Über Ortswechsel und Beziehungsdilemmata

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Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Konzept einer Beziehung und unser heutiges Leben nicht zusammen passen. Es müssen noch gar keine festen Beziehungen sein, selbst Spielbeziehungen leiden darunter, dass ein Teil der Menschheit jahrelang kein festes Zuhause hat. Erst zieht man fürs Studium in eine andere Stadt, dann für die erste Stelle und schließlich stellt man nach zwei, drei Jahren fest, dass die nächste Stelle in wieder einer anderen Stadt ist. Und plötzlich steht man vor der Frage, alle Brücken hinter einem abzubrechen oder seine Wochenenden immer unterwegs zu verbringen.

Natürlich läuft es meistens auf eine Mischform hinaus: Ein Teil der Beziehungen überlebt, der andere Teil verschwindet allmählich in der Versenkung. Je wichtiger die Beziehung ist, desto mehr wird sie auch trotz der Entfernung gepflegt. Schwieriger finde ich die Offenheit in Bezug auf neue Bekanntschaften. Ich bin mittlerweile extrem zurückhaltend, wenn ich Menschen kennenlerne, die nicht in meiner Stadt wohnen. Weil bei mir im Kopf sofort die Schleife anläuft „Oh ne, nicht schon wieder einer, zu dem ich vier Stunden hinfahren muss, das ist schon wieder jede Menge Wochenendstress …“ Denn obwohl ich mittlerweile ein Logistikgenie bin, stelle ich immer öfter fest, dass ich gern mal ein Wochenende zuhause auf dem Sofa verbringe (das ist übrigens auch einer meiner Vorsätze fürs neue Jahr: weniger durch die Gegend fahren).

Ich frage mich nur, ob ich mich damit selbst zu sehr einschränke. Rein statistisch gibt es in jeder Stadt tolle Menschen und ich müsste in jeder Großstadt in der Lage sein, ein paar für mich passende Individuen zu finden. Und ja, ein weiterer meiner Vorsätze für dieses Jahr ist es, mich da auch mal vernünftig dahinter zu klemmen und wirklich diese Menschen in meiner Stadt zu finden (ist ein bisschen skurril, weil ich früher nie Vorsätze hatte und ihnen auch jetzt immer noch skeptisch gegenüber stehe). Trotzdem ist das geografische Kriterium aus meiner Sicht sehr willkürlich und es besteht immer die Gefahr, dass man niemanden findet, weil man beispielsweise mit dem Charakter der Menschen in einer bestimmten Gegend nicht zurechtkommt. Oder einfach nicht in die richtigen Kreise reinkommt.

Dieses Grunddilemma sehe ich bei vielen Freunden: Wie viele Partner und Freunde lässt man zurück und wen hält man sich auch in Zukunft warm? Bei diesen Zwangswechseln nützen auch deviante Beziehungsformen wenig. Natürlich übersteht der ein oder andere eine räumliche Trennung besser, wenn er oder sie in einer polyamoren Beziehung lebt und während der Trennungszeit körperliche Nähe von einem anderen Partner bekommt. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass Beziehungen etwas sehr Archaisches sind und dass sie mit den Veränderungen der letzten Jahrzehnte nicht mitgewachsen sind. Ich habe keine Ahnung, ob sie sich überhaupt verändern können oder sollten. Aber ich habe das Gefühl, sie zwingen einen geradezu in einen ​bestimmten Lebensstil, ohne dass man sich frei dafür entscheiden kann – man entscheidet sich entweder für oder gegen Beziehungen.

Ich will gar nicht abstreiten, dass ich auch Menschen kenne, bei denen die Beziehung als oberste Priorität läuft und alles andere um die Beziehung herum gebaut wird – mit zunehmendem Alter werden das übrigens immer mehr Menschen. Sie scheinen gar nicht schlecht mit dieser Entscheidung zu fahren. Prinzipiell finde ich das auch nicht falsch, ich finde es nur schwer, überhaupt diese Entscheidung zu treffen, wann eine Beziehung es wert ist, alles andere für sie aufzugeben. Von einem Job könnte man natürlich dasselbe sagen, nur ist Einkommen gemeinhin eine lebensnotwendigere Komponente als eine Beziehung.

Wahrscheinlich bin ich prototypisch für unsere heutige Zeit: Ich bin nicht gegen Beziehungen, aber ich möchte sie zu den für mich passenden Konditionen, weil ich nicht bereit bin, allzu viele Kompromisse einzugehen. Womöglich auch, weil das der einzige Bereich in meinem Leben ist, wo ich extreme Forderungen in dieser Form stellen kann. Das Problem ist, dass es mit krassen Forderungen immer schwierig ist. Ich grüble gerade über der Frage, ob die Kompromissbereitschaft mit zunehmender Verzweiflung steigt oder ob sie das auch aus freiem Willen tun kann. Womöglich läuft es auch hier wieder – wie bei den Ortswechseln – auf eine simple „Womit kann ich am besten leben (unabhängig davon, ob es das Beste ist oder nicht)?“-Analyse hinaus. Vielleicht bin ich auch nur manchmal desillusioniert darüber, wie hehre Theorien an der Realität des Alltags zerbrechen. Was mich aber wirklich interessiert, ist, ob es Beziehungsformen gibt, die ich noch nicht kenne, und die mit unserem heutigen Leben besser korrelieren als die altbekannten. Kennt ihr welche?