Die Gemeinschaftssuche als Selbstfindungstrip, Teil 3: Ich werde Kommunist.

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Ich hatte vor meiner Reise durch Ökodörfer und Gemeinschaften gesagt, ich müsse ja nicht gleich in eine Kommune ziehen. Kommune war für mich der Inbegriff von Menschen, die aus dem System aussteigen wollen und deswegen eine vollkommene Autarkie anstreben. Dieser Idealismus schien mir verblendet zu sein. Genauso wie ich mir immer „Hippies“ vorgestellt habe: Menschen, die so sehr damit beschäftigt sind, sich von allen Zwängen zu befreien, dass sie jeden Bezug zur Realität verlieren. Wie das aber mit Vorurteilen so ist, stellte sich dieses bei genauerem Hinschauen als Illusion heraus.

Abbau von Vorurteilen

Warum hatte ich Angst davor ein Hippie zu sein? Im ZEGG hatte ich noch die Möglichkeit meine erste Vermutung zu äußern: Authentisch mit seinen Gefühlen wie ein Hippie zu sein, finde ich oft anstrengend. Die Antwort aus dem ZEGG beruhigte mich absolut nicht: „Ja, authentisch sein ist oft anstrengend, aber ich kann gar nicht mehr anders als authentisch zu sein.“ Wow, ich bewundere das sehr und ich kann bis heute nicht erklären, warum ich so nicht werden will und warum ich es wichtig finde, auch mal nicht authentisch sein zu müssen. Wahrscheinlich betrachte ich das Leben und die Gesellschaft als Spiel. In diesem Spiel kann ich verschiedene Rollen spielen und manche davon sind mein authentisches Ich und manche eben nicht. Lebenswert empfinde ich sie aber alle.

Ganz frei machen kann ich mich aber auch nicht von dem allgemeinen Vorurteil, dass der Mainstream Hippies für arbeitsscheue Leistungsverweigerer hält. Eine Gemeinschaft aufrecht zu halten, ist jedoch verdammt viel Arbeit, so dass jeder, der schon mal in einer Gemeinschaft war, sehen könnte, dass dieses Vorurteil nicht stimmt. Dennoch ist für mich das Thema „Wie möchte ich arbeiten und welchen Sinn hat das?“ extrem wichtig geworden. Vielleicht wollte ich deswegen nicht von „Außenstehenden“ in eine Schublade gesteckt werden, in die ich nicht passe?

Gemeinsame Ökonomie in Niederkaufungen

In meiner Vorbereitung auf meine letzte Station der Gemeinschaftssuche las ich das Grundsatzpapier der Kommune Niederkaufungen. Ein Freund sagte mir, es liest sich wie das kommunistische Manifest. Auch mir kam es sehr ideologisch vor und dennoch berührten mich einige Punkte in den Punkten, die mich in unserer Konsumgesellschaft regelmäßig ärgern. Positiv erfreut war ich dann, als ich das Ergänzungspapier, in dem die tatsächlich gelebte Praxis erklärt wird, las. Und wenn man schon 30 Jahre besteht, muss man natürlich Lösungen gefunden haben, wie man mit seinem Nachbar „Konsumgesellschaft“ umgehen will – statt Idealismus: Pragmatismus.

In der gelebten Realität unterscheidet sich die Kommune Niederkaufungen von einem Ökodorf nur dadurch, dass sie gemeinsame Ökonomie lebt. Das Konzept hatte ich bereits in Teil 2 meiner Artikelreihe erklärt, aber erst in der Kommune Niederkaufungen wurden mir die Vorteile richtig klar. Zum einen verdient quasi jeder dasselbe Geld, denn selbst wenn man nicht bei einem der kommuneneigenen Betriebe angestellt ist, fließt der Gewinn nach Abzug aller Steuern und Versicherungen direkt in die gemeinsame Kasse. Eigentlich hat jede normale Familie bereits eine gemeinsame Ökonomie. Mit der Ausweitung auf eine ganze Gemeinschaft muss natürlich auch dasselbe Vertrauen wie in einer Familie vorhanden sein. Aber genau das ist einer der Gründe, warum ich in eine Gemeinschaft will.

Ungewöhnliches Begrüßungsritual

Als ich in Sieben Linden gewesen war, ist man am Anfang, als Begrüßungsritual und um die Gruppe kennenzulernen, durch den Raum gelaufen. Auf ein Signal der Moderatorin hin blieben alle zufällig vor einem Menschen stehen und man stellte eine Kleinigkeit von sich vor. Ungewohnt an der Sache war für mich, dass die Moderatorin uns aufgefordert hatte, während dem Laufen in uns hinein zu fühlen und anderen durch Blickkontakt zu „begegnen“. Tatsächlich war das für mich eine sehr interessante Erfahrung, um mein Umfeld und mich bewusster wahrnehmen zu können. Als dies auch bei anderen Gemeinschaften als Kennenlernmethode durchgeführt wurde, fing ich an mich daran zu gewöhnen. Ein kleines bisschen überrascht war ich dann, dass dies bei der Kommune Niederkaufungen nicht gemacht wurde. Später erwähnte ich, dass ich das sehr positiv finde und fand im Feedbackgespräch mit unserer Moderatorin heraus: Für mich sind solche Methoden zu sehr konstruiert – so als müsse man (fast zwanghaft?) Gruppenbildungsmaßnahmen machen.

Stattdessen hatte die Kommune Niederkaufungen folgende Methode: Verschiedene Postkarten mit unterschiedlichsten Sprüchen wurden auf dem Boden ausgelegt und man sollte sich eine davon aussuchen, die am besten zu der eigenen Vorstellung „Was ist (für dich) eine Kommune?“ passte. Ich wählte die Postkarte mit einem Mann, der sich die Hand vors Gesicht schlägt und darüber steht der Sprich „Es ist noch schlimmer, als ich dachte!“ Ich erzählte von meiner Reise und dass ich dabei über mich herausgefunden hatte, dass ich selbst nicht einfach nur eine eigene Gemeinschaft mit gemeinsamer Kindererziehung aufbauen will, sondern es noch viel schlimmer ist: Ich bin ein Hippie und will Kommunist werden! Vor meiner Reise hatte ich wahrscheinlich nur nicht geglaubt, dass es möglich ist dies in unserer Gesellschaft zu leben, ohne sich in eine vollständig autarke Blase zurückzuziehen.

Neue Heimat gefunden?

Überhaupt war das Wochenende in der Kommune Niederkaufungen von allen Wochenenden das lockerste und verspielteste von allen gewesen. Letztendlich kommt es immer auf die Menschen an, die in der Kommune leben – und irgendwann muss man sich einfach entscheiden. Die Kommune Niederkaufungen war die einzige Gemeinschaft, bei der sich alles richtig angefühlt hat. Als ich nach dem Wochenende in Niederkaufungen nochmal für eine Woche in Sieben Linden war, ist mir nochmal bewusst geworden, wie sehr ich mich schon entschieden habe. Ich habe die ganze Zeit von den fleißigen Menschen gesprochen; darüber, wie viel die gemeinsame Ökonomie einfacher macht und wie sie eine zwangsfreie Einstellung zur Arbeit bewirkt: Durch die Betriebe ist ein herrschaftsfreies System gegeben, in dem jeder Leistung bringen muss, um seine Existenz (und die der Gemeinschaft) zu erhalten. Aber es verbreitet keine existenziellen Ängste, irgendwann wegen Arbeitslosigkeit und Armut stigmatisiert zu werden. Ich weiß noch nicht, was dieses System mit mir machen wird, aber von allen Gemeinschaften, die ich mir angeschaut habe, scheint es mir die konsequenteste Umsetzung zu sein, was durch eine Gemeinschaft möglich ist. Deswegen werde ich nun in den Annäherungsprozess mit der Kommune Niederkaufungen gehen.

Es gibt Dinge, die kann man für Geld kaufen. Für alles andere gibt es deine Gemeinschaft(en).