Nein-Sager statt Ja-Denker – Überlegungen über die Kommunikation von Wollen und Nicht-Wollen

photo credit: Ariel G! via Flickr cc

Der folgende Artikel soll eine Tendenz beschreiben und ist nicht pauschalisierend zu verstehen. Mir ist im Übrigen bewusst, dass er einen sehr heterosexuellen genderbinären Ansatz darstellt, der meiner persönlichen Erfahrung geschuldet ist.

Vor einiger Zeit saß ich mit einem Partner in einer Bar in meinem ehemaligen Studienort. Wir wurden von einer jungen Frau mit beeindruckenden roten Dreadlocks bedient, die uns beide sehr begeisterte. Nach einer Weile sind wir alle drei in ein Gespräch gekommen, haben festgestellt, dass wir uns ziemlich sympathisch sind und haben uns schließlich alle darauf geeinigt, uns am nächsten Tag wieder zu treffen. Auf dem Rückweg zu unserem Appartement unterhielten wir uns über den Abend und mein Partner schien fest davon überzeugt zu sein, dass das Treffen am nächsten Tag in körperliche Annäherungen münden würde. An diesem Punkt bremste ich ihn und warf ein, dass ich mir immer noch nicht sicher wäre, ob sie uns überhaupt beide interessant findet. Seine Antwort darauf ist mir immer noch im Gedächtnis geblieben: „Dann überzeugen wir sie eben.“ Bei mir hat diese Aussage den unangenehmen Beigeschmack hinterlassen, dass in seinen Augen eine potenzielle Ablehnung von Seiten unserer neuen Bekanntschaft erstmal kein Hindernis darstellen würde, da man hier sicher noch weiteren Verhandlungsspielraum hätte. Ich finde es jedoch ziemlich bevormundend, die Entscheidungen von anderen Menschen hinterfragen und seinen eigenen Vorstellungen anpassen zu wollen.

Aktives männliches Rollenbild vs. passives weibliches Rollenbild 

Ich habe daraufhin immer mal wieder über diese Äußerung nachgedacht und überlegt, warum es eigentlich immer noch gesellschaftlich als akzeptabel gilt, Entscheidungen von Menschen, in Bezug auf ihre eigenen Grenzen, Wünsche und Bedürfnisse als gegenstandslos und anfechtbar anzusehen. Ich erinnere mich noch gut an ein Skype-Gespräch mit einem Mann vor mehreren Jahren, in dem meine Begründungen, warum ich mit ihm keine Beziehung haben wollte, eine Stunde lang konstant hinterfragt und Gegenargumente von seiner Seite gefunden wurden. Mir ist bis heute nicht ganz klar, warum man überhaupt das Bedürfnis haben könnte, mit einem Menschen eine Beziehung anzustreben, der vorher klar seine Ablehnung zum Ausdruck gebracht hat. Ich habe den Verdacht, dass ein Teil dieser Denkweise immer noch aus den konstruierten Verhaltensweisen unserer Geschlechterrollen herrührt, in denen das männliche Rollenverhalten als das aktive und das weibliche als das passive angesehen wird. Soll heißen, viele Frauen erleben mit einer gewissen Regelmäßigkeit von Männern recht deutliche Annäherungsangebote. Wohingegen Männer, gerade in der Anfangsphase von romantischen und sexuellen Kontakten, häufig Schwierigkeiten haben, das zurückhaltenden Verhalten ihres weiblichen Gegenübers zu interpretieren. Was nicht heißen soll, dass die meisten Männer Frauen gegen ihren Willen eine Situation zwingen, sondern dass sie meist etwas unsicher in einer Nebelwand aus vagen Äußerungen herumtasten und dabei hoffen, dass für alle Beteiligten etwas Gutes rauskommt (es soll natürlich auch solche geben, die diese Muster für ihren eigenen Vorteil ausnutzen). Und auch wenn wir diese Rollenbilder inzwischen auf vielen Ebenen anfechten und hinterfragen, so habe ich doch den Eindruck, dass diese Muster gerade im Hinblick auf den Themenbereich Partnersuche, romantische Annäherungen, Balzverhalten immer noch in unseren Köpfen feststecken.

Geht es nur mir so?

Ich habe daraufhin eine kleine Umfrage in meinem männlichen Freundes-/Bekanntenkreis gestartet, um herauszufinden, wie viele davon in der Initiationsphase von körperlichen Intimitäten von ihrem weiblichen Gegenüber aktive Zustimmung erfahren haben – der Kreis der Befragten kam hier allgemein aus einem recht feminismusfreundlichen, sexpositiven Umfeld. Die Reaktionen waren gemischt, wiesen aber eine starke Tendenz in eine Richtung auf. Bei einem Teil musste ich nach der Eingangsfrage noch einwerfen, dass aktive Zustimmung nicht mit der Abwesenheit von Widerspruch gleichzusetzen ist, sondern eine verbale, klar positive Äußerung meint oder zumindest eine aktive körperliche Handlung des Gegenübers. Viele haben meine Vermutung bestätigt, dass gerade die ersten Annäherungsversuche häufig mit vielen Unsicherheiten einhergehen, weil das weibliche Gegenüber keine klare Zustimmung oder Ablehnung äußert. Einige haben mir auch erzählt, dass sie im Nachhinein bei einigen Ereignissen unsicher sind, ob das Grenzüberschreitungen waren, da es zwar keine klare Ablehnung gab, aber die andere Person danach nicht sehr glücklich über die Ereignisse war. Ein kleiner Teil hat mir berichtet, dass sie sich zwischenzeitlich dafür entschieden haben, den körperlichen Annäherungsprozess lieber abzubrechen, solange sie sich über die Wünsche des Gegenübers im Unklaren sind.

Warum sind wir Frauen so?

Ich denke, die Gründe für das zurückhaltende weibliche Verhalten sind, dass sich viele Frauen in solchen Situationen unsicher in Bezug auf die eigenen Bedürfnisse sind und darum sorgen, dass sie mit einer Zustimmung die Zügel vermeintlich komplett aus der Hand geben. Nicht zuletzt spukt vielen wahrscheinlich immer noch die Idee im Hinterkopf herum, man würde als Frau etwas „verlieren“, wenn man sich zu schnell und zu bejahend zu sexuellen Handlungen äußert. Und das sind nur die Konflikte, die in einem vorgehen, wenn man schon weiß, dass man das Gegenüber an sich zumindest schon interessant findet. Oftmals steht ein Mann auch vor dem Dilemma, dass viele Frauen darauf sozialisiert sind, kein klares Nein zu kommunizieren, weil sie nicht unhöflich sein wollen, den anderen nicht verletzen wollen, keinen Aufruhr veranstalten wollen oder sich dem männlichen Gegenüber nicht erklären wollen – eine aus meiner Sicht durchaus berechtigte Sorge: Ich habe schon mehrere anstrengende Diskussionen hinter mir, in der mein Nein als solches nicht akzeptiert wurde, sondern ich meine Gründe auch noch erklären sollte und mein Gegenüber anschließend versucht hat, mir diese zu widerlegen. Und ich habe auch schon in einigen Situationen zugelassen, dass meine persönlichen Grenzen überschritten wurden, wenn ich das Gefühl hatte, mit der Grenzüberschreitung schneller und ohne Stress eine Situation wieder verlassen zu können. Vor ungefähr einem Jahr war ich mit einer Freundin in einer Bar und wir wurden von zwei Männern angesprochen, die sich mit uns unterhalten wollten. Weder sie noch ich hatten Lust darauf, unsere kostbare Zeit zu zweit mit anderen zu teilen und haben abgelehnt. Daraufhin kamen die Nachfragen, warum nicht, schließlich hat einer von ihnen gebeten, meiner Freundin einen Kuss auf die Stirn geben zu dürfen, und nachdem sie abgelehnt hat, hat er mich gefragt. Ich hatte den Eindruck, dass ich am schnellsten aus dieser für mich stressigen Situation entkommen könnte, wenn ich das zulassen würde (und hatte mit der Vermutung auch recht, die beiden sind danach gegangen). Es war kein dramatisches Erlebnis, aber im Nachhinein denke ich mir, dass ich eigentlich für mich hätte eintreten müssen, und dass es in Ordnung ist, auch mal unbequem zu sein, wenn ich meine Grenzen überschritten sehe.

Ich würde mir im Interesse aller Beteiligten wünschen, dass wir anfangen, diese Umgangsweise miteinander, gerade was dieses sensible Thema angeht, zu überdenken und umzugestalten.

Aber es ist anstrengend, seine eigenen Wünsche mitzuteilen

Einen Menschen kennenzulernen, auszuloten, was beide Seiten wollen und herauszufinden, wo sich die Wünsche aller Beteiligten überschneiden, ist an sich schon anstrengend genug. Ich stelle es mir wirklich beängstigend vor, dabei auch noch dem gesellschaftlichen Erwartungsdruck zu unterstehen, den aktiven Part einnehmen zu müssen und mit einem Gegenüber konfrontiert zu sein, das nicht klar seine Wünsche signalisiert und dessen Reaktionen dabei häufig nicht eindeutig sind. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es häufig in Situationen ist, dem Gegenüber zu sagen, was ich genau in diesem Moment gerne hätte. Man macht sich durch solche Äußerungen verletzlich und neben der Chance auf ein freudiges Ja riskiert man auch die Enttäuschung eines ablehnenden Neins. Beides sind aber Erfahrungen, die wahnsinnig befreiend sein können.

Ich denke, wir vergeben zum Beispiel viele Chancen auf Erlebnisse, die zwischen gar nicht und dem Absoluten liegen. Ich denke, wir vergeben die Möglichkeit auf wundervolle körperliche Annäherungen, weil wir zu viel Angst haben, die Entwicklung der Ereignisse nicht mehr abbremsen zu können. Ich habe mir den Vorsatz gesetzt, Menschen zu sagen, wenn ich sie toll finde. Wenn ich in dem Moment Nähe zulassen möchte, aber eine gewisse Grenze nicht überschreiten will, sollte ich genau das sagen. Wenn sich bestimmte Sexualakte für mich nicht so gut anfühlen, aber andere richtig sind, will ich das sagen. Wenn ich mir zukünftig unsicher bin, ob sich die Situation für die anderen Beteiligten in eine gute Richtung entwickelt, frage ich nach. Vielleicht fühlt es sich manchmal holprig an, diese Themen zur Sprache zu bringen, aber wenn ich mit dem Gegenüber nicht abklären kann, ob Tempo und Richtung für beide Beteiligten in Ordnung sind, dann kann ich mich auch nicht darauf verlassen, dass rechtzeitig Stopp gesagt wird, wenn Dinge nicht mehr in Ordnung sind. Letzten Endes ist es dann überhaupt fragwürdig, ob mein Gegenüber für sexuelle und romantische Kontakte überhaupt eigenverantwortlich genug ist. Dafür ist es aber auch wichtig, das Nein oder Stopp des Gegenübers zu akzeptieren.

Wir müssen uns bewusst werden, dass unsere Entscheidungen und Wünsche wichtig sind und uns nicht ausgeredet werden sollten – vor allem nicht dann, wenn wir vermuten, dass das Gegenüber vor allem aus seinem eigenen Interesse heraus und nicht in unserem argumentiert. Wir und unsere Wünsche und Bedürfnisse sind niemals zu prüde, zu nuttig, zu anspruchsvoll oder zu kompliziert. Und wenn wir unserem Gegenüber nicht vertrauen können, diese zu respektieren, ist das das erste und einzige Zeichen dafür, dass wir diesen Menschen stehen lassen und uns einen anderen suchen sollten. Wir sind es immer wert, respektiert zu werden.

Wir alle schulden unserem Gegenüber keine Rechtfertigungen, kein Ablesen von Wünschen, keine sexuellen Handlungen. Aber wir sind es uns selbst schuldig, eigenverantwortlich, ehrlich und authentisch zu handeln und zu kommunizieren. 

Was die Begegnung mit der Kellnerin angeht: Hier habe ich am nächsten Tag herausfinden dürfen, wie ein aktives Ja tatsächlich aussehen kann und was für eine Sicherheit es in dem weiteren Verlauf von körperlichen Annäherungen geben kann. Meine Bedenken, dass sie sich nicht für mich und meinen damaligen Partner interessieren könnte, waren danach jedenfalls ausgeräumt.