Mein neuer Umgang mit Neid

Vögel auf einem Dach

photo credit: vil.sandi via Flickr cc

Freunde kennen mich als eine Person, die ihren eigenen Weg geht. Auf diesem Weg mache ich viele tolle Erfahrungen, mit denen ich mich selbst identifizieren kann. Manche bekommen den Eindruck, ich wüsste, wer ich bin und müsste sehr zufrieden mit meinem Leben sein. Leider muss ich aber zugeben, dass ich oft sehr neidisch auf das Leben anderer Menschen und eben nicht so sicher mit meinem Weg bin, wie es manchmal scheint.

Diese Unsicherheit für mich selbst zuzugeben, war nicht einfach. Denn ich war mehr auf das Glück, die Ruhe, die Liebe oder die Sicherheit dieser Menschen neidisch und nicht darauf, wie sie dies für sich gewinnen konnten. D.h. ich spürte Neid, aber konnte es nicht als Neid wahrnehmen, da er gleichzeitig mit einer Abgrenzung bzw. Ablehnung des Weges der anderen verbunden war. Ich wollte dieses Leben und gleichzeitig einen Teil davon auch nicht. Der Kopf versuchte, meine Neid-Gefühle logisch weg zu argumentieren, und so habe ich auch meine eigenen Gefühle bis vor Kurzem nicht richtig ernst genommen. Wenn ich mir selbst diese Gefühle nicht zugestehe, wie soll ich da erst jemand anderem meinen Neid erklären?

Während mein Neid-Gefühl bei fremden Menschen sehr niedrig ist, spüre ich es bei Menschen, die mir nah sind, umso heftiger. Problematisch kann das dann in Beziehungen werden. Als ich mir noch nicht meine Neid-Gefühle eingestehen konnte, war ich z.B. oft neidisch auf einen Metamour, weil er von unserem Paramour etwas bekommen hat, was ich auch wollte, aber unser Paramour mir nicht geben konnte. Dann habe ich gerne schlecht über den Metamour geredet. Manchmal vermittelte ich meine Abwertung so subtil, dass es schwierig war, das mit der konkreten Sache zu verbinden. Meine Partnerinnen ließ ich somit unabsichtlich im Ungewissen. Es war ein typisches Eifersuchtsdrama. Sehr schwierig für meine Partnerinnen, da ich aber gleichzeitig auch alles wissen wollte, und es mir wichtig war, keine Geheimnisse zu haben.

Gefühle aushalten

Dann passierten zwei Dinge innerhalb der letzten zwei Jahre. Zunächst einmal lernte ich, ehrlich zu meinen Gefühlen zu sein. Viel zu oft ertappe ich mich bei Gedanken wie „ach, das ist ja nicht so schlimm“ oder „anderen geht es ja schlechter, stell dich nicht so an“ oder „du darfst das jetzt nicht fühlen, denn das wäre ja unsozial so zu fühlen“ oder „naja, die sind halt so und du kannst ja sowieso nichts ändern“ oder „ich darf keine Ansprüche/Forderungen stellen, das würde nur alles kaputt machen“. Wenn ich aber wegen dieser Harmoniesucht meine Gefühle nicht ernst nehme, vergesse ich, was mich eigentlich ständig immer wieder ein bisschen sauer macht. Durch die daraus resultierende fehlende Kommunikation hat mein Gegenüber keine Chance zu wissen, was in mir vorgeht.

Die Herausforderung ist jedoch ein Gespräch über meine Gefühle auszuhalten. Meine eigenen Gefühle auszuhalten, anstatt sie z.B. mit den o.g. Gedanken zu verdrängen, ist schon recht anstrengend. Der Schmerz wird aber immerhin schon allein durch das Mitteilen an meine wichtigen Menschen gelindert. Und genau darum geht es mir dann: Um eine Mitteilung, nicht um eine Forderung. Umgekehrt ist es natürlich auch schwierig für Menschen, die mir am liebsten jeden Wunsch erfüllen werden, wenn sie von Dingen hören, die sie nicht erfüllen können. Dennoch ist es wichtig, solche Gefühle des anderen auszuhalten, ohne sich davon zu irgendetwas drängen zu lassen und/oder zu befürchten, nicht gut genug zu sein. Denn ansonsten kann man den Partner nicht akzeptieren, wie er ist, und er müsste seine Gefühle – der verdammten Harmonie zuliebe – verheimlichen. Aber das Verheimlichen von Gefühlen ist keine langfristige Lösung.

Musterkennung mit Hilfe des Enneagrams

Die andere Sache, die geschah, war, dass ich mich mit dem Enneagramm beschäftigt habe. Der Enneagramm-Typ vier beschrieb ziemlich gut, wie ich mich fast immer fühle und beschrieb auch meine Muster ziemlich genau. Natürlich sind die Enneagramme nur ein Erklärungs-Modell und sollen nicht zur Kategorisierung von sich selbst oder Anderen dienen. Für Anregungen oder Inspiration, über seine Muster nachzudenken, kann ich das Modell aber durchaus empfehlen. Denn die Motivation, die hinter dem Typ vier steckt, soll ausgerechnet der Neid sein. Zunächst leuchtete mir das überhaupt nicht ein, weil ich mich selbst nie als besonders neidisch empfunden habe. Jedenfalls nicht so stark, dass ich das als Antrieb für meine Muster identifiziert hätte. Zusammen mit dem neuen Bewusstsein, das ich gerade entdeckte, fing ich jedoch an, stärker in meine Gefühle hineinzuspüren und darauf zu achten, wann ich denn neidisch war. Und so half mir die Beschäftigung mit dem Modell, meinen Neid wahrnehmen zu können.

Wie ich bereits zwischendurch erwähnte, ist es wichtig, auch seine unangenehmen Gefühle mitzuteilen (unabhängig von irgendwelchen Enneagrammen-Mustern). Denn wenn ich diese niemandem (und insbesondere nicht denen, die es betrifft) erzähle, staut sich in mir ein Groll auf. Das ist Energie und Zeit, die ich dann durch vereinnahmende Gedanken verschwende. Seit ich auch über diese Gefühle rede, denke ich aber weniger über sie nach. Aufschreiben hilft manchmal auch. Das Paradoxe ist, dass ich durch die Mitteilung und das Aushalten meines Neids meinen Neid verliere. Nach ein paar Monaten offener Kommunikation über meinen Neid kann ich nun auch wieder mehr schätzen, was ich habe, anstatt das zu vermissen, was ich nicht habe.