Die Gemeinschaftssuche als Selbstfindungstrip, Teil 2: Scheiße, ich bin ein Hippie.

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photo credit: Anders Ljungberg via Flickr cc

Wie ich bereits im ersten Teil dieser Artikelreihe beschrieb, bekam ich durch „Sieben Linden“ einen ersten Eindruck von einem alternativen Lebensstil in einer Kommune. Über Eurotopia suchte ich mir Gemeinschaften heraus, die speziell für mich wichtigen Kriterien – wie im Artikel „Was Menschen suchen, die Gemeinschaften suchen“ beschrieben – entsprachen. Und auf den Webseiten der Gemeinschaften suchte ich mir die Termine für Infowochenenden oder Info-Cafés heraus. Eins vorweg: Die Gemeinschaften, die nur Info-Cafés anboten, ermöglichten es mir nur schwer, einen umfassenden Eindruck von dem Ort und den Menschen zu bekommen. Das liegt unter anderem daran, dass ich immer ein paar Tage brauche, um an einem Ort emotional „anzukommen“. Auch wenn manche Leser sich vielleicht schneller auf einen Ort einlassen können, empfehle ich jedem, der sich ernsthaft eine Gemeinschaft anschauen will, ein Info-Wochenende mitzuerleben oder sogar an Mitmach-Wochen teilzunehmen.

Doch noch bevor ich mir die ersten Gemeinschaften heraussuchen konnte, meldete sich die Wilde Gärtnerei bei mir mit einem Aufruf, eine gemeinsame Gemeinschaft zu gründen. Bei der Auftaktveranstaltung stellte man gemeinsam fest, dass wir alle ein Dorf gründen wollen, in dem jeder von jedem neue Kompetenzen und Erfahrungen erlernen kann. Auch wenn ich – für mich – bereits beschlossen hatte, keine Energie mehr in einen Neugründungsprozess zu stecken, schloss ich mich der Gruppe (kurz LeDoGem wie Lerndorfgemeinschaft) an, um zur Inspiration gemeinsam bestehende Gemeinschaften anzuschauen.

GanzVielLand: Aus einem Hundehotel wird ein Ökodorf

Und so führte mich sehr spontan die erste Begegnung zur „Birke11“. Ein altes Hundehotel, das nun mit viel Engagement von der Gruppe GanzVielLand zu einem Ökodorf mit 100 bis 300 Menschen umgebaut werden soll. Das Grundstück soll demnächst gekauft werden und der Bebauungsplan zur Legalisierung für das Wohnen soll auch demnächst eingereicht werden. Für Menschen wie ich, die so schnell wie möglich aus der Konsumgesellschaft aussteigen wollen, ist das natürlich eine große Hürde. Für Menschen, die aber gerne von Anfang an eine Gemeinschaft mitgestalten wollen, ist das Grundstück sehr attraktiv: Es gibt 80 Hektar Land für Permakulturen, Forstwirtschaft und hoffentlich auch viel Wohnbau. Das alte Hundehotel bietet sofort Platz für mindestens 40 Menschen, einen Pool, ein Observatorium aus der Zeit, als das Gelände noch als Funkstation genutzt wurde, und eine Werkstatt aus derselben Zeit. Auf der Zugfahrt fragte mich mein Begleiter aus der LeDoGem, warum ich für meinen Arbeitgeber arbeite, und ich erzählte ihm, dass er günstigen Wohnraum in den Metropolen schaffen kann – daran mangelt es ja. Daraufhin sagte er etwas, was mich noch einige Wochen beschäftigen sollte (sinngemäß): „Ihr ermöglicht Menschen, ein Leben in der Konsumgesellschaft zu führen, und damit trägst du zum Erhalt der Konsumgesellschaft bei.“

Ich finde noch immer es in Ordnung, wenn Menschen nicht so denken wie ich und in einer Konsumgesellschaft leben wollen. Und ich finde es auch gut, dass es Menschen wie meinen Chef gibt, die es diesen Menschen ermöglichen so zu leben, wie sie denken, dass es richtig ist. Aber was ich inzwischen nicht mehr in Ordnung finde, sollte ich erst später im ZEGG herausfinden.

Jahnishausen: Wie bereichere ich eine Gemeinschaft?

Als Nächstes fuhr ich zur Gemeinschaft Jahnishausen. Im Vergleich zu den anderen Gemeinschaften war die Gruppe des Infowochenendes mit fünf Teilnehmern ziemlich klein. Dadurch konnten wir aber über das Kennenlernen hinaus viel intensiver über unsere eigenen Motive nachdenken. Und zum ersten Mal klärte ich die Frage, was ich eigentlich in eine Gemeinschaft einbringen kann. Ich will für die Gemeinschaft mit meiner Kompetenz als Architekt wirken können und eine Gemeinschaft mit (neuen?) Spielen bzw. durch mein verspieltes Wesen beleben und/oder lebendig halten. Leider waren genau das auch die Gründe, warum die Gemeinschaft Jahnishausen nicht zu mir passt: Zum einen konzentrieren sich die architektonischen Aufgaben auf Restaurierungen bzw. den Umbau des Schlosses und des Gutshofes. Zum anderen liegt die Kraft des Ortes und der Menschen im Vergleich zu anderen Gemeinschaften in ihrer ausgeglichenen Ruhe. Beides Dinge, die zu mir nicht passen – auch wenn ich den Reiz daran durchaus verstehen kann.

gAstwerke: Konzept der gemeinsamen Ökonomie

Meinem Vater hatte ich das Angebot gemacht ihn zu pflegen, wenn es nötig wird. Als er hörte, dass ich auf Gemeinschaftssuche bin, war er sofort von der Idee genauso angetan wie ich und fragte, ob ich ihn denn irgendwohin mitnehmen könne. Zusammen schauten wir uns an einem Wochenende die gAstwerke in Escherode und den Lebensgarten Steyerberg an. Beide boten Info-Cafés an. Die gAstwerke waren für meinen Geschmack zu klein, gehören aber zu einem größeren zusammenhängenden Netzwerk von Kommunen (Interkom) um Kassel herum. Dort hörte ich zum ersten Mal vom Konzept der gemeinsamen Ökonomie. Grob vereinfacht werden alle Gewinne und Einkünfte in einen gemeinsamen Topf geworfen und wenn jemand sich oder für die Gemeinschaft etwas kaufen will, kann er sich bis zu einer bestimmten Summe das Geld daraus nehmen. Oberhalb dieser Summe muss man die Neuanschaffung vorher ankündigen, damit jeder schauen kann, ob er vielleicht etwas Adäquates in seiner Wohnung hat, das er weggeben kann. Unser Führer schien jedoch etwas betrübt, da für seinen Geschmack zu viele Anschaffungen für privates Eigentum gemacht werden und er gerne mehr Gemeinschaftseigentum hätte. Ich persönlich fand das nicht so schlimm, konnte aber damals noch nicht die Tiefe dieses Konzeptes erfassen. Spontan durften mein Vater und ich auf dem Gelände zelten – die Gemeinschaft macht ihrem Namen alle Ehre. Besonders hervorheben will ich noch das Tomatenmuseum.

Lebensgarten Steyerberg: Bodenständige Baugemeinschaft

Am nächsten Tag ging es zum Lebensgarten Steyerberg. Als ich auf der Website „gelebte soziale, ökologische und spirituelle Visionen“ las, hatte ich ein ungutes Gefühl wegen des Worts „spirituell“. Vor Ort war jedoch von einer Gemeinschaft, die den Bezug zur Realität verloren hat, absolut nichts zu spüren. Stattdessen machte die Gemeinschaft wahrscheinlich den bodenständigsten Eindruck von allen Gemeinschaften, die ich besucht habe. Manche mieten dort Häuser und manche besitzen ein eigenes Haus. Ein bisschen erinnerte mich die Gemeinschaft mehr an eine große Baugemeinschaft, weil das Gemeinschaftsleben insbesondere von dem Teilen von Gemeinschaftsgut (Plätze, Autos, Nahrungsmittel) geprägt ist, einen aber ansonsten wenige „Gemeinschaftsbildende Maßnahmen“ erwarten. Spirituell gibt es für jede Glaubensform Orte, so dass Buddhisten, Guru-Anhänger, Schamanisten und Christen nebeneinander ihrer jeweils individuellen Form frönen können. Ökonomisch gesehen schien mir die Gemeinschaft ein krasses Gegenteil zu den gAstwerken zu sein, da das Geld überall als Tauschmittel benutzt wird: Z.B. schreibt im Bioladen jeder genau auf, was er verbraucht, und die Häuser sind in privater Hand. Für mich hatte die Gemeinschaft deswegen noch mehr von dem negativen Beigeschmack wie in Sieben Linden: Um Anschluss zu finden, muss man zwar sein komplettes Leben umstrukturieren, aber wie man dann Arbeit in Steyerberg findet oder das Geld für ein eigenes Haus zusammenklaubt, ist jedem selbst überlassen.

ZEGG: Intensive Selbsterkenntnis

Verschiedene Freunde und Bekannte haben mir immer wieder nahe gelegt, dass ich doch das ZEGG besuchen solle. Tatsächlich war das ZEGG die Gemeinschaft, die mir über einen Polyamorie-Stammtisch mitgeteilt wurde und somit die erste Gemeinschaft in der Form war, die – solidarisch betrachtet – über eine Baugruppe hinaus geht. Leider fand ich damals bei meiner Recherche einige Horror-Nachrichten über das ZEGG. So war das ZEGG lange Zeit als Sexsekte und für ihre sexuell entgrenzenden Erfahrungen bekannt. Inzwischen hat sich Einiges im ZEGG verändert. Es leben sogar einige in nahezu Kleinfamilien dort. Nahezu sage ich, weil es ein so genanntes Kinderhaus vor Ort gibt, das nur den Kindern gehört, und somit die Kleinfamilie teilweise aufgehoben wird: Die Kinder sind nach der Schule mit anderen Kindern zusammen und kommen erstmal nicht „nach Hause“ zu ihren Eltern.

Das ZEGG war in meiner Gemeinschaftssuche so etwas wie ein emotionaler Höhepunkt. Ich musste mich an diesem Wochenende einigen meiner Blockaden stellen und konnte sie sogar lösen. Zum einen war da diese Sache, dass ich mal einen Film über das Schloss Tempelhof gesehen und mir die Dokumentation sehr gut gefallen hatte, bis zu dem Punkt, an dem die Bewohner angefangen hatten zu singen. Ich weiß nicht, warum mir das solches Unbehagen bereitete, aber im ZEGG habe ich mich darauf eingelassen, ähnliche Lieder zu singen – und erstaunlicherweise hat es sehr gut getan. Zum anderen wurde im ZEGG „das (Selbstdarstellungs-)Forum“ entwickelt: Eine Person steht in der Mitte der Gruppe und erzählt über irgendetwas, was sie bewegt. Der Rest der Gruppe versucht, nur zu beobachten und nicht zu bewerten. Normalerweise kann es nach so einem Vortrag eine Feedbackrunde geben, in der alle sagen können, was sie beobachtet haben. In kleiner Form haben wir das Forum ausprobiert und ich sagte mir, ich war ins ZEGG gekommen, um jede Erfahrung mitzunehmen. Vielleicht wäre es auch gar nicht so schlimm, wie mir die Vorstellung Unbehagen bereitet. Und tatsächlich war es extrem befreiend. Da mich noch immer beschäftigte, was mich an meiner derzeitigen Arbeit stört, hörte ich mich auf einmal sehr wütend sagen: „Und ich sehe es nicht ein, noch weiter meine Arbeitskraft in ein System zu stecken, das ich nicht unterstütze“. Es ist schwierig zu beschreiben, was das SD-Forum mit einem macht, wenn man es selbst noch nicht erlebt hat. Aber ich erkannte den Sinn, da man – wahrscheinlich durch die ungeteilte Aufmerksamkeit – dazu angestochen wird, richtig authentisch zu sein, und das ermöglicht der Gruppe, jemanden intim kennenzulernen. Die authentischen Mitteilungen mancher Anwesenden hatten mich emotional so bewegt – es lässt sich schwer beschreiben.

Mit diesem Gefühl ging ich auf den Tanzabend des ZEGGs und als ich auf die Bühne schaute, dachte ich „Mensch, da tanzen ja lauter Pablos“. Zwar hörte ich später, dass größtenteils Gäste anwesend waren, aber der Ort stiftet irgendwie dazu an, seiner Stimmung freien Lauf zu lassen, und da wurde mir bewusst: „Scheiße, Ich bin ein Hippie“.

Erfahrt im letzten Teil, der am 16.12. erscheint, wie mich diese Erkenntnis dann aber doch nicht ins ZEGG, sondern in die Kommune Niederkaufungen führte.

Der Abschnitt über die Coolmühle wurde auf Wunsch der Gemeinschaft am 28.11.2016 aus dem Artikel entfernt.