Die gelassene Haltung

Zwei Männer unterhalten sich
photo credit:  Drew Coffmann via Flickr cc

Oh wie mich das verletzt hat, wenn Menschen meine Gefühle nicht ernst genommen haben. Wenn in mir die Gefühle explodieren und Menschen meine Gefühle runterspielen („Ach komm, das ist doch gar nicht soooo schlimm, wie du es darstellst“) löst diese Konfrontation mit Unverständnis in mir Einsamkeit aus. Oder wenn man sich sogar über meine Situation lustig macht („Jaja, der Pablo die alte Drama-Queen mal wieder“) greift das mein Selbstwertgefühl an. Dass solche Verletzungen passieren ist nicht gut und dennoch kann ich verstehen, dass es passiert, weil ich mich selbst schon oft so verhalten habe.

Schutz durch Abgrenzung

Erst kürzlich habe ich bei mir selbst beobachtet, warum ich mich so verhalte. Dieses Verhalten ist eine Form von Abgrenzung von den Gefühlen anderer: Ich möchte mich davor schützen, negative Gefühle Anderer an mich ran zu lassen. Aber warum sollte ich das tun, wenn mich so etwas doch von den Menschen, die ich liebe, entfernt? Die Gründe können sehr unterschiedlich sein. Ich kenne z.B. Menschen, die in ihren Familien extrem viel Streit miterlebt haben und deswegen versuchen, für die Konflikte anderer Menschen Lösungen zu finden. Wenn man aber nicht helfen kann, reproduziert man damit nur die Verzweiflung und Ohnmacht aus der Kindheit, nichts tun zu können. Davor kann man sich durch Abgrenzung schützen. Eine ähnliche Verzweiflung und Ohnmacht, die mit intensiven Gefühlen von anderen verknüpft ist, kann man auch spüren, wenn Familienmitglieder durch ihre Gefühlswelt nicht normal leben konnten und man als Kind das hilflos mit ansehen musste oder in eine nicht kindgerechte Verantwortung gedrängt wurde.

Diese Beispiele passen auf mich nicht. Bei mir ist das anders: Wenn ich die Gefühle von anderen spüre, kann ich sie für meine eigenen halten, und dadurch können alte Verletzungen getriggert werden. Dass ich dafür so empfindlich bin, liegt wahrscheinlich daran, dass ich mit meinen Gefühlen oft alleine gelassen wurde und sogar noch heute ab und zu verunsichert bin, ob ich mich den anderen mit meinen Gefühlen zumuten kann. Ich habe deswegen gelernt, meine Gefühle mit mir selbst auszumachen und für mich selbst zu lösen, da ich lange dachte, keine Hilfe von außen erwarten zu können. Um mich vor diesen Triggern zu schützen, darf ich fremde Gefühle nicht zu meinen eigenen machen. Nachdem ich seit einigen Jahren aber merke, wie sehr mich das von anderen distanziert, habe ich dieses Verhalten angefangen an mir zu kritisieren.

Positive Aspekte der Abgrenzung

Auf der anderen Seite hat dieser Schutzmechanismus auch etwas Positives: Es ist – im Idealfall – eine gelassene Haltung, die anderen viel Stabilität und Sicherheit geben kann, wenn sie nicht befürchten müssen, ich würde in Momenten, in denen sie sich bei mir ausheulen, in einen Abgrund stürzen. Die Abgrenzung darf nur nicht bereits beim Mitfühlen geschehen, sondern erst in dem Moment, in dem es anfängt, in mir Muster auszulösen, die mir nicht gut tun. Es kann beispielsweise vorkommen, dass ich meinen Mitmenschen irgendwie helfen kann, wenn sie in Not sind. Dann sollte ich auf keinen Fall gelassen bleiben, sondern dringend etwas tun, damit es dieser Person besser geht. In den meisten Fällen kann ich aber gar nichts tun, z.B. weil ich nicht die Möglichkeit habe, genau das zu geben, was der Mensch gerade braucht. Bevor ich dann in eine hilflose Ohnmacht falle und es zwei Menschen schlecht geht, ist es wichtig, sich in die gelassene Haltung zu flüchten. Und ich erinnere mich auch an viele Menschen, die mir ihre Probleme ausgebreitet haben und dankbar dafür waren, dass ich nur mitfühlend zugehört habe und nicht anfing, ihnen ihre Probleme aus der Hand zu nehmen.

Oder kurz: Abgrenzung durch eine gelassene Haltung ist gut, solange man dabei seine Mitmenschen und ihre Gefühle noch ernst nimmt. Eine schwierige Gradwanderung – aber nicht unmöglich!