Von virtuellen Events und Gemeinschaftgefühl

Polykinky Events fehlen mir derzeit mehr als ich sagen kann. Diese Harmonie, das Zwanglose, das Gefühl von Verbindung und Weiterentwicklung sind etwas ganz besonderes. Inzwischen gibt es zwar zahllose Online-Seminare zu einschlägigen Themen oder mal virtuelle Stammtische, aber ein richtiges Gemeinschaftsgefühl will bei mir nicht aufkommen. Einzige Ausnahme ist und bleibt für mich bisher die PERLE, oder auch der Polyamore ERLEbnisaustausch, den ich euch in diesem Artikel einmal vorstellen mag.

Vielleicht hat das Event bei mir so viel Anklang gefunden, weil die PERLE genau aus eben diesem Mangel heraus entstanden ist. So herrschte, wie mir die Initiatorin des Events erzählte, nachdem das PAN wegen Covid abgesagt werden musste, in diversen Poly-Gruppen Enttäuschung und Traurigkeit vor. Bei Vielen gab es einen kleinen, inneren Aufschrei von „Irgendwer muss doch was tun!“ Dieser irgendwer war schließlich Kira, die der Poly-Community nach Jahren unbedingt etwas zurückgeben wollte. Sie sagt:

Das Schöne an der Community ist, dass man sich selbst entdecken und sein kann wer man eben ist, sich zu zeigen, sich gegenseitig zu sehen.

Diese Offenheit mit der die Menschen ihre Gefühle teilen hat Kira bei ihrem ersten PAN damals sehr beeindruckt. Mit der Organisation der PERLE wollte sie nun anderen die Möglichkeit eröffnen ähnliche Erfahrungen zu sammeln, auch in Zeiten von Corona. Zunächst noch von technischen und rechtlichen Problemen abgeschreckt, nutzte sie ihre Stärke Menschen miteinander zu verbinden. Zwischen Badesee und Blumenladen startetet sie eine erste Offensive, nur mit ihrem Handy als kleine mobile Kommunikationszentrale bewaffnet. So vergingen Stunden des Textens, Telefonierens und Organisierens, aber immerhin, die Idee fand Anklang. Kira gewann ihr Polykül und einige enge Freunde als Mitorganisatoren, die sie mit dem nötigen Knowhow unterstützen konnten. Obwohl alle den Aufwand gescheut hatten, brauchte es schließlich nur eine einzige Person um alles in Rollen zu bringen.

Trotz allem sollte man den Aufwand hinter so einem Event nicht unterschätzen, denn die PERLE entwickelte sich wie Kira mir sagte schnell „vom Skill zum anscheinend größenwahnsinnigen Unterfangen“. Neben der technischen Struktur aus Discord, BigBlueButton, Jitsi und einer ansprechenden Website, wurde ein Begrüßungsvideo aufgenommen, Verhaltensregeln festgelegt, Workshops organisiert und eine Hilfebox für Notfälle angelegt, um einen angemessenen Rahmen für das Event zu schaffen. All das spontan, auf den letzten Drücker, um den ursprünglichen Termin des PANs noch zu treffen.

Die PERLE fand dann im Juni das erste Mal statt. Das Event wurde als mehrtägige, virtuelle Mischung aus Workshops, Vorträgen, Plauder- und Spielerunden geplant und bot so die Möglichkeit über einen längeren Zeitraum Verbindung zu Menschen sowie Themen rund um Polyamorie aufzubauen. In seinem gesamtheitlichem Konzept wurde die PERLE bewusst an das PAN angelehnt. Auch die PERLE folgt dem Prinzip einen Raum zu schaffen, der frei von den Teilnehmenden gestaltet werden kann. So habe ich zum Beispiel spontan eine Gesprächsrunde zu BDSM in einen freien Workshopslot eintragen können und noch am selben Abend ein paar liebe Menschen zum Plaudern und Diskutieren gefunden. Daneben fanden Workshops wie zum Beispiel „Gewaltfreie Kommunikation“, “Woher kommen Glücksgefühle?“, „Gesund durch Orgasmus“, oder „Safer Sex“ statt. Sogar eher praxisorientierte Workshops wie „Küssen in Theorie und Praxis“ wurden bei der PERLE mit viel Liebe auch in die Kästchenwelt projiziert. Natürlich heißt das nicht, dass ich meine Laptopkamera abgeknutscht habe, aber dennoch hatte ich die Möglichkeit mit Menschen zu interagieren, durch die Kamera herumzublödeln und neue Ideen zu gewinnen.

Außerdem gab es gemeinschaftliche Runden wie zum Beispiel das Kuschelkonzert, das Lagerfeuersingen, oder auch Line-Dance am Morgen, aber auch offene Plauderräume wie beispielsweise den „Kristallfelsen“ und das „Diwanhimmel“ sowie den Discordchannel, um sich frei auszutauschen und einfach treiben lassen zu können. In den verschiedenen Gesprächschannels konnte man sich dann auch mal privater kennenlernen. Es wurde viel über Workshops berichtet, über Hobbys geplaudert, oder Skribblio gespielt. Mehr als einmal sind wir sogar mit Gute-Nacht-Geschichten zusammen ins Bett gegangen. Im virtuellen Raum lernt man sich auf eine andere Art kennen, keine Frage, aber es kann eben auch sehr intim sein das Gegenüber vor seinen Laptop gekuschelt im Bett zu sehen, in seinem ganz privaten Reich.

Diesen permanent, interaktiven Raum zu teilen, hat für mich persönlich einen riesigen Unterschied zu anderen virtuellen Events gemacht. Man konnte ebenso mal einen Moment verweilen und plaudern wie sich den ganzen Abend von Workshop zu Workshop hangeln. Auch die vom PAN inspirierten blauen Stunden, eine Art angeleiteter, regelmäßiger Stimmungsaustausch zwischen den Teilnehmenden, haben zu großen Teilen dazu beigetragen, dass ich meine Offline-Realität mit dieser Online-Realität verknüpfen konnte. Sie haben neben den Gesprächshannels einen Rahmen geschaffen, um die PERLE als geschlossenes Event mit einer geschlossenen Gruppe an Menschen wahrzunehmen. Diese Wahrnehmung hat sich insbesondere noch einmal durch die offene Bühne am letzten Abend bestärkt, zu der jeder etwas beitragen konnte, ob nun etwas Musikalisches, etwas Geschriebenes, oder in Form von lustigen kleinen Tanzübungen. Denn erst als sich alle Teilnehmenden in dieser Wand von bunten Kästchen manifestiert haben, ist mir bewusst geworden wie viele Menschen das Event zusammen gebracht hat.

Zum Abschluss hat das PERLE-Team uns ein „Heiles Ankommen“ daheim gewünscht, ganz so als hätten wir noch eine lange Autofahrt vor uns. Doch genau so hat es sich für mich angefühlt. Wie ein Auftauchen aus dieser Kästchenwelt, auf die ich mich jeden Abend gefreut habe. Wie ein Zurückkommen aus der Gemeinschaft und ein Ankommen bei mir selbst. Die PERLE war also ein ganz besonderes erstes Mal, nicht nur für mich, sondern auch für die Organisatoren, mit dem Kribbeln und der Sorge davor sowie der Erleichterung und dem Glück danach.

Ich habe es schon einmal geschrieben – Corona kann noch länger andauern. Wir sollten das Gefühl von Gemeinschaft dennoch suchen und schaffen, damit wie Kira es sagen würde „unsere Community nicht einfriert!“ Am kommenden September-Wochenende wird es, weil das Event so erfolgreich war, wieder eine PERLE geben. Kira veriet mir in unserem Gespräch zwinkernd, eine weitere Idee hinter dem Event sei es gewesen eben auch die Neugierigen, die sich vielleicht noch nicht ganz zum PAN trauen abzuholen und so einen „leichten Einstieg“ in Poly-Community zu ermöglichen. Tja, da sage ich nur: Erwischt. Vielleicht geht euch das ja auch mal so, vielleicht sogar schon am kommenden Wochenende 😉