Krass, ich bin begehrenswert
Wahrscheinlich haben mir mein ganzes Leben lang Liebhaberinnen gesagt, dass sie mich toll fanden. Ich habe das auch rein akustisch wahrgenommen, aber so richtig annehmen konnte ich das nicht. Manchmal dachte ich, die Frauen sagen das nur, weil ich mir so viel Mühe gebe, sie zu beeindrucken. Bis vor ca. drei Jahren dachte ich häufig, wenn jemand mit mir ins Bett geht, dann weil ich mich so überzeugend selbst dargestellt hatte und nicht, weil mich diese Person wirklich begehrenswert findet. Wenn ich mit meiner Selbstdarstellungs-Rolle so sehr darauf fokussiert bin, eine Frau zu begehren, fällt es mir schwer, mein eigenes Bedürfnis nach Wertschätzung (z.B. durch Begierde) wahrzunehmen. Durch die fehlende Wahrnehmung meiner Bedürfnisse konnte ich Wertschätzung erst gar nicht annehmen, geschweige denn meine Bedürfnisse klar kommunizieren.
Nähe zulassen ist nicht einfach
In meinem Artikel Warum Männer mehr kuscheln sollten hatte ich bereits darüber geschrieben, wie meine männliche Sozialisation stattfand und wie sehr ich mein eigenes Nähe-Bedürfnis unterdrückt hatte. Wie ich in dem Artikel beschrieben hatte, war es für mich schwer zu begreifen, wie man außerhalb von Sex überhaupt Zärtlichkeit erfahren kann bzw. wie ich das zulassen kann, von jemanden so tief berührt zu werden, dass es auch „unter die Haut“ geht – also der Kontakt nicht einfach nur eine Berührung von Haut auf Haut ist, sondern auch mein Herz erreicht.
Für diese Art von Berührung reicht es mir nicht, wenn ich Menschen um mich habe, die sich liebevoll mir zuwenden und mit ihrer Berührung ihre Zuneigung ausdrücken wollen. Ich muss auch zulassen können, dass diese Berührung Sehnsucht in mir weckt. Aus Angst, sich zu sehr in diese Sehnsucht hineinzusteigern, vermeiden insbesondere Männer gerne, sich auf diese Sehnsucht einzulassen. Wie der Autor Christian Seidel in seinem Buch „Ich komme: Was Mann beim Sex fühlt – eine Grenzüberschreitung“ u.a. beschreibt, führt diese unterdrückte Sehnsucht zu einem emotionalem Überdruck. Ich möchte mit dieser Erkenntnis Männern keine Ausrede für übergriffiges Verhalten geben, sondern stattdessen daran appellieren, ehrlicher mit seinen Bedürfnissen zu sein und selbst dafür zu sorgen, dass es nicht zu diesem emotionalem Überdruck kommt. Als ich meine eigenen Bedürfnisse noch nicht so gut wahrnehmen konnte, hat mich diese Änderung des Blickwinkels stark verunsichert.
Neue Erkenntnisse durch Tantramassage
Diese Verunsicherung kommt auch ein bisschen in einem meiner älteren Artikel Kuscheln verboten? heraus. Ich merkte, da ist eine Sehnsucht, aber ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Wie ich in diesem Artikel geschrieben hatte, hatte ich stümperhafte Versuche mit Tantramassagen versucht. Was ich aber in dem Artikel nicht beschrieben hatte, war, dass ich mich später zur Tantramassage mit einer Tantramasseurin getroffen. Wahrscheinlich hatte ich unbewusst schon vorher die Erwartung gehabt, dass das irgendwas mit mir machen könnte. Auf jeden Fall habe ich mich vertrauensvoll in ihre Hände begeben und mich darauf eingelassen, dass sie alles mit mir machen darf, was sie will. Vielleicht ist die Tantramassage nicht für alle Menschen die richtige Wahl, aber mir hat es geholfen, mich in einen Zustand zu begeben, in dem ich einfach nur beobachten konnte, welche Gefühle durch eine vollkommen liebevolle Berührung in mir verursacht werden. Es passiert wohl eher selten, wie ich später erfuhr, aber bei mir war die Erfahrung überwältigend, was da Schönes und Erregendes in mir verursacht wurde. Ich denke, das war der Moment in meinem Leben, in dem ich am bewusstesten mit meinem Bedürfnis nach Nähe in Verbindung kam.
Inzwischen weiß ich: ja, ich bin bedürftig, und das ist okay so, denn jeder Mensch hat Bedürfnisse, z.B. nach Nähe, Intimität oder Wertschätzung. Und es liegt in meiner Verantwortung, diese klar zu kommunizieren. Seit ich da so konsequent in meiner Kommunikation bin, ist mein Kontakt zu meinen Bedürfnissen zunehmend bewusster geworden und das hat meine Beziehungen erst schleichend, aber insbesondere in letzter Zeit immer stärker verändert. Seit ich z.B. sage, wie gerne ich angefasst werde, haben meine Liebhaberinnen auch viel mehr Lust daran, dies auch zu tun. Oder kommt es mir nur so vor, weil ich nun zulassen kann, begehrlich zu sein? Ich glaube, der Grund ist egal, denn letztendlich strahle ich mehr Freude in der Interaktion mit meinen Liebhaberinnen aus und das wiederum führt dazu, dass auch meine Liebhaberinnen entspannter sein können.