Bedürfnisse und Backups

Mann denkt nach

photo credit: namaste04 via Flickr cc

Es gibt Phasen in meinem Leben, in denen ich den Fokus für Gegenwartsthemen verliere und nur in die Zukunft denke. Dadurch verliere ich Menschen und Dinge, die für mich nicht ersetzbar sind. Ich versuche dann, krampfhaft an ihnen festzuhalten, obwohl sie bereits nicht mehr zu retten sind.

Um mir den Druck aus solchen Situationen zu nehmen, habe ich überlegt, dass mir das Wissen um ein Backup helfen könnte. Nun kann man nicht Menschen durch andere Menschen ersetzen, da jeder Mensch in seiner Art etwas Besonderes ist. Solange die Klon-Forschung noch nicht reif ist, kann man also für einen Menschen kein Backup im eigentlichen Sinn haben. Jedoch kann man sich bewusst machen, welche Bedürfnisse bestimmte Menschen bei einem befriedigen und wie man vielleicht eine Alternative für genau diese Befriedigung finden kann.

Entwicklung einer Bedürfnismatrix

Um mir bewusst zu machen, wie meine Bedürfnisse befriedigt werden, habe ich eine Tabelle, die ich Bedürfnismatrix nenne (bitte nicht mit der Bedürfnismatrix nach Max Neef verwechseln!), angelegt. In den Zeilen habe ich zunächst die Bedürfnisse gemäß Max Neef eingetragen. Nach der Theorie von Max Neef hat jeder Mensch die folgenden Bedürfnisse:

  • Lebenserhaltung
  • Schutz
  • Verständnis
  • Zuneigung
  • Teilhabe
  • Muße
  • Kreatives Schaffen
  • Freiheit
  • Identität

Horizontal in meine persönliche Bedürfnismatrix habe ich wichtige Menschen und Aktivitäten eingetragen. Mit Kreuzen markierte ich dann Zellen, um zu erkennen, welches Bedürfnis durch welche Menschen oder Aktivitäten befriedigt werden kann. Wenn ich mir nicht sicher war, setzte ich ein Fragezeichen in die Zelle. Für jedes Bedürfnis markierte ich dann noch ein Kreuz in einer anderen Farbe, um bei einem Menschen oder einer Aktivität einen Schwerpunkt zu setzen. Nun konnte ich analysieren, für welche Befriedigung mir die Backups fehlen, welche Bedürfnisse nur durch Menschen – d.h. nicht alternativ durch eine Umstrukturierung des Alltags – befriedigt werden können und welche Menschen oder Aktivitäten besonders viele Bedürfnisse oder ein Bedürfnis besonders stark befriedigen können.

Identifikation weiterer Bedürfnisse

Die Bedürfnisse von Max Neef erschienen mir in meinem Falle teilweise zu abstrakt. Das liegt wahrscheinlich daran, dass er nach allgemein gültigen Bedürfnissen gesucht hat. Für mich ist z.B. Sex auch recht wichtig. Vielleicht ist Sex nur eine Ausdrucksform von den Bedürfnissen „Identität“, „Zuneigung“, „Verständnis“, „Kreatives Schaffen“ und „Muße“, aber für mich hat Sex einen besonderen Stellenwert, der nicht durch „einfache“ Freunde gedeckt werden kann. Um dieses Bedürfnis besser von den anderen abgrenzen zu können, habe ich für mich noch die Zeilen „Sex“ und „Geborgenheit“ hinein genommen.

Bei „Geborgenheit“ fiel es mir etwas schwer, das Bedürfnis dahinter mit einem besseren Wort zu beschreiben. Aber es gibt für mich ein Bedürfnis nach intimer Zuneigung, die weder sexuell noch freundschaftlich ist. Auf einem OK-Cupid-Profil las ich dazu einen inspirierenden Absatz (frei übersetzt): Schreib mich an, wenn du der Mensch sein willst, zu dem ich gehen kann, wenn ich mich nach acht Stunden Computerspielen mit blutunterlaufenen Augen und verkrampften Händen frierend nach der Interaktion mit Menschen (bevorzugt intimer Natur) sehne.

Ich weiß nicht, ob man „Gesundheit“ als Bedürfnis beschreiben kann, aber da mir das wichtig im Leben ist und es sich ebenfalls im Zusammenhang mit Aktivitäten und Menschen beschreiben lässt, habe ich „Gesundheit“ als Zeile ergänzt. Dadurch war meine Bedürfnismatrix auch gleich nicht mehr so stark auf Menschen fixiert und die Aktivitäten (wie z.B. schwimmen und malen) bekamen einen besseren Schwerpunkt. Welche Zeilen würdet ihr in eure Bedürfnismatrix schreiben? Lasst es mich in den Kommentaren wissen.

Auswertung der Bedürfnismatrix

Bei mir ergab die Auswertung, dass ich zur Zeit eigentlich nur meine WG und die Arbeit als „Schutz“ empfinde. Für mich ein klares Signal, den Job nicht leichtfertig zu wechseln und etwas komplett Neues anzufangen (mit diesem Gedanken hatte ich durchaus gespielt). Im Bereich „Geborgenheit“ habe ich aktuell keine Möglichkeiten (mehr), das Bedürfnis zu befriedigen und bin offen für neue Begegnungen – aber ich muss aufpassen, dass ich mich durch diese Not nicht verrückt machen lasse. „Kreatives Schaffen“, „Muße“ und „Gesundheit“ kann ich größtenteils aus mir selbst schöpfen und brauche selten andere Menschen dafür.

Wie eingangs erwähnt, kann einen ein Verlust weniger hart treffen, wenn man sich früh genug um Backups kümmert. Nun neige ich leider dazu, viele Themen zu sehr zu analysieren. Es macht also wenig Sinn, sich jede Woche hinzusetzen und sich seine Bedürfnisse bewusst zu machen, da man den Dingen seine Zeit geben muss, sich zu entwickeln. Allerdings hilft es mir ab und zu sehr – z.B. wie jetzt am Anfang des Frühlings, wenn die eigenen Kräfte neu erwachen –, mir meine Bedürfnisse bewusst zu machen. Denn dadurch erschließen sich mir meine Sehnsüchte und Wünsche und ich versuche nicht, meine Bedürfnisse durch Konsumwahn – bei mir sind das Sammelkarten und Computerspiele – zu befriedigen. Außerdem macht es mir auch bewusst, welche Menschen für mich einen besonderen Stellenwert haben, wenn es Bedürfnisse gibt, die nur von einzelnen Menschen befriedigt werden können und bzw. oder diese wichtigen Menschen mehrere Bedürfnisse auf einmal befriedigen.