Grenzen setzen und kommunizieren
Der Titel von Aurelianas letztem Artikel hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, dass das Verschieben der eigenen Grenzen nicht nur ein positives Erlebnis sein kann. Einige meiner jüngsten Versuche, meine Grenzen in unterschiedliche Richtungen zu erweitern, haben mir das Gefühl gegeben, mich selbst zu verraten und meine persönliche Integrität aufzugeben. Im Nachhinein war mir in den meisten Momenten gar nicht richtig bewusst, dass ich in kleinen Schritten die Bereiche verlassen habe, die für mich einen zentralen Teil meiner Vorstellung von guten zwischenmenschlichen Beziehungen ausmachen.
Ich konnte bis jetzt zwei Formen von Grenzen für mich unterscheiden. Auf der einen Seite gibt es die Form von Grenzen, die vermutlich auch Aureliana in ihrem Artikel anspricht, welche wir oft setzen, um uns damit vor negativen Erfahrungen zu schützen. Dabei haben viele Ängste, die uns zum Setzen dieser Grenzen veranlassen, ihren Ursprung in einem Gefühl von Unsicherheit und Scham, wie zum Beispiel dem Unwohlsein, sich in körperliche Situationen hineinfallen zu lassen, der Befürchtung, die Kontrolle über eine Situation zu verlieren, oder der Angst, sich in zwischenmenschlichen Situationen zu blamieren. Meiner Erfahrung nach können sich diese selbstgebauten Schutzwände von selbst verschieben oder gänzlich wegfallen, wenn man sich an Situationen gewöhnt, positive Erfahrungen sammelt, mehr Informationen zu einem Thema gesammelt hat oder Menschen – entweder einzelne Personen oder Gruppen – findet, die einem das Gefühl geben, sich fallen lassen zu können.
Dann gibt es noch die zweite Sorte von Grenzen, die sich eher an den grundlegenden Wertevorstellungen und Bedürfnissen einer Person orientieren. Zum Beispiel, welche Beziehungsform ideal für eine Person ist, wie viel Zeit man mit seinen Partnern verbringen möchte oder auch, wie intensiv man das eigene Leben mit dem seiner Partner verweben möchte. Natürlich sind die Übergänge hier fließend und das, was für die eine Person eher eine selbst auferlegte Grenze ist, ist für die andere Person ein wichtiger Bestandteil zum Führen eines authentischen Lebens. Und ich gehe davon aus, dass es einen fließenden Teil von Bedürfnissen und Grenzen zwischen diesen beiden Enden auf der Skala gibt. Und während das Ausweiten auf der einen Seite teilweise sogar einer Befreiung gleichkommen kann, kann der Versuch der Erweiterung von Grenzen, die in dem fundamentalen Bedürfnisbereich einer Person stehen, auf der anderen Seite sehr leicht dazu führen, dass man sich konstant fehl an seinem Platz fühlt.
Ich habe mich häufig gefragt, warum ich diese Grenzen trotz des unguten Bauchgefühls, welches ich dabei durchaus immer wieder wahrgenommen habe, zwanghaft verschieben wollte. Die Wahrheit liegt wohl auf der einen Seite darin, dass man durchaus bereit ist, Warnsignale zu ignorieren, wenn man sich emotional an einen Menschen gebunden fühlt. Auf der anderen Seite haben mir zu dieser Zeit wohl noch das Bewusstsein und die Erfahrung dafür gefehlt hat, dass es bestimmte Rahmenbedingungen gibt, welche die bewusste Entscheidung, Grenzen auszuweiten oder beizubehalten, stützen.
Eine dieser Bedingungen ist es, dass man irgendwann anfängt für sich herauszufinden, welche Grenzen man eventuell bereit ist zu überschreiten und welches harte Grenzen sind. Nur dann besteht überhaupt die Möglichkeit, ein sinnvolles Gespräch mit seinen Mitmenschen über Grenzen und Bedürfnisse zu führen.
Und genau hier liegt eine der Schwierigkeiten, die ich in der Kommunikation dieser Themen für mich festgestellt habe, die vermutlich daher rührt, dass ich gerade ziemlich am Anfang sowohl meiner Poly- als auch meiner BDSM-Erfahrungen stehe. Ich kann meine gefühlten Grenzen und Bedürfnisse noch nicht gut auf der oben genannten Skala einordnen oder, was für mich noch schlimmer ist und mir bei Nachfragen auch unangenehm ist zuzugeben, ich kenne viele meiner Grenzen noch nicht genau. Ich habe zu wenig Erfahrung, um jemandem mitzuteilen, wie häufig ich Kontakt brauche, um mich mit einem Partner wohlzufühlen – ich weiß, dass ich einen Informationsfluss brauche, um zu wissen, wie es in dem Leben der anderen Person aussieht, könnte aber nicht von vorneherein sagen, wie ein Mindestmaß von Kommunikation aussieht.
Eine andere Rahmenbedingung, die das Einhalten oder den Wunsch nach Veränderung seiner Grenzen unterstützt, ist die Fähigkeit, dies sinnvoll seinen Mitmenschen (Partnern, Spielpartnern, Freunden) zu kommunizieren. Dabei empfinde ich Techniken wie gewaltfreie Kommunikation als sinnvolles Hilfsmittel, da ich aus persönlicher Erfahrung gelernt habe, dass weder aggressive Forderungen noch passiv-aggressive Taktiken förderlich im zwischenmenschlichen Verständnis sind. Meine persönliche Schwäche in der Kommunikation von Bedürfnissen und Grenzen lag oftmals darin, diese entweder ganz zu verleugnen oder hinter die Bedürfnisse meiner Partner zu stellen (eine typische Falle in polyamourösen Beziehungen, in die ich auch schon getappt bin, ist das Hintanstellen der eigenen Bedürfnisse, wenn man als dritte Person in eine Dreier- oder V-Beziehung eintritt). Ich musste jedoch feststellen, dass mich das konstante Verleugnen der eigenen Bedürfnisse durchaus in eine Lage der konstanten emotionalen Instabilität versetzen kann, in der ich verstärkt zu Stachelschweinverhalten neige und häufig gereizt auf meine Gegenüber reagiere.
Ich gehe davon aus, dass es mir mit mehr Erfahrungen leichter fallen wird, meine eigenen Grenzen abzustecken, und bin sehr daran interessiert, welche Erfahrungen ihr mit diesen Themen gemacht habt. Ist es euch mit der Zeit leichter gefallen, eure eigenen Bedürfnissen und Grenzen einzuschätzen? Hinterfragt ihr die Hintergründe eurer eigenen Bedürfnisse und Grenzen regelmäßig und wie häufig verschieben sie sich bei euch?