Sexpositive Räume

In den letzten Artikeln haben Aureliana und ich den Ausdruck sexpositive Räume verwendet. Ich vermute, dieser weckt einige spannende Assoziationen. Das Wort sexpositiv deutet an, dass es dabei um etwas geht, bei dem Sexualität eine positive Konnotation hat. Einig sind sich wahrscheinlich alle aus der „Szene“, dass es bei dieser Sexualität aber nicht um eine bestimmte Form oder Akt (z.B. Geschlechtsverkehr, bei dem der Mann die Führung übernimmt) geht, sondern man neugierig alle Formen als natürlich annehmen kann. Außerdem ist Sexualität nicht automatisch sexpositiv, nämlich dann nicht, wenn durch verdeckte Machtstrukturen die Sexualität eines anderen Menschen dabei unterdrückt wird. Mit dem Wort Räume wird auch klar, dass es sich hierbei um eine bewusst geschaffene Situation oder gemeinsame Einstellung handelt. Wie man jedoch diese Räume schafft und wie man Machtstrukturen (die z.B. durch das Aufkommen von Scham, Schuld oder Angst entstehen) aufbrechen kann, damit alle ihre Sexualität sensibel mit Anderen ausleben können, sind sich die verschiedenen sexpositiven Vertreter uneinig.

Der bekannteste Vertreter (und vermutlich auch Namensgeber) ist Felix Ruckert. In seinem ehemaligen Seminarort „Schwelle 7“ und anschließender sogenannter Wohnzimmer-Tour hatte er an folgender Frage geforscht:

Sexpositive Räume sind notwendig um Gemeinschaft zu stärken und um Liebe und Beziehungen besser zu verstehen. Sexpositive Räume bekämpfen Sexismus und beugen Gewalt und Missbrauch vor. Sexpositive Räume ermöglichen persönliche Ermächtigung und dekonstruieren Geschlechterklischees. Wie können wir solche Räume schaffen, die uns Sicherheit bieten und uns erlauben vollständige sexuelle Wesen zu sein?“ Quelle: https://www.liebensfreude.com/veranstaltungen/archiv-sexpositiv-6/wohnzimmertour-mit-felix-ruckert/

Ich selbst war leider nie auf einer Veranstaltung von Felix Ruckert und kenne ihn nur aus dem Film „violently happy“. Übrigens ein Film, der sehr authentisch zeigt, wie Sexualität wirklich ist – im Gegensatz zu den „Porno-Klischees“, die man sonst in Filmen reproduziert sieht. Aber das nur nebenbei.

Grenzen setzen, kommunizieren und respektieren

Auf den Workshops der Menschen, die sich zusammen mit der Schwelle 7 entwickelt haben, ist mir aufgefallen, dass ein großer Fokus auf der Selbstermächtigung und dem mutigen Austesten von Grenzen anderer Menschen liegt. Die Grundhaltung ist hierbei, dass man zum einen davon ausgeht, dass die andere Person ihre Grenzen selbst setzen kann. Zum anderen ist man auch selbst in der Verpflichtung, seine eigenen Grenzen zu kommunizieren, wenn jemand zu nah an diese herantritt. Beides ist jedoch nicht selbstverständlich, und es ist sinnvoll, bei jedem Workshop oder jeder Party zumindest während eines gemeinsamen Starts eine Moderation einzusetzen, die für diese Haltung sensibilisiert: Sei mutig und äußere deine Wünsche, wenn du das Bedürfnis fühlst! Du bist für dich selbst verantwortlich, deswegen kommuniziere ein Nein, wenn es dein Gefühl dir sagt! Akzeptiere ein Nein und wahre dann die Distanz (also z.B. nicht zu versuchen, dann irgendwie ein Ja noch herauszuhandeln)! Lass dich darauf ein, was im Moment passiert und sich entwickelt – also welche Wünsche sich spontan ergeben, statt fokussiert auf ein bestimmtes Ziel oder eine Vorstellung von Sexualität hinzuarbeiten! Usw.

Nonverbale Signale lesen

Eine andere Person, die größtenteils Raufspiele veranstaltet, möchte die daran teilnehmenden Menschen dazu anregen, ihrer eigenen Intuition gerade in nonverbaler Kommunikation mehr zu vertrauen. Manchmal vertraue ich nicht meiner Empathie und fange dann an, daran zu zweifeln, ob ich die Signale richtig lese. Wenn ich also mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten entwickle und mehr in die Selbstsorge des Anderen vertraue, kann ich viel mutiger mit meiner Sexualität sein. Das ist praktisch, um Scham und Schuld loszulassen.

Das Schwierigste für mich ist aber, sich auf den Moment einzulassen. Also mich frei zu machen von den Fantasien, die ich mir im Kopf zurecht lege und für die ich einen Plan entwickle, wie ich sie umsetzen kann. Oft gelingt es durch die Moderation dann, zu schauen, was passiert und in mich hinein zu fühlen, was ich im Moment wirklich brauche. Wie bereits in meinem letzten Artikel erwähnt, kommen hierbei aber viele Unsicherheiten hoch. Ich bin mir daher unsicher, ob ich jemals vollkommen sexpositiv und vollkommen sensibel mit Anderen sein werde. Vermutlich wird dies ein lebenslanger Prozess sein, da jede Sexualität, mit der ich in Berührung komme, so unglaublich unterschiedlich ist. Außerdem möchte ich mir diese neugierige Flexibilität bewahren, damit ich eine Chance habe, mein Gegenüber bei jeder Begegnung aufs Neue kennenlernen zu können und herauszufinden, wie es wirklich Lust und Begierde lebt.

Ach ja, und übrigens: Sexpositiv muss nicht unbedingt ein Workshop oder eine Party sein, es kann auch euer Schlafzimmer sein … selbst wenn ihr dort nur mit euch selbst Sex habt.

 

 

In diesem Artikel wurde am 24.07.2019 eine Formulierung geändert ohne dass sich der Inhalt geändert hat.