Buchrezension: Mein Huren-Manifest

Um Prostitution ranken sich viele Mythen. Fast jede*r weiß, wo sich in der nächsten Großstadt die Rotlichtviertel befinden, aber die meisten von uns laufen normalerweise nur durch, anstatt einen Plausch mit den Sexarbeiter*innen dort zu halten. Und natürlich ist es schwer, etwas zu beurteilen, das man nur vom Hörensagen kennt. Einen Einblick von innen liefert das Buch „Mein Huren-Manifest“ von Undine de Rivière, einer Hamburger Sexarbeiterin, die sich auf BDSM-Praktiken spezialisiert hat.

De Rivière war Mitgründerin des Bundesverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen und hat als solche einen guten Einblick in die deutsche Sexarbeits-Branche. Sie lässt im Buch viele Kolleg*innen zu Wort kommen, aber auch die Freier-Seite findet mit zahlreichen Erfahrungsberichten Gehör. Es ist ihr wichtig zu vermitteln, dass der deutlich überwiegende Teil der Sexarbeiter*innen die Sexarbeit freiwillig und selbstbestimmt ausübt. In einigen aktuellen Gesetzen wird argumentiert, dass Sexarbeiter*innen besonders schutzbedürftig seien. Allerdings schützt bspw. das 2016 verabschiedete Prostituiertenschutzgesetz die Sexarbeiter*innen nicht, sondern trägt im Gegenteil zu ihrer Diskriminierung bei, wie auch Amnesty International bestätigt. Auch zur Verhinderung von Menschenhandel, den einige Politiker*innen aufgrund vieler Migrant*innen in der Sexarbeit befürchten, leistet es keinen Beitrag. Daher bleibt zu hoffen, dass die politische Lobbyarbeit der Sexarbeiter*innen in den kommenden Jahren auch bei der breiten Bevölkerung Unterstützung finden und die Gesetzeslage der heutigen Zeit angepasst wird.

Skills, die jede*r haben möchte

Besonders eindrucksvoll fand ich während der Lektüre die Auflistung der lebenslauftypischen Kompetenzen wie Emotionsarbeit, Konfliktmanagement, Kundenakquise und -bindung, Buchhaltung usw. Leider haben Sexarbeiter*innen, wenn sie ihr Berufsfeld wechseln – und seien wir mal ehrlich, wer macht das heutzutage nicht mindestens einmal in seinem Leben? – oft noch Bedenken, ihren Sexarbeits-Job im Lebenslauf anzugeben. Zu Recht, weil die Stigmatisierung immer noch gewaltig ist. Dabei dürfte sich ein Kommunikationsseminar für den Umgang mit schwierigen Kunden von Vertriebler*innen und Sexarbeiter*innen gar nicht so sehr unterscheiden. Hier sind wir wieder bei den Mythen vom Anfang des Artikels.

Das Buch ist verschiedener Hinsicht lesenswert: Es zeigt zum einen durch de Rivières persönlichen Lebensweg, wie eine selbstbestimmte Entscheidung für Sexarbeit aussehen kann. Sie beschreibt ihre Begeisterung über ihren ersten Peepshow-Besuch ebenso nachvollziehbar wie ihre Tanz-Performance auf einer Sexwork-Konferenz. Zum anderen räumt das Buch mit sehr vielen Vorurteilen und Klischees auf. Die Autorin unterscheidet klar zwischen persönlichen Erfahrungen und wissenschaftlichen Studien. Man bekommt dadurch viele realistische Eindrücke aus dem Alltag von Sexarbeiter*innen, was unglaublich wertvoll dafür ist, sich in dieser Diskussion seine eigene Meinung zu bilden. Gerade weil die Otto-Normalbürger*in tendenziell nur bei der Obsthändler*in anstatt bei der Sexarbeiter*in für einen kurzen Plausch stehen bleibt.