Verantwortung auf beiden Seiten – Interview mit Lor von seilmanufaktur-lorenz.de, Teil 2

Katze sitzt vor einigen Seilen

Lizenz: CC4.0 BY-SA Seilmanufaktur Lorenz Kretzer, p:bromdibaer

Aureliana: Was ist dir wichtig bei deinen Fesselpartnern? Braucht es bestimmte Eigenschaften, um mit dir kompatibel zu sein?

Lor: Die Bereitschaft für eine klare, direkte und reflektierte Kommunikation. Wir kommen alle mit den unterschiedlichsten Erwartungen und Erfahrungen zusammen und solange wir nicht in der Lage sind, in die Köpfe der anderen zu schauen, bleibt uns nur das miteinander Reden. Auch ein Bunny darf und soll bei mir Wünsche äußern. Das beste Beispiel ist die benötigte Aftercare. Ich hatte eine Dame bei mir im Seil, die mir vorher eindeutig mitgeteilt hatte, dass sie nach dem Fesseln mindestens ein halbe Stunde Kuscheln braucht. Das ist eine klare Ansage, auf die ich dann wiederum eingehen kann, um uns beiden einen schönen Abend zu ermöglichen.

Ich empfinde Vertrauen und Verantwortung beim BDSM als etwas, das beide Parteien mitbringen sollen. Wie es dann im Einzelnen verteilt ist, steht nochmal auf einem anderen Blatt, doch halte ich zumindest einen Mindestanteil für unabdingbar. Als Rigger ist das die Verantwortung, mir meiner Stärken, Schwächen und Fähigkeiten bewusst zu sein, mein Werkzeug in gutem Zustand zu halten und niemanden zu täuschen. Als Bunny die Verantwortung, mich mit meinen Grenzen auseinandergesetzt zu haben, meine Wünsche, Sorgen und Vorstellungen mitzuteilen und die Bereitschaft, auch während des Spiels Probleme anzusprechen. Das Vertrauen kommt dann von beiden Seiten, dass die andere ihre Verantwortung wahrnimmt.

Unter diesen Voraussetzungen ist erst mal jeder mit mir kompatibel, und was daraus folgt, ist sehr individuell.

Wenn man dir so zuhört, bekommt man richtig Lust, es auch selber mal auszuprobieren ;-). Wenn ich mich also für Bondage interessiere, aber noch keine Erfahrungen habe: Wie schlägst du vor, dass ich beginne? Hast du ein paar Buchtipps oder sollte ich lieber erst mal auf einen Workshop gehen? Gibt es Internet-Tutorials, die etwas taugen?

Klar, kein Problem. Wir können uns auf einem Stammi verabreden, darüber reden, was unsere Vorstellungen an diese Erfahrung sind und, wenn wir uns auf dieser Ebene sympathisch und einig sind, zusammen Spaß haben ;-). Und genau das ist auch meine Empfehlung für Anfänger. Die meisten Lehrbücher oder Internet-Tutorials für die Grundkenntnisse im Bereich Bondage decken erst mal genug ab, um schlimmere Unfälle zu verhindern. Solange man sich der eigenen Grenzen bewusst ist und es langsam und bedacht angeht, sinkt das Risiko, dass etwas schief geht, meiner Meinung nach stärker, als wenn man wochenlang die menschliche Anatomie und Knoten studiert. Bondage ist und bleibt etwas, das zwischen Menschen stattfindet. Die Feinheiten können kaum aus Lehrbüchern erlernt werden, sondern sind etwas, das erst mit dem Üben kommt. Aus diesem Grund vertrete ich auch das eher freie Üben mit locker-lustiger Atmosphäre ohne jeglichen D/s-Kontext, da hier Probleme viel besser angesprochen und reflektiert werden können, als wenn man versucht, aus jedem Knoten eine ganze Session zu zaubern – was gerade am Anfang einfach nicht möglich ist.

Nachdem du schon explizit nach einem Buchtipp gefragt hast, kann ich da nur „Shibaku“ von Peter Wettstein empfehlen. Auch wenn er selbst dieses Buch bewusst nicht als Lehrbuch, sondern mehr als Nachschlagewerk versteht, bin ich immer wieder von den schematischen und übersichtlichen Anleitungen begeistert.

Für das Üben bieten sich Fesseltreffen an. Die Stimmung ist meist locker, es kommen Leute mit den unterschiedlichsten Vergangenheiten und Fähigkeiten zueinander, um sich auszutauschen und voneinander und miteinander zu lernen. Gerade diese Vielfalt finde ich angenehmer als das eher starre Programm eines Workshops. Es ist ein Geben und Nehmen, was Anfänger oftmals abschrecken kann, doch habe ich noch kein Treffen erlebt, bei dem einem Anfänger nichts gezeigt wurde. Auch sollten Treffen die Vorteile, die Anfänger mitbringen, nicht unterschätzen. Es passiert nur zu gerne, dass man mit wachsender Erfahrung etwas unflexibler in diversen Ansätzen wird und versucht, Problemen auf bekannten Wegen zu begegnen. Deswegen sollte man, was Inspiration und kreative Lösungen angeht, durchaus mal auf jemanden hören, der noch nie ein Seil in der Hand hatte.

Gut zu wissen, vielen Dank. Du hast ja extra einen Bereich „Mythen“ auf deiner Website eingerichtet. Gibt es eine Frage oder ein Vorurteil, das du nicht mehr hören kannst?

Es ist in den seltensten Fällen die Frage oder das Vorurteil an sich, sondern eher der Tonfall und die damit oftmals verbundene Stigmatisierung, die ich nicht mehr hören kann. Es ist erst kürzlich passiert, dass eine Freundin, selbst erfahrener Riggerin, gefragt wurde, ob sie eine Suspension machen möchte. Als diese antwortete, dass sie keine Suspensions macht, merkte man sofort einen Umschwung im Auftreten des Bunnies. Was als nette, freundliche Anfrage an eine Person mit Kompetenz begann, endete in spöttischem Unglauben. Es sind nicht die einzelnen Worte, sondern die Menschen und deren Intention, die uns verletzen.

Im Rahmen meiner Recherche zu den ersten Bruchtests bin ich immer wieder auf die Aussage gestoßen, dass es gefährlich sei, die Bruchlasten von Seilen zu ermitteln, da diese einen falschen Eindruck von Sicherheit vermitteln würden. Ein trügerisches Gefühl von Sicherheit ist definitiv etwas, vor dem man sich hüten sollte, keine Frage. Allerdings sehe ich das Problem eher in der Interpretation von Methoden und Ergebnissen als in der reinen Durchführung solcher Experimente. Bondage als Wissenschaft befindet sich noch in den Kinderschuhen und viele Dinge, die wir praktizieren, beruhen momentan auf den persönlichen Erfahrungen einzelner. Wir Menschen, und da bin ich definitiv keine Ausnahme, sind furchtbar schlecht darin, komplexe Zusammenhänge intuitiv zu begreifen, sodass uns nur das Zerlegen in die Bestandteile und deren Analyse bleibt.

Natürlich ist die reine Bruchlast nicht das einzige Maß für die Qualität eines Seils, doch ist es eine Eigenschaft, die man auch mit relativ geringem Aufwand überprüfen kann, um schon mal eine grobe Vorstellung für zukünftige Verfahren zu erhalten. Ich kann vollkommen nachvollziehen, dass es gerade zu Beginn einfacher ist, sich auf ein paar Thesen zu stützen und diese strikt zu befolgen. Auf Dauer birgt diese Herangehensweise jedoch das Problem, dass ein kritischer Dialog bei abweichenden Meinungen sehr häufig in ein sehr persönliches Streitgespräch ausartet, da keine Seite aus der These zu einem Experiment eine Theorie hervorbringen kann. Wenn wir anfangen, Dinge zu vereinfachen, müssen wir uns dessen bewusst sein, dass auch unsere Ergebnisse vereinfacht sind und nie alle Faktoren beinhalten. Trotzdem helfen sie uns, den Rahmen, in dem wir uns bewegen, besser zu verstehen, und so bewusster informierte Entscheidungen treffen zu können.

Noch eine Abschlussfrage: Bondage ist also seit Jahren ein sehr wichtiges Hobby von dir, das du durch den Shop wahrscheinlich nochmal intensivierst. Ist da immer noch Raum für andere Themen oder redest du seitdem nur noch in Knoten und Schlaglängen? 😉

Och, das habe ich eigentlich vorher schon. Es gehört, glaube ich, zu einem gepflegten Nerdismus einfach dazu, auch ab und zu ein Fachidiot zu sein. Es gibt aber neben den Seilen natürlich auch andere Themen, die mich faszinieren. Zum einen kann man mit mir immer über Essen und Kochen reden. So mancher Abend, an dem eigentlich Spiel, Spaß und Spannung geplant war, ist nach dem Essen dann doch eher zu einer vollgefutterten gemütlichen Kuschelrunde geworden, bis die entsetzten Blicke kamen, als ich den Nachtisch brachte. Zum anderen interessiere ich mich stark für Maschinen und deren Konstruktion. Seit Anbeginn war ich jemand, der sein Spielzeug selbst gebaut hat, weil es einfach nicht genau das gab, was ich haben wollte. Das ging von der Gerte über Manschetten bis hin zu komplexeren Dingen wie einem selbstgebauten Vibrator mit veränderbarer Amplitude.

Nicht vergessen darf man natürlich auch unsere vier Fellnasen Catelyn, Schrödinger, Glitch und Fuchur, deren Kuschelakkus regelmäßig aufgeladen werden müssen – und das kann dauern. Auch wenn sie Freigänger sind, bekommen wir oft genug Besuch, und sie haben ihre Dosenöffner schon ganz gut abgerichtet, auf ihre Bedürfnisse einzugehen.

Vielen Dank, Lor, für dieses spannende Interview und deine ehrlichen Einblicke. Wir sind gespannt, was sich bei dir in den nächsten Jahren noch so tut bei dir und behalten deine Website natürlich im Blick.

Den ersten Teil des Interviews gibt’s hier.