Nein sagen ohne Schuldgefühle

Eine Frau streckt ihre Hand abwehrend nach vorne aus.
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Pablos Perspektive

Ich habe viele Menschen, denen es schwer fällt Nein zu sagen, kennengelernt. Oft liegt das daran, dass sie sich beim Nein-sagen schuldig fühlen: Sie bekommen den Eindruck, etwas falsch gemacht zu haben, wenn sie durch das Nein-Sagen die Erwartungen des anderen enttäuschen müssen. Ich kann mich in diese Gefühlswelt schlecht hineindenken, da ich nur selten das Gefühl hatte, mit meinem Nein-Sagen etwas falsch gemacht haben zu können. Ich hoffe, mit diesem Artikel einen Perspektivwechsel zu ermöglichen.

Zunächst ist in meiner Weltsicht jeder für seine Erwartungen selbst verantwortlich. Das heißt, niemand kann für die Wünsche, Hoffnungen oder Erwartungen eines anderen Menschen verantwortlich gemacht werden. Wenn jemand mit seinen Wünschen, Hoffnungen und Erwartungen an mich tritt und ich diese nicht erfüllen kann, bin ich nicht für das negative Gefühl, das durch die Enttäuschung entsteht, verantwortlich. Ich weiß, wie sich diese Enttäuschung anfühlt und dass sie sehr weh tun kann. Aber mit diesen Gefühlen umzugehen, kann mir niemand abnehmen. Das bekomme ich auch ohne Hilfe oder Aufopferung des anderen hin.

Die Gratwanderung an meiner Zurückweisung ist, zu zeigen, dass ich das Bedürfnis des anderen verstanden habe, aber es nicht mit meinen Bedürfnissen in Einklang zu bringen ist. Ich sage selten sofort Nein, sondern überlege zuerst, ob es auch andere Lösungen gibt, mit denen wir uns beide gut fühlen können. Und oft spüre ich kein deutliches Nein in mir und merke nur, dass jemand mit seinen Bedürfnissen langsam an meine Grenzen stößt. Schon lange, bevor ich ein Nein sagen muss, kann ich dann schon signalisieren, dass ich mich langsam schon nicht mehr gut mit der Situation fühle. Was ich damit sagen will ist: Dadurch, dass ich schon so diplomatisch wie möglich nach Alternativen suche, habe ich schon alles getan, was ich tun kann, um den Bedürfnissen eines mir nahestehenden Menschen gerecht zu werden. Mehr KANN ich einfach nicht für den anderen tun. Warum sollte das also zu wenig oder gar falsch sein?

Wie siehst du das denn, Aureliana?

Aurelianas Sicht

Mir geht es ähnlich wie dir, dass mir das Nein-sagen nicht allzu schwer fällt. Ich habe ein paar Mal die Erfahrung gemacht, wie unwohl ich mich gefühlt habe, als ich etwas zugesagt habe, was ich eigentlich nicht wollte. Seitdem bin ich vorsichtig, dass mir das nicht wieder passiert. Das Schwierige beim Nein-sagen finde ich eher, herauszufinden, was ich will oder nicht – wobei man sich bei vielen Sachen auch einfach mal darauf einigen kann, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Also den Partner mal in die Oper begleiten, auch wenn man skeptisch ist, ob einem die Musik gefällt, oder eine neue Sextechnik zumindest mal ausprobieren, auch wenn sie sich skurril anhört. Wenn man nach diesem Versuch sicher weiß, dass man diese Sache nicht mag, fällt einem das Nein-sagen tendenziell leichter.

Ich stelle umgekehrt nämlich oft fest, dass ich es nicht mag, wenn Menschen Dinge nur mir zuliebe tun. Es ist mir wichtig, dass Menschen Dinge tun, weil sie es von sich aus wollen. Wenn also jemand Ja zu einer wie-auch-immer-gearteten Idee von mir sagt, aber nicht mit dem Herzen dabei ist, dann spüre ich das. Und das fühlt sich nicht richtig an, weil ich niemand sein möchte, der die Menschen, die er liebt, zu irgendwelchen Sachen überredet oder gar zwingt. Im Sinne der gegenseitigen Ehrlichkeit ist mir also ein klares Nein viel lieber als ein Ja, das eigentlich keines ist.

A propos Ehrlichkeit: Ich finde es auch wichtig, ein Nein relativ zügig zu kommunizieren, nachdem man sich sicher ist. Aus Höflichkeit Menschen hinhalten und sich um eine klare Antwort drücken, erschwert die Situation für beide Parteien. Denn ein spontanes Nein ist nicht unhöflich, wenn man es respektvoll äußert. Es zeigt meines Erachtens eher, dass man der anderen Person genug Vertrauen entgegen bringt, damit klarzukommen und umzugehen. Und auch wenn ich mich im ersten Moment vielleicht zurückgestoßen fühle, fühle ich mich damit unter Umständen trotzdem gut, weil es keinen Zwang und keine Heuchelei gab.