Privatsphäre beim digitalen Flirt?

Natürlich betreiben wir alle leidenschaftlich Online-Dating. Und haben Profile auf den einschlägigen Plattformen, wo wir teils sehr intime Informationen über uns teilen. Und selbstverständlich gucken wir auch Pornos an, die wir per Suchmaschine gefunden haben. Trotz alldem behaupte ich, dass wir uns an diesen Stellen halbwegs bewusst darüber sind, was wir tun. Immer öfter fällt mir auf: Beim Flirten ist das nicht der Fall.

Intime Gespräche nur im sicheren Messenger

Stellt euch vor, ihr lernt jemanden kennen. Man tauscht Handynummern aus und los geht die Unterhaltung. Erst über Unverbindliches, die Hobbys, die Haustiere, das Lieblingsessen. Dann wird es vertrauter und schließlich landet man bei den klassischen intimen Themen wie Vorlieben und Abneigungen beim Sex, den schönsten sexuellen Erfahrungen oder bislang noch nicht verwirklichten Fantasien. Dieser Austausch geschieht meist über einen Messenger – ohne dass einer der eifrig Flirtenden einen Gedanken darauf verschwendet, wer alles mitlesen kann. (Selbstverständlich sind oft noch weitere technische Systeme beteiligt; ich werde mich in diesem Artikel auf Smartphone-Messenger fokussieren.)

Ich bin in dieser Hinsicht mittlerweile ziemlich sensibel. Als ich das letzte Mal den Fall hatte, dass ein Gespräch privater wurde, habe ich recht schnell vorgeschlagen, vom (Leider-)Standard-Messenger WhatsApp zu einem anderen zu wechseln. Wir haben uns dann auf Telegram geeignet, das ich mir zu diesem Zweck extra installiert habe. Nach ein paar Tagen habe ich festgestellt: Hier muss man extra eine geheime Unterhaltung einstellen, um in den vollen Genuss aller dort möglichen Privatsphäre-Optionen zu gelangen. Ein paar weitere Tage später habe ich erkannt, dass auch der Großteil meines ansonsten sehr intelligenten und aufgeklärten Freundeskreises diese Funktion nicht kennt oder nur selten nutzt. Anscheinend wurde das Streben nach Privatsphäre durch die Installation eines vermeintlich sicheren Messengers bereits vollkommen befriedigt.

Der Messenger meines Vertrauens, Signal, benötigt glücklicherweise keine extra Einstellungen, um den kompletten Schutz zu nutzen. Ist das übertrieben? Klar: Es sind nicht alle Unterhaltungen, die man mit seinen Kontakten führt, intim. Aber wenn ich die Möglichkeit habe, meine Privatsphäre zu schützen, dann mache ich das doch auch, oder?! Denn wenn der Charakter eines Gesprächs wechselt, geschieht das meist recht schnell und man ist schon so drinnen im Gesprächsfluss, dass man auch nicht mehr an den Messenger-Wechsel denkt. Eine kostenpflichtige Alternative, die ich zwar noch nicht ausprobiert habe, aber die ebenfalls einen guten Ruf genießt, ist übrigens Threema.

Reale Bedrohung?

Warum mir das so wichtig ist? Bei Unterhaltungen ziehe ich andere Menschen gewissermaßen mit hinein. Wenn ich für mich ausgefallene Sexpraktiken recherchiere, betrifft das nur meine Privatsphäre. Im Austausch mit einer anderen Person ist aber die Privatsphäre der anderen Person ebenso betroffen. Ganz abgesehen davon: Wenn ich in der analogen Welt flirte und ein Gespräch über meine intimen Erfahrungen führe, suche ich mir dafür auch eine ruhige Ecke im Biergarten und nicht den Platz an der Theke aus.

Wer sagt, dass er das nicht macht, kann meinetwegen ruhig weiter seine sexuellen Präferenzen in die virtuelle Welt verteilen. Allen anderen würde ich dazu raten, mal kurz innezuhalten und zu überlegen, ob ein bisschen mehr Konsequenz im täglichen Handeln angebracht wäre. Es geht damit los, dass ich nicht in meinem Facebook-Stream irgendwann Vibrator-Werbeanzeigen sehen will. Und endet damit, dass ich, sollte ich jemals in Visier einer staatlichen Ermittlung geraten, nicht möchte, dass ich aufgrund meiner sexuellen Vorlieben anders eingestuft werde als andere.

Und ja, im Moment sind viele dieser Befürchtungen Zukunftsmusik, aber damit sie das bleiben, müssen wir unser Recht auf Privatsphäre wahrnehmen. Die Serie Black Mirror zeigt meiner Meinung nach viele realistische Zukunftsszenarien und bei einem Teil von ihnen hat der Wert der privaten Daten spürbar abgenommen. Ich weiß, Datensicherheit, Privatsphäre und Verschlüsselung sind keine prickelnden Themen. Die Hintergründe sind kompliziert – und gerade beim Flirten möchte man sich ja eigentlich nur an der Welt und seiner neuen Bekanntschaft erfreuen.

Digitaler Anstand

Aber ohne ein Mindestmaß an digitaler Verantwortung geht es heutzutage einfach nicht mehr. Genauso wie man im Facebook-Profil keine wilden Party-Fotos seines Kumpels so hochlädt, dass dessen Chef sie sehen kann, genauso umsichtig sollte man sich auch in Bezug auf intime Gespräche verhalten. Gerade weil sie auch jede*r anders einstuft: Manche reden total offen über ihre Erektionsprobleme, während es für andere ein überaus sensibles Thema ist. Im realen Austausch merkt man das meistens auf non-verbaler Ebene, aber dieser Bereich fehlt beim Chatten. Daher gehört es meines Erachtens zum digitalen Anstand, im Zweifelsfall lieber eine Sicherheitsstufe mehr mitzunehmen, als einfach mal munter weiter zu quatschen. Außerdem: Wenn man dann wirklich mal etwas zu verbergen hat, gibt es in zehn Jahren im blödesten Fall einfach keine Möglichkeit mehr, das zu verbergen.

Noch ein Praxis-Tipp: Sucht euch ein paar Lieblingsmenschen, die gemeinsam mit euch zum neuen Messenger wechseln. Dann habt ihr nicht das Gefühl, ihr wärt dort ganz allein. Erfahrungsgemäß finden sich im Laufe der Zeit auch immer mehr Menschen aus der Kontaktliste dort wieder.