Your mind is playing tricks on you

Foto zweier Masken

photo credit: madamepsychosis via photopin cc

Der Dekonstruktivismus hat mich eine wichtige Lektion gelehrt, die auch jeder andere lernen, von der man sich aber trotzdem nicht einschüchtern lassen sollte: Die Rolle, die wir in einem Menschen – und nicht nur in uns selbst – sehen, ist nicht die Rolle, die sich dieser Mensch ausgesucht hat. Deswegen ist es unheimlich wichtig, dass man mit Menschen aufmerksam umgeht und ihnen zuhört, um zu verstehen, wie sie ihre eigene Rolle definiert haben.

Dieses kleine Vorwort ist für mein Thema deswegen relevant, da aufmerksames Zuhören besonders wichtig ist, wenn man jemanden kennenlernt, und man sich nicht von den Tricks seines Gehirns an dieser Aufmerksamkeit hindern lassen sollte. Hier ein paar Beispiele:

1. Das Vorurteil „Männer wollen nur Sex“

Sex ist etwas sehr Schönes und kann als körperliche Erfahrung befreiend sein. Leider kursiert in der westlichen Gesellschaft bei vielen das sexistische Vorurteil, dass Männer NUR DAS wollen. Tatsächlich gibt es diese Soziopathen, die so süchtig nach der Befreiung durch körperliche Erfahrung sind, dass sie Methoden entwickelt haben, wie sie diese möglichst oft bekommen können. Diese Männer – viele davon sog. Pick-uper – bestätigen dieses Vorurteil. Wenn ich mich in meinem Freundeskreis jedoch umschaue, so habe ich bei jedem Mann – sogar bei denen, die gerne Pick-up-Methoden verwenden – schon emotionale Krisen erlebt, die zeigen, wie emotional Männer sein können und dass sie nicht NUR Sex wollen. Das sind nicht einfach nur Krokodilstränen, sondern traurige Identitätskrisen, die zeigen, wie alleine man sich fühlt, wenn man nicht etwas Tieferes erleben kann als nur den oberflächlichen Sex. Diese emotionale Grenze besteht aber nur, weil diesen Männern die Vorurteile bei jeder Gelegenheit vorgehalten werden.

2. Die Friendzone und der NiceGuy TM

Das Gegenstück zu dem zuvor genannten Macho, der nur Sex will, ist der Softie, der besonders einfühlsam ist. Einfühlsamkeit ist etwas besonders Gutes, wenn es dazu dient, die Gefühle des anderen nachvollziehen zu können. Problematisch wird ein Softie jedoch, wenn er seine Einfühlsamkeit dafür benutzt, um eine Person, die nur mit ihm befreundet sein will, an sich zu binden. Auf der Seite des „Empfangenden“ ist es nicht fair, diese Einfühlsamkeit auszunutzen, obwohl Signale gesendet werden, dass der Softie – ich nenne ihn mal NiceGuy TM – nicht nur befreundet sein möchte. Auf der Seite des NiceGuy TM finde ich es schade, dass er nicht zufrieden sein kann, wenn er nur mit jemanden befreundet ist. Ich verstehe ja, dass man nur begrenzt Aufmerksamkeit verteilen kann und dort Prioritäten setzen sollte, aber wenn man mehr Erwartungen an eine Person stellt, als diese – wenn man aufmerksam auf die Signale achten würde – erfüllen kann, sollte man dringend an seiner Erwartungshaltung arbeiten. Ansonsten ist man dazu verdammt, wieder und wieder die Grenzen der Freundschaft zu übertreten.

3. Komfort-Zone und Nestbau

Trotz sexistischer Vorurteile schaffen es aber einige Pärchen, mit solchen Rollen zueinander zu finden. Diese spezielle Art von Pärchen geht dann den Kompromiss ein, dass der eine seinen Sex bekommt, den er angeblich wie Grundnahrung braucht, und dafür eine sichere Zone als Zuhause bietet. Der oder die „Ernährer*In“ entwickelt sich damit zu einer Kombination aus den zuvor genannten Typen. Auf der einen Seite denkt er/sie, er/sie bräuchte dringend den Sex und auf der anderen Seite zeigt er/sie sich als Heim-Beschützender von seiner einfühlsamen Seite. Sicherlich kann so eine Beziehung, in der die Rollen – meist unbewusst – verteilt werden, eine Weile gut laufen. Auch erst nach einer Weile wird hier psychischer Druck auf die Personen aufgebaut: Nämlich wenn die sexuelle Begierde nachlässt und/oder die Sicherheit eines Zuhauses nicht mehr benötigt wird. Damit ist das wackelige Fundament der Beziehung eigentlich zum Kippen gebracht, aber ich habe schon oft erlebt, dass diese Personen jahrelang nicht gewagt haben, ihre Rolle oder die des Anderen in Frage zu stellen. Diese Situation wäre aber vermeidbar, wenn man eine Kommunikationsform gefunden hätte, in der man offen über Grenzen und Bedürfnisse reden kann und psychischer Druck zur Sicherung der Selbstverständlichkeit der Rollen nicht nötig wäre.

4. Emotionale Erpressung

Die drei oben genannten Taktiken sind alles Tricks, mit denen unser Gehirn uns belügt, weil sie sich als gute Strategie erwiesen haben, schnell in Kontakt mit anderen Personen zu kommen. Das ist lustig, weil das Gehirn uns damit Lösungen für eine schnelle Sozialisierung mit anderen Menschen anbietet, aber – wie in den Punkten erklärt – durch das Fehlen einer langfristigen Taktik eine Schnelllebigkeit der Beziehung vorprogrammiert wäre. Aber auch um dieser Schnelllebigkeit entgegen zu wirken, hat das Gehirn rücksichtslose Taktiken parat – indem es die anderen Personen emotional erpresst. Das ist besonders schwierig zu erkennen, da es generell nicht falsch ist, seine Meinung und Gedanken dem Anderen mitzuteilen. Wenn allerdings damit eine überzogene Erwartungshaltung einhergeht, werden die Gedanken so formuliert, dass sie den anderen emotional erpressen.

Zum Beispiel konnte ich in einer Beziehung nicht akzeptieren, dass sich eine Person nicht entscheiden wollte, bei mir zu bleiben. Jedes Mal, wenn sich in einem Gespräch nur andeutungsweise andere Zukunftspläne ihrerseits abgebildet haben, habe ich ihr Vorwürfe gemacht und gezeigt, wie verletzt ich mich fühle. Irgendwann hat sie nicht mehr gewagt, mit mir überhaupt noch über Beziehungstechnisches zu reden, weil sie Angst hatte, dass ich wieder versuchen könnte, sie auf diese Art emotional zu erpressen. Natürlich hatte ich hier eine Grenze überschritten. Wenn man erst einmal in so eine Falle reingerät, merkt man das aber gar nicht mehr und sollte daher schon im Vorfeld auf seine Gesinnung zu einer Person aufpassen.

Wenn man sich von den Rollenbildern und daraus entstehenden falschen Erwartungen befreit, kann man besser erkennen, was der andere tatsächlich will. Und ist es nicht viel wertvoller, wenn sich eine Person aus freien Stücken für einen entscheidet und bei einem bleibt? Und sollte man nicht lieber seine Energie und Aufmerksamkeit dahin stecken, andere Menschen kennenzulernen, die ernstes Interesse an einer Beziehung haben, anstatt in die Person(en), die kein Interesse an (einer) Beziehung(en) haben?

Ich wünsche mir hier mehr Emanzipation, die o.g. Fallen zu durchschauen und sich selbst die Chance zu geben, andere Menschen als das zu erkennen, was sie wirklich sind, und zu erkennen, welche Signale sie senden. Wahrscheinlich ist das ein Prozess, der innerhalb einer Beziehung nie endet, aber gerade deswegen ist es so wichtig, nie aufzuhören, den anderen – und sich selbst – besser zu verstehen oder weiterzuentwickeln.