Hört nicht auf zu spielen!

Freunde beim Pokerspiel

photo credit: Matt via Flickr cc

Vor einiger Zeit hat mir eine Freundin einen Text von James P. Carse geschickt. Dieser schreibt, der Mensch befindet sich zu jeder Zeit in einem Spiel, wenn er sich auf ein wetteiferndes oder kooperatives Verhältnis mit anderen Menschen einlässt. Den Begriff des Spiels auf „ernste“ Sachen zu erweitern, ist schon seit Johan Huizinga (homo ludens) nichts Neues, aber Carse macht im Gegensatz zu Huizinga einen Unterschied in diesen Spielen: Endliche und Unendliche Spiele.

Ein endliches Spiel wird mit der Absicht zu gewinnen gespielt und unendliche Spiele um des Spielens willen. Als Beispiel führt er u.a. eine Pokerrunde zwischen Freunden an, die jeden Donnerstag im selben Club stattfindet. Die Freunde treffen sich schon seit Jahren und fast niemand lässt sich diese Gelegenheit entgehen. Während des eigentlichen Pokerspiels kämpft jeder gegen jeden, um am Ende der Gewinner zu sein. Plötzlich ist das Spiel zu Ende und alle gehen mit dem guten Gefühl nach Hause, einen schönen Nachmittag zusammen verbracht zu haben. Sie spielen hierbei ein endliches Spiel (Poker) innerhalb eines unendlichen Spiels (lebenslange Freundschaft).

Übertragen auf Beziehungen – bzw. den Umgang mit anderen Menschen – lassen sich aus diesen zwei Arten von Spielen Erkenntnisse gewinnen.

Endliche Spiele

Spieler, die unbedingt gewinnen möchten, nennt Carse „Master Player“. Master Player haben sich bereits eine Strategie zurecht gelegt, mit der sie den Ausgang des Spiels für ihren Sieg zu beeinflussen versuchen. Durch das Herbeiführen dieses beabsichtigten Ausgangs spielen die Master Player aber damit gegen das Spiel selber: Durch den Sieg wird das Spiel mit einem Schlag beendet, und alle anderen, die noch Teil des Spiels waren, sind nun Verlierer. Der Sinn der Gesellschaft besteht aber gerade darin, miteinander verbunden zu bleiben, wohingegen ein Sieg diese Verbundenheit auflöst, da er das Spielende bedeutet. Die essenzielle Strategie wäre somit zu versuchen, alle im Spiel zu behalten. Endliche Spieler spielen innerhalb strenger Regeln, da sie sonst nicht sagen können, wer gewonnen oder verloren hat.

Wenn ich mich in Beziehungen wie ein Master Player verhalten habe, ist mir die Ungezwungenheit abhanden gekommen: Meine Beziehungspartnerinnen hatten – glaube ich – dann oft das Gefühl, dass ich die Beziehung nicht wegen ihnen als Person geführt habe, sondern um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Als ich z.B. noch einen starken Kinderwunsch verspürt habe, habe ich Beziehungen mit dem Zweck (auch) Kinder großzuziehen gesucht. Kinder großziehen ist zwar ein lang angelegtes Projekt, aber dennoch ist es ein endliches Spiel, da das Ende irgendwann absehbar ist. Und selbst wenn man das Spiel zusammen zu Ende spielt, so gibt es innerhalb eines solchen starren Spielrahmens wenige Möglichkeiten, die Spielregeln zwischendurch neuen Umständen anzupassen, wie man es in unendlichen Spielen macht.

Unendliche Spiele

Unendliche Spieler (Infinite Player) spielen mit Regeln, die ständig an die neuen Umstände angepasst werden. Master Player versuchen alles, um zu verhindern, überrascht zu werden. Infinite Player erwarten hingegen, überrascht zu werden. Schließlich ist die Zukunft offen und unvorhersehbar.

Ich muss zugeben, dass mich eine offene und unvorhersehbare Zukunft eher mit Angst erfüllt. Aber ich muss auch zugeben, dass Carse hier etwas sehr Wichtiges sagt. Nehmen wir z.B. das Beispiel mit dem Kinder großziehen wieder auf: Wenn man eine Beziehung führt und sich die Lebensumstände von ganz alleine – ohne das Zutun von Master Playern – so entwickeln, dass man Kinder großziehen kann und will, dann kann man innerhalb dieses unendlichen Spiels „Liebesbeziehung“ neue Regeln aufsetzen, die den neuen Umständen angepasst Sinn machen. Für mich ist das der Schlüssel zu harmonischen und ungezwungenen Verhältnissen, da man zu jeder Zeit flexibel bleibt und nicht die Beziehung wegen der Erreichung des Ziels beenden muss.

Unendliche Spiele in TPE-Beziehungen

Nun könnte man vermuten, dass der/die Dom einer TPE-Beziehung* ein Master Player sei. In Gesprächen mit Menschen in einer TPE-Beziehung habe ich festgestellt, dass diese aber unendliche Spiele spielen: Die zwei Personen haben sich auf bestimmte Rollen geeinigt, jedoch wird die eigentliche Beziehung neuen Umständen immer wieder neu angepasst. Es gibt zwar eine Person, die in einer TPE-Beziehung die Entscheidungen trifft, jedoch geht es dieser Person nicht darum, ein Ende der Beziehung zu erreichen, sondern für alle Beziehungsbeteiligten den aktuell besten Weg zu finden. Innerhalb dieses unendlichen Spiel kann es natürlich auch endliche Spiele geben. Beispielsweise kann es BDSM-Sessions geben, die einen bestimmten Ausgang oder vorherbestimmte Handlungen haben.

Slow Sex als weiteres Beispiel für unendliche Spiele

Ein anderes Beispiel für Spiele in Beziehungen ist mir bewusst geworden, als ich mich vor Kurzem mit einer Freundin über Slow Sex** unterhielt. Sie erzählte mir, dass sie bei „konventionellem Sex“ die Unpersönlichkeit stört. In ihren ersten Erlebnissen mit Slow Sex hat sie die Erfahrung gemacht, viel mehr vom anderen wahrgenommen zu werden. Wenn es nicht mehr darum geht, ein Ziel – wie z.B. einen Orgasmus zu bekommen oder den anderen an sich zu binden – zu erreichen, fällt es einfacher, Intimität miteinander zu erleben. Auch hier sehe ich eine Parallele zu unendlichen Spielen: Bei Slow Sex geht es um die Erotik an sich und um die gemeinsame Erfahrung. Dieses erotische Spiel könnte man von der Absicht der Spielenden her ewig miteinander spielen, wenn man  nicht irgendwann zu müde werden würde.

Sollten wir nicht unsere Beziehungen im Sinne des unendlichen Spielens führen? Solange wir versuchen, nicht zu einem Master Player zu werden, und stattdessen danach schauen, alle(!) Beteiligten im Spiel zu halten, sollte es auch möglich sein, dass alle Beteiligten Spaß und Freiheit in der Beziehung genießen. Ich glaube, das ist es, was Menschen ungezwungen dauerhaft oder gar lebenslang zusammenhält.

* TPE (total power exchange) ist eine Beziehungsform, in der ein Partner seine Macht permanent auf einen anderen überträgt, so dass dieser über alle Lebensbereiche des anderen bestimmen kann. Siehe auch unseren TPE-Erfahrungsbericht.

** Slow Sex ist ein von Diana Richardson geprägter Appell, ein glückliches, erfüllendes Sexualleben durch die Verlangsamung des Tempos zu erleben. Es soll eine Alternative zu überhasteter, entindividualisierter, mechanischer Imitation von Erotik und Liebe sein.