Liebe ist ein Risiko, das es wert ist, einzugehen

Ich dachte ja, mit über 30 verliebe ich mich nicht mehr wie ein Teenager. Oder vielleicht hatte ich es auch gehofft. Dann ist es doch passiert. Dieses Gefühl von so krasser Verknalltheit, dass sich bei mir auf einmal alle meine Wünsche nur noch um einen Menschen drehen, hatte für mich auch etwas Beängstigendes: Zum einen hatte ich Angst, dass mich der Verlust verletzten könnte, wenn diese Liebe nicht erwidert wird oder man irgendwann merkt, dass man gar nicht so gut zusammen passt. Und zum anderen hat für mich dieses Gefühl auch etwas mit Kontrollverlust zu tun, weil ich mich für so ein Gefühl nicht bewusst entscheiden kann – es passiert einfach so und ist außerhalb meiner Einflussmöglichkeit.

Wenn ich meine Lebensgeschichte mit anderen vergleiche, stelle ich fest, dass ich mich unüblich viel verknallt und auch schon sehr oft daran verletzt habe. Und dennoch lasse ich mich immer wieder wie ein Drogenjunkie auf dieses Gefühl ein. Warum tue ich das? Glaube ich vielleicht, irgendwann eine Partnerin zu finden, mit der ich dauerhaft diese Gefühle gegenseitig teilen kann? Ja, vielleicht bin ich manchmal ein hoffnungsloser Romantiker, und dennoch gibt es vernünftige Gründe, warum man sich dem Risiko einer erneuten Verletzung aussetzen sollte.

Liebe ermöglicht intimeren Sex

Zum Beispiel ist der Sex zwischen zwei Menschen, die beide verknallt ineinander sind, die leidenschaftlichste und intimste Art von Sex, die ich in meinem Leben erlebt habe. Die Begierde sorgt dafür, dass man einander erforschen will und auf beiden Seiten der Wunsch sehr stark ist, sich berühren zu wollen. Intuitiv findet sich dann ein aufregendes sexuelles Spiel und die Liebe erleichtert es, sich fallen zu lassen Für mich liegt es auf der Hand, dass das eine ganz andere Art von Sex ist, wie wenn nur eine Seite diese Begierde hat und die andere sich verwöhnen lässt. Und noch weniger intim wäre, wenn keine Seite eine solche Begierde hat.

Einfache Dinge werden besonders

Ein Mensch, der einen auch zurück liebt, ist nicht (so einfach) durch jemand anderen zu ersetzen. Es ist also kein Wunder, dass diese Art der Liebe seit der Romantik so hoch gewertschätzt wird und in tausenden von Filmen und Büchern reproduziert wurde. Auch wenn mir dieser ganze Kitsch manchmal zu viel ist, da es den Eindruck erweckt, als wäre diese Art der Beziehung der einzige Sinn des Lebens, so kann ich ihm dennoch eine gewisse Wertigkeit nicht abstreiten. Ich bin auf jeden Fall in Phasen meines Lebens, in denen ich in einem romantischen Verhältnis gewesen bin, sehr glücklich gewesen. Die besondere Wertigkeit dieser Beziehung verleiht meinem Leben dann etwas unüblich Besonderes, also Momente, die sich vom normalen Alltag abheben.

Geschützte Konfrontation mit Ängsten

Der dritte Grund ist allerdings für mich der wichtigste: Spätestens wenn man die rosarote Brille abnimmt und die ersten Konflikte mit dem Partner auftreten, werde ich mit meinen eigenen Ängsten – z.B. die Angst, durch den anderen verletzt zu werden – konfrontiert. Diese lauern eigentlich ständig in mir drin, aber erst in einer Beziehung, in der man schon emotional verbunden ist, können diese wieder bewusster werden. Das ist tatsächlich die beste Möglichkeit, um sich selbst seinen Ängsten zu stellen und durch die Beziehung zu wachsen. Der Partner kann hierbei nur ein geduldiger Zuhörer sein und Verständnis für meine Gefühle aufbringen. Den Umgang mit meinen Gefühlen kann ich nur selbst herausfinden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man seine Ängste und Befürchtungen überwunden bekommt, wenn man Situationen, in denen sie auftauchen könnten, komplett vermeidet.

Hatte ich nicht mal geschrieben, dass ich nicht mehr „Ich liebe dich“ sage? Das war in einer Zeit, in der ich mich vor Verletzungen schützen wollte, und Angst davor hatte, meine Partnerin könnte nicht damit umgehen, wenn ich meine Gefühle äußere. Aber wenn ich meine Gefühle dem anderen nicht authentisch mitteile, wie soll denn dann überhaupt eine tiefe emotionale Bindung entstehen? Inzwischen bin ich da mutiger geworden und traue mich auch wieder, ein Risiko einzugehen. Und wenn meine Partnerinnen dann wegrennen, weil sie die Gefühle nicht erwidern können oder wollen, dann haben die Beziehungsvorstellungen sowieso nicht zusammengepasst.