Sex ist ein Geschenk
Neulich fragte mich beim Vorspiel eine neue Bekannte: „Bist du entspannt oder konzentriert?“. Eiskalt erwischt. Ich war absolut nicht entspannt und viel zu sehr damit beschäftigt, sie gut zu befriedigen. Wenn ich aber nicht entspannt bin, kann ich auch selbst nicht erregt werden. Es macht mir Spaß, andere zu befriedigen und zu sehen, wie sie auf meine Berührungen reagieren. Zwar kann es mich auch erregen, den anderen erregt und in Ekstase zu sehen, aber nicht, wenn ich zu sehr mit meinem Kopf damit beschäftigt bin, was ich als Nächstes machen sollte.
Ich habe mich nun schon eine ganze Weile darum gedrückt, auf diesem Blog über meine Sexualität zu schreiben, denn es ist mir etwas peinlich bzw. schäme ich mich dafür: Ich werde erst erregt, wenn ich den Eindruck habe, vom anderen etwas zu bekommen bzw. mir etwas von ihm zu nehmen. Für mich ist es wesentlich einfacher zu geben, als etwas (an-)zunehmen. Das liegt daran, dass zu diesem Schamgefühl (nicht so egoistisch sein zu dürfen) noch das Schuldgefühl, anderen damit schaden zu können, wenn ich mir etwas von ihnen nehme, dazu kommt. Eigentlich ist dieses Schuldgefühl völlig absurd, da ich ja selbst von mir weiß, wie gut es tut, jemand anderem etwas zu geben.
Ausdifferenzierung mit dem Konsensrad
Diesen Gedanken überhaupt inzwischen so differenziert betrachten zu können ist mir durch das „Wheel of Consent“ (deutsch: Konsensrad, das PDF gibt’s hier) klar geworden. Das Konsensrad ist eine Grafik mit vier Bereichen: Aktiv, Passiv, für andere und für mich. Wenn man nun miteinander vereinbaren möchte, was man miteinander tun möchte, kann man klarer formulieren, welche Rolle man einnimmt: Dienen, Nehmen, Erlauben oder Annehmen. Wenn diese Rollen ohne den gemeinsamen Konsens eingenommen werden kann je nach Rolle zu Erschöpfung, Übergriffigkeit, Ohnmacht oder Egoismus (Übersetzung des Autors) führen. Jedoch können diese Rollen bei einem gemeinsamen Konsens zu Großzügigkeit, Vollständigkeit, Dankbarkeit und Hingabe (Übersetzung des Autors) führen.
Das Spannende daran war für mich die Erkenntnis, dass jemand, der aktiv ist, nicht gleichzeitig derjenige sein muss, der etwas für den anderen tut. Während man bei einer Massage noch gut definieren kann, wer welche Rolle hierbei einnimmt, wird es bei Sex etwas komplizierter. Im Idealfall wäre für mich Sex ein wechselseitiges Geben und Nehmen. Aber damit ich bei jemanden weiß, was er gerne von mir bekommt oder was er mir gerne gibt, muss man sich erst mal eine Weile kennen.
Gemeinsame Absprache hilft bei der richtigen Einordnung
Wenn man jedoch nicht über die gemeinsame Sexualität spricht, kann es sein, dass beide Menschen denken, sie würden dem anderen etwas geben, und sich dann ausgenutzt fühlen. Oder beide denken, sie würden die ganze Zeit nur nehmen und könnten gar nichts zurückgeben, obwohl der andere vielleicht die Sexualität so empfindet als würde es ihm etwas geben. Mir gefällt deswegen die Vorstellung, Sexualität als Geschenk von einer Person an eine andere zu sehen – unabhängig davon, ob die Geber/Nehmer Rolle dafür wechselt oder nicht.
Mit meiner eingangs erwähnten neuen Bekanntschaft hatte ich noch ein paar Mal während dem Vorspiel darüber geredet, wer nun wem etwas Gutes tun möchte und ob man das gerade überhaupt annehmen kann. Allerdings noch ziemlich holprig, denn irgendwie verfiel ich immer wieder in mein altes Muster, etwas geben zu müssen. Gut, das tue ich, weil ich Wertschätzung brauche. Aber das ist eine andere Geschichte (siehe Artikel „Krass, ich bin begehrenswert“).
Danke für diesen Text. Ich habe so viel von mir dort wiedergefunden. Fühlt sich jetzt für mich etwas besser an, da ich weiß, ich fühle nicht alleine so.
Ich werde das Rad mal ausprobieren