nähere. In öffentlichen Räumen wie z.B. in Clubs, in denen ich nur mit fremden Menschen zu tun habe und bei denen ich davon ausgehen muss, dass sich viele noch nie bewusst mit ihren Grenzen und Bedürfnissen auseinander gesetzt haben, bewege ich mich daher sehr vorsichtig. Bis zum ersten Kuss habe ich ein Gespräch darüber geführt, wie die Erfahrungen mit Nein-sagen-können meines Gesprächspartners aussehen. Und wenn ich empathisch eine gegenseitige Anziehung zu spüren glaube, so ist mir bis zum ersten Kuss der Konsens für das, was ich tun will, so wichtig, dass ich tatsächlich alles noch frage. Ein Kuss ist jedoch kein Vertrag. Auch wenn ich mich nach dem ersten Kuss nochmal versichere, ob der andere Nein sagt, wenn ich zu weit gehe, frage ich dann nicht mehr bei jeder Berührung nach. Und dennoch bedeutet ein Kuss nicht, dass ich machen kann, was ich will, weil ich weiterhin achtsam bleibe – auch wenn bei einem leidenschaftlichen Rendezvous große Teile dieser Absprachen dann nonverbal stattfinden.