Die heilige Hure – Lichtseiten der Sexarbeit
Ist Tantramassage Sexarbeit?
Es gab in den letzten Monaten eine hitzige Debatte zum Thema Sexarbeit und Prostitution, die ich hier nicht nochmals aufrollen möchte. Diskutiert werden Politik, Steuern, Gesetze und anderes langweiliges Zeug, unter dem Vorwand, die betroffenen Frauen zu „schützen“, ob sie das nun wollen oder nicht. Ob die Tantramassage „Prostitution“ ist, wird derzeit vor den Gerichten ausgefochten, weil der Staat gern von den Tantramassage-Instituten die sogenannte „Vergnügungssteuer“ einfordern möchte.
Bleiben wir in den althergebrachten Kategorien, stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Definition von „Sexarbeit“, von „sexuellem Vergnügen“ (das als ausschlaggebendes Kriterium für die Einordnung einer Dienstleistung als „sexueller Dienstleistung“ gilt) und von „Tantramassage“.
Es geht bei der Tantramassage um viel mehr als sexuelles Vergnügen. Es gibt Tantramasseurinnen (ich spreche hier ausschließlich in der weiblichen Form, weil die Mehrheit der SexarbeiterInnen und MasseurInnen zweifellos Frauen sind), die sich als Sexarbeiterinnen verstehen, solche, die das ausdrücklich nicht tun und solche, denen das völlig egal ist oder die die Frage irrelevant finden. Für mich persönlich ist die Frage der Definition und Bezeichnung jedoch insofern unwichtig, als in meinen Augen nicht nur vergessen wird, dass Sex viel mehr sein kann als Vergnügen und Lust und entsprechend relevant für unsere Kultur ist, sondern auch, dass Sexarbeit als Beruf nicht nur legitim, sondern von essentieller Bedeutung für unsere Gesellschaft ist.
Die Sexarbeiterin als Lichtgestalt
Die wichtigere Frage ist, was die Bezeichnung „Sexarbeit“ herkömmlicherweise impliziert. Warum dieses „Gewerbe“ stigmatisiert und in die Kriminalität abgedrängt wird. Warum Politik und Religion schon immer und immer noch mitmischen wollen bei der beruflichen Selbstverwirklichung der Menschen und dem Ausleben ihrer Sexualität. Oder umgekehrt: warum selbstbestimmte und freiwillige Sexarbeit nicht als wichtiger, wertvoller Teil unserer Gesellschaft und Kultur akzeptiert und gefördert wird. Diese Fragen kann ich hier und heute nicht beantworten (freue mich aber über Antworten von Lesern, die sich in diesem Bereich auskennen). Ich möchte hier lediglich einen weniger herkömmlichen Blickwinkel anbieten.
Lena Morgenroth wurde für ihre kürzlich erschienene Dokumentation heftig kritisiert, da sie die Realität „verharmlose“, indem sie ihr Leben als selbstbestimmte und zufriedene Sexarbeiterin darstellt. Ja, natürlich gibt es eine Schattenseite der Sexarbeit (Kriminalität, Menschenhandel, Ausbeutung, Drogen usw.) und dagegen muss vorgegangen werden. Doch in besagten Debatten wird leider meist vergessen, dass es eine Menge Sexarbeiterinnen gibt, die ihren Beruf freiwillig gewählt haben und mit Freude ausüben.
Seit jeher gab es „spezialisierte“ Frauen, die mit ihren sinnlichen und erotischen Fertigkeiten in der einen oder anderen Form ihren Lebensunterhalt verdienten. Tempeltänzerinnen, Konkubinen, Escorts usw. waren und sind hoch kultivierte Persönlichkeiten, die keineswegs allein mit ihrem ansprechenden, geradezu kunstvoll inszenierten Körper ihre Kunden unterhalten und erfreuen. Sie sind gefragte Konversationspartner, Zuhörer, Oasen des Friedens und des Trosts im Stress des Alltags (und nicht selten von erheblichem politischen Einfluss). Ich bin stolz, Teil dieser langen Ahnenreihe devianter Frauen zu sein, die ihr Leben der Schönheit, Sinnlichkeit und Lebensfreude gewidmet haben. Anders als die meisten meiner „Ahninnen“ habe ich das Glück mich dafür einsetzen zu können, die Devianz in gewisser Hinsicht zum Mainstream zu machen. Zur Weiterentwicklung einer sexuellen Kultur beizutragen, die Sexualität und Sinnlichkeit als „normalen“ und – vor allem – wertvollen und wichtigen Teil des guten Lebens schätzt.
Sexarbeit ist ein anspruchsvoller Job
Egal in welcher „Branche“ eine Frau arbeitet (ob man strippt, massiert oder als Prostituierte arbeitet), braucht man als Sexarbeiterin ausgeprägte Fertigkeiten in den verschiedensten Bereichen: Kommunikation, Menschenkenntnis, ein ansprechendes Äußeres, ein angenehmes Auftreten, schauspielerisches Talent, Präsenz. Ich muss mein „Handwerk“ bzw. meine „Kunst“ beherrschen. Ich muss meine Grenzen kennen und setzen. In meinen Augen ist gut gemachte Sexarbeit viel mehr als reines Vergnügen. Die Menschen bezahlen viel Geld, um essentielle und hochintime Bedürfnisse (meist wohl sexueller Ausdruck und Befriedigung, oft aber auch Nähe, Gesehen-Werden und dergleichen).
Wenn wir mit Sexualität arbeiten, bewegen wir uns immer in einem sehr sensiblen Bereich, wo Respekt, Feingefühl, Empathie und Wohlwollen mehr als angebracht sind. Fremden Menschen wirklich nahe kommen zu können – geistig, körperlich, sinnlich und sexuell –, ist eine seltene und wichtige Fähigkeit, die geachtet werden sollte.
Sexarbeit als „Heilarbeit“
Nicht zufällig entstehen neben der Tantramassage seit einigen Jahren neue Ausbildungen und Berufe, die man in die Kategorie „Sexarbeit“ einordnen könnte, die sich jedoch definitiv in einem Graubereich bewegen zwischen Therapie, Wellness und sexueller Dienstleistung. Oft fließen auch spirituelle Ansätze in ihre Arbeit mit ein. Hier sind neben der Tantramassage vor allem Sexological Bodywork und Sexualbegleitung zu nennen. Immer mehr Menschen erkennen, dass die Sexualität ein essentieller Teil unseres Menschseins ist und sexuelles Wohlbefinden einen erheblichen Effekt auf unser allgemeines Lebensglück hat. Die Tantramassage nach Michaela Riedl ist mittlerweile offiziell als Ausbildungsberuf anerkannt. Ich persönlich hoffe, dass dieser Trend sich fortsetzt.
Um der Sexualität einen angemessenen Platz in unserem Leben zuweisen zu können, müssen wie sie hinter verschlossenen Türen hervorholen. Die Anbieter entsprechender Seminare und Dienstleistungen arbeiten daran, die „heilsame“ und geradezu therapeutische Wirkung sexuellen Vergnügens zu erforschen und Menschen zu helfen, selbstbestimmt an ihrem sexuellen und allgemeinen Wohlbefinden zu arbeiten. Damit regen sie mindestens zum Umdenken über Sexualität an, oft zu einer Veränderung im Leben und Denken der jeweiligen Personen. Indem sie sich austauschen und organisieren, wie zum Beispiel im Tantramassage-Verband, und mit ihren Anliegen in die Öffentlichkeit gehen, wird sich das öffentliche Bild von „Sexarbeit“ im weiteren Sinne hoffentlich nach und nach wandeln. Sexarbeit ist keineswegs immer zwielichtig, unfreiwillig und schmuddelig. Sie ist vielfältig, wichtig, oft anspruchsvoll und unter den richtigen Bedingungen durchaus schön.
Mehr Infos zum Thema Sexarbeit:
http://berufsverband-sexarbeit.de/
Mehr Infos über Tantramassage und die Philosophie dahinter:
http://www.tantramassage-verband.de/tantramassage/
http://www.tantramassage.de/de/koeln/philosophie.html
Lieben Dank für diesen wundervollen Gastartikel zum Thema Tantramassage an Eva. Wir haben das große Glück, sie auch schon für weitere Artikel gewinnen zu können.
Zur Autorin:
eva
ich habe mein leben der schönheit und zwischenmenschlichkeit gewidmet. beruflich erforsche ich diese themen im rahmen der tantramassage, privat in form einer einvernehmlich nicht-monogamen liebensweise. im zuge dessen beschäftige ich mich mit einer vielfalt von themen wie z.b. kunst, kommunikation, alternative wirtschaftsformen, spiritualität, philosophie, bdsm, geschichte sexueller subkulturen u.v.m.
ich verstehe mich als teil einer lebensstil-avantgarde, die bewusst und aktiv an einer neuen kultur arbeitet und hoffe, meinen beitrag dazu leisten zu können.
wenn ich nicht massiere oder schreibe, engagiere ich mich als redakteurin im tauschring nürnberg und organisiere den polystammtisch nürnberg.
Hallöchen, ich bin Natascha und verurteile oder bewerte niemanden. Das soll wollte ich, bevor ich losschreibe, sagen. Ich denke ganz oft über das Thema Prostitution nach und egal, von welcher Seite ich mich dahin denke, gibt es für mich keinen netten Ansatz. Mir tut es richtig weh, dass meine Schwestern dieser Erde sich verkaufen. Dann aber lese ich hier, dass man sich in anderen Jobs ja auch psychisch und physisch verkauft und das stimmt. Ich finde nur, dass das Sexualleben oder meine Sexuslität das Einzige ist, was komplett mir gehört und das ich nur teile, wenn ich es möchte. Wenn dieser Akt allerdings für meine Existenzsicherung nötig wird, ist es keine freie Entscheidung mehr. Dieses Blog ist echt interessant. Ich bleib dran 😊
liebe natascha, vielen dank für deinen kommentar.
heutzutage und insbesondere in der abendländischen kultur wird sexualität als teil unserer psychologie, zentraler teil unserer persönlichkeit und als höchstpersönlich, hochprivat betrachtet. das war nicht immer und überall so und kann durchaus auch anders gedacht werden.
prostitutionsgegner führen genau dieses argument an – man verkauft nicht irgendeine dienstleistung, sondern einen höchstpersönlichen teil seiner selbst – um zu „beweisen“, dass sexarbeit gegen die menschenwürde verstoße. dabei entgeht ihnen, dass andere menschen ihre sexualität vielleicht anders denken und damit anders erleben. ich habe den eindruck, dass viele sexarbeiterinnen zwischen ihrer privaten sexualität und ihrem beruflicher sexualität ganz klar trennen. und beide sexualitäten gehören natürlich ihnen, auch wenn sie damit ihre existenz sichern.
ich finde die vorstellung, dass nur unsere sexualität als so höchtpersönlich, wertvoll und „das einzige, was komplett mir gehört“, wie du schreibst, also nicht gefahrlos veräußerbar betrachtet wird. ich denke da spontan an all die sozialarbeiter, die gegen kleines geld ihr herz öffnen, bis sie unter einem burn-out zusammenbrechen. oder politiker, die gegen ihre überzeugungen reden und handeln müssen, wenn es das system verlangt.