Meditation über „verknallt sein“, „verliebt sein“ und „lieben“
Wer mindestens einmal im Leben damit konfrontiert wurde, dass sein/e Partner unter dem Begriff Liebe etwas komplett anderes verstehen als man selbst, wird sich die Frage stellen: Was ist Liebe eigentlich? Denn obwohl Wikipedia extra betont „Der Erwiderung bedarf sie nicht“ und „[Bei dem Ausdruck der Liebe] wird zunächst nicht unterschieden, ob es sich um eine tiefe Zuneigung innerhalb eines Familienverbundes […] oder um eine Geistesverwandtschaft handelt […], oder aber um ein körperliches Begehren […]“ scheint es bei den magischen Worten „Ich liebe dich“ doch keine Einigung zu geben, welche Form der Liebe genau gemeint ist, welche konkreten Ausdrucksformen dadurch zu erwarten sind und welche Hoffnungen und Erwartungen dahinter stecken.
In Bezug auf meine eigene Wahrnehmung von Liebe habe ich drei Gefühlszustände gefunden, die mir mehr oder weniger häufig begegnen. Leider kann ich trotz dieser Schubladen selten exakt sagen, in welchem Gefühlszustand ich in Bezug auf eine Person stehe, denn die Übergänge zwischen diesen Gefühlszuständen nehme ich fließend wahr und manchmal treten sie zusammen auf – zu allem Überfluss ändern sie sich stetig. Aber immerhin hilft mir die Kategorisierung bei der Beschreibung meiner Gefühle.
Aufsteigend nach Stellenwert sortiert, beginne ich mit Kategorie 1: verknallt sein: Verknallt bin ich, wenn ich eine Frau kennengelernt habe, die mich – ohne dass ich das bewusst will – beeindruckt und dieses typische „Schmetterlinge im Bauch“-Gefühl erzeugt. Ich habe meinen Körper beobachtet und festgestellt, dass körperliche Attraktivität in dieser Phase der wichtigste Impulsfaktor ist, um die Hormone am Laufen zu halten. Schon allein, weil – wie wissenschaftlich erwiesen – diese Hormone nicht ewig ausgeschüttet werden können, ist das die flüchtigste Form der Anziehungskraft. Außerdem hat Sex für mich einen niedrigen „Marktwert“, da es mir am leichtesten fällt, an diese Liebesform zu gelangen.
Kategorie 2 „ver-liebt sein“: Verliebt bin ich, wenn es über die körperliche Anziehungskraft hinausgeht und ich mich auch auf freundschaftlicher Ebene anfange dafür zu interessieren, mit der Frau Gemeinsames zu erleben. Förderlich hierbei sind gleiche Interessen, denn bei mir passiert diese Phase auch eher unbewusst. Ich habe andere Menschen kennengelernt, die sich in dieser Phase nicht auf das unbewusste – ja fast selbstverständliche – Entwickeln verlassen und anfangen, sich extra für den Partner verändern oder zu verbiegen. Manche werden mit dieser Taktik auch glücklich; ich aber beobachte vielmehr, wie ich anfange mit dieser Frau, mehr Aktivitäten als nur die sexuellen zu unternehmen und wie sie sich nach und nach in meinen Freundeskreis und Alltag – sprich Leben – einschleicht.
Wenn sich die zuvor genannte Kennenlernphase nach einer Weile immer noch gut anfühlt, entwickelt sich etwas, das ich als Kategorie 3 „lieben“ nennen kann. Liebe ist für mich ein Zustand von Wertschätzung, den nur wenige Menschen erreichen. Während verliebt sein und verknallt sein Gefühle sind, die durch unbewusste Hormonsteuerung hervorgerufen werden, ist Lieben für mich eine Entscheidung. Deswegen kann ich diesen Zustand auch erreichen, wenn ich die anderen Phasen nicht durchgegangen bin; es ist ein Zustand, der mir sinnvoll erscheint.
Das klingt jetzt fast so, als wäre mir dieser Zustand dann vollkommen bewusst, wenn ich mich dazu entscheide, aber oft will ich mir der Gefühle sicher sein und stelle mir Fragen: Kann ich mir in 5 Jahren noch vorstellen, mit dieser Frau in Kontakt zu sein, und wie wird unser Leben dann aussehen? Und: Will ich für sie auch in schlechten Zeiten verfügbar sein? Selbst wenn ich mir diese Frage mit Ja beantworte und gerne für eine Person uneingeschränkt verfügbar sein würde, traue ich mich nicht, der Frau von meinen Gedanken und Gefühlen zu erzählen – nicht nur, weil uneingeschränkte Verfügbarkeit bei gesundem Menschenverstand nicht realisierbar ist, sondern auch wegen des eingangs erwähnten Konfliktpotenzials.
Allerdings merkt man an diesen Fragen, dass Liebe für mich auch eine Wertschätzung von sehr guten Freunden und Familie sein kann. Ideal wäre es, wenn meine Partner auch Freunde und Familie wären. Goethe nannte das Wahlverwandtschaft.