Warum ich nicht „Ich liebe dich“ sage

13536288534_4b03545335_z

photo credit: Janine Pusa via Flickr cc

Der Wunsch nach intimer Geborgenheit scheint mir im Widerspruch zum Wunsch nach der Selbstbestimmung über die Anforderungen zu stehen (siehe auch meinen Artikel Geborgenheit und Automie). Diese Anforderungen können z.B. in Form von Privilegien an einen gestellt werden. Meistens finde ich es gar nicht schlecht, wenn sich eine Beziehung entwickelt und dabei verschiedene Privilegien entstehen – und dies auch gewünscht ist. Allerdings sollte immer die Möglichkeit bestehen, die Beziehungsrolltreppe anhalten zu können, ohne dass der Partner dann enttäuscht ist. (Eine Beziehungsrolltreppe bezeichnet die typischen Erwartungen, wie sich in unserer Gesellschaft eine Beziehung entwickeln sollte – siehe dazu auch peregrins Artikel Flying solo.) Leider muss ich gestehen, dass viele meiner Beziehungen gerade daran gescheitert sind, dass die Beziehungsrolltreppe von meinen Partnerinnen nicht rechtzeitig angehalten wurde und sie dann keine andere Möglichkeit als einen kompletten Absprung sahen, um sich aus der Affäre zu ziehen.

Eine Sache, die ich daraus gelernt habe, ist, den überromantisierten Satz „Ich liebe dich“ am Besten gar nicht zu verwenden. Das war aber nicht immer so. Als Teenager war ich nicht besonders erfolgreich bei den Mädchen. Ich hielt es für ein Ideal, ineinander die große Liebe zu entdecken, und deswegen gestand ich mein Interesse am anderen Geschlecht sehr schnell mit „Ich liebe dich“. Leider war ich zu dieser Zeit noch nicht einfühlsam genug, um zu merken, ob diese Gefühle überhaupt erwidert wurden – und da das leider nie der Fall war, sind mir die Mädchen regelmäßig schreiend davon gerannt. Einmal schrieb ich sogar einem Mädchen einen „Liebesbrief“: Ich würde sie so sehr lieben, ich würde mich für sie umbringen. Natürlich hatte ich nicht wirklich vor, mich umzubringen, aber ich war fest von der Romantik in diesen Zeilen überzeugt. Immerhin habe ich letztendlich meine Lektion gelernt, dass nicht alles, was in Medien gezeigt wird, sich auf die reale Welt übertragen lässt.

Als ich dann in meinen frühen Zwanzigern meine Sexualität entdeckte ja ich war ein Spätzünder, wie das bei vielen Nerds so ist – fühlten sich die Worte „Ich liebe dich“ nicht mehr so richtig an. Ich sagte die Worte zwar immer noch, wenn ich die Gefühle dazu verspürte, aber mit der neuen sexuellen Konnotation wollten die Worte nicht mehr in das (über-)romantische Bild, das ich in meiner Jugend idealisierte, passen. Zudem merkte ich, dass bei manchen Frauen diese Worte einen Druck aufbauten: Auf einmal war die lockere Beziehung in einen Erwartungsdruck umgeschwenkt, obwohl ich niemals geäußert hatte, welche Erwartungen ich mit dem Satz „Ich liebe dich“ verbinde. Seit mir das klar geworden ist, sage ich nicht mehr „Ich liebe dich“, sondern wenn ich die damit verbundenen Gefühle verspüre, rede ich zwei Stunden lang über meine Gefühle, Erwartungen, Hoffnungen und Möglichkeiten.

Leider machen solche Zwiegespräche den Erwartungsdruck nicht wesentlich besser. Aber selbst wenn ich nicht darüber reden würde, würde meine Partnerin früher oder später sowieso meine Gefühle spüren und sich dadurch Sorgen um die Erwartungen an sie machen. Da ist es mir lieber, sie weiß konkret, woran sie ist. Man muss natürlich damit rechnen, dass die Gefühle, Erwartungen, Hoffnungen und Möglichkeiten nicht (komplett) erfüllt werden können. Wenn man solche Gedanken mitteilt, hat man die Verantwortung, dem anderen nicht seinen Willen aufzuzwingen. Ansonsten läuft man Gefahr, dass der andere versucht, all diesen Sachen – aus Liebe – gerecht zu werden. Das mag für die unmittelbare Situation praktisch sein, allerdings kann es für einen langen Zeitraum auch zu einer zerstörerischen Belastung für den anderen werden. Ich denke, die Kunst liegt darin, dem anderen durch diese Zwiegespräche die Wahl zu geben, ob man versuchen will, gegenseitige Erwartungen zu erfüllen oder auch nicht. Außerdem sollte dieser Konsens jederzeit neu verhandelbar sein, wenn man merkt, dass die Erwartungen doch eine zu große Belastung sind.

Ich denke, viele Menschen sagen sich gegenseitig „Ich liebe dich“, um sich zu vergewissern, dass noch immer die Erwartungen erfüllt werden können. Das fällt mir besonders daran auf, dass viele Menschen den Satz „Ich liebe dich“ nicht nur wegen des Gefühls, das dahinter steht, äußern, sondern auf die Erwiderung „Ich liebe dich auch“ hoffen. Diese sehr kurzen Äußerungen könnte man dann auch so ausdrücken: „Hey, ich finde es schön, wie du mich behandelst, wirst du das auch in Zukunft für mich tun?“ und „Na klar, Schatz, ich mag dich sehr und mach‘ das doch gerne für dich“. Aber ich finde es schwierig, das zu generalisieren, da hinter den Worten „Ich liebe dich“ auch noch so viel Unbekanntes stecken könnte – oft weiß man auch als Aussprechender dieser Worte selbst nicht genau, was alles eigentlich.

Ich würde mir wünschen, dass man es in einer Beziehung schafft, sich durch Zwiegespräche soweit der Gedanken und Gefühle des anderen sicher zu sein, dass die Äußerung „Ich liebe dich“ keiner Erwiderung bedarf und einfach als schöne Gefühlsbekundung für sich stehen kann. Dafür ist es natürlich notwendig, sich durch Selbstreflektion erst einmal klar zu werden, was die Gefühle für einen bedeuten und was daran alles verknüpft ist. Nur man selbst ist in der Lage, sich dieser Gefühle klar zu werden – der Partner kann nicht mit Sicherheit die Bedeutung eines „Ich liebe dich“ kennen.