Buchrezension: Die juristische Unschärfe einer Ehe

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photo credit: peregrin

Eine Freundin von mir hat mir nach ihrem letzten Besuch auf der Frankfurter Buchmesse eine Empfehlung für dieses Buch mitgebracht, da sie von meinem polyamourösen Lebensstil weiß und eine alternative Beziehungskonstellation einer der Ankerpunkte in dieser Geschichte ist. Eines vorneweg, der Titel ist kein Paradebeispiel für Polyamorie, aber die Autorin Olga Grjasnow zeichnet trotzdem ein gelungenes Bild von drei Menschen, die versuchen, ein Leben nach ihren Vorstellungen auszurichten und sich nicht an konventionellen Vorstellungen zu orientieren. Ich persönlich bin auch ein Freund von Geschichten geworden, in denen Beziehungskonstellationen mit mehreren Menschen nicht mehr den Aufreger der Storyline bilden, und das ist diesem Buch gut gelungen.

Ich hoffe darauf, irgendwann einen Roman mit einem polyamourösen Beziehungsgebilde zu lesen, der sich in einem eher bürgerlichen Umfeld abspielt und den oben genannten Kriterien entspricht, aber das ist nicht dieses Buch. Die Protagonisten schaffen es, ihr Leben konventionslos zu leben, indem sie sich den engen Vorstellungen ihrer Eltern entziehen. Leyla und Altay müssen sich zudem auch den eingrenzenden Regeln der russischen Gesellschaft entziehen, in denen sie aufgewachsen sind.

Leyla, das scheinbare Zentrum der Geschichte, um die Altay, ihr Ehemann, und ihre Freundin Jonoun herumkreisen, war Tänzerin am Bolschoi-Theater. Der Tanz, das Perfektionieren ihres Körpers, die Integration von Schmerz und körperlicher Qual  in ihren Alltag haben eine Zeitlang ihr Leben bestimmt. Bis ihr Ziel, Primaballerina zu werden, nach einem Unfall in weite Ferne rückt und sie ihr Leben neu ausrichten muss.

Altay selbst ist Psychiater und seine Ehe mit Leyla ist vordergründig aus dem Wunsch entstanden, um beider Elternpaare Genüge zu tun. Die Ehe der beiden ist jedoch geprägt von einer intensiven Zärtlichkeit und gegenseitigem Respekt und einer Nähe, die keiner der beiden bei anderen Menschen zulassen.

Jonoun, obwohl die Jüngste in der Konstellation, hat den buntesten Lebensweg hinter sich. Als ehemaliges Punk-Mädchen hat sie während ihres Kunststudiums einen ihrer Professoren geheiratet, wurde in dieser kurzlebigen Ehe geformt und kultiviert, bis sie schließlich allein und geschieden in Berlin landet. Hier lernt sie Leyla und Altay in der Bar, in der sie jobbt, kennen. Sie ist fast augenblicklich von Leyla fasziniert und nach einer ersten gemeinsam verbrachten Nacht integriert sie sich sehr eng in das Leben der beiden.

Der Roman spannt seine Handlung über mehrere Städte und Kulturen aus. Sie beginnt in der alternativen Kunstszene von Berlin, und wandert schließlich nach Moskau und Baku, wo die Autorin ein sehr beißendes Bild der dortigen Oberschicht malt.

Leyla, Altay und Jonoun eint das gemeinsame Umhertreiben in einer Welt des Überflusses und der unendlichen Möglichkeiten. Jeder einzelne von ihnen ist auf der Suche, vielleicht nach der Nähe zu einem anderen Menschen, vielleicht nach einem neuen Abzweig in ihrer Reise, vielleicht nach sich selbst. Ich vermute, dass mich das Buch so angesprochen hat, weil es in der Lage ist, zwischen den kühlen, teilweise distanziert wirkenden Erzähltönen und den etwas überbordenden Biografien seiner Figuren das Gefühl von Orientierungslosigkeit und dem Wunsch nach etwas einzufangen, das ich von mir selbst und den Menschen in meinem Umfeld kenne.