Polyamory and me
Während meiner Studienzeit war ich irgendwann auf einer dieser typischen Studentenpartys, einer von denen, auf denen man genug Menschen kennt, um sich wohl zu fühlen, auf denen man unter dem Einfluss von Wein oder Bier intensive intellektuelle Gespräch führt, an die man sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern kann (und die nüchtern betrachtet wohl um einiges weniger tiefgehend gewirkt hätten), auf denen man zu später Stunde anfängt, sich wohlig aneinander zu kuscheln und auf denen genügend neue interessante Gesichter unterwegs sind, um diese Feiern immer wieder um neue spannende Themen und Menschen zu bereichern. An diesem Abend hatte ich ein bekanntes Gesicht vom Mittelaltermarkt wiedergetroffen, der damals in meiner Stadt weilte (meine Vorliebe für Männer mit langen Haaren und mittelalterlicher Gewandung war zu dieser Zeit ganz besonders stark ausgeprägt). Der Ablauf dieses Abends ist in meiner Erinnerung leider nicht mehr fest genug verankert, um ihn nicht mit Ersatzerinnerungen zu vermischen. Aber am Ende des Abends standen wir beide vor dem alten Haus, in dem die Party stattfand, und er bat mich darum, ob er nicht mit zu mir kommen könnte, um zu duschen (Leser, die in der Winterzeit schon auf Mittelaltermärkten gearbeitet haben, könnten mir hier endlich mal die Frage beantworten, ob es tatsächlich so schwierig ist, an heiße Duschen zu kommen).
Nachdem dieser fantastische Mann mit feuchten Haaren wieder aus meiner Dusche kam, war es Zeit für den zweiten Teil des Abends. Nach einigen Komplimenten kam das Gespräch auf die Art, wie er Beziehungen führt. Er sei „polyamorös“ und habe als fahrender Händler verschiedene Beziehungen in den einzelnen Städten. Für meine Märchen-, Jane-Austen- und Disney- gewohnten Ohren klang das zu diesem Zeitpunkt nach Charakterschwäche, nach der Unfähigkeit sich festzulegen und Bindungsängsten. Das war auch der Moment, in dem ich mich zurückgezogen habe (ich würde definitiv nicht eine von vielen werden), und ich habe mich danach bei vielen Freunden über dieses Konzept und das pseudoprätentiöse Wort lustig gemacht, das in meinen Augen nur ein netteres Wort für Fremdgehen war.
Vielleicht hat er mir die Idee schlecht verkauft, vielleicht lag ich mit meinen Annahmen in Bezug auf diesen Mann (nicht in Bezug auf das Konzept an sich) richtig, vielleicht war meine kulturelle Idee von romantischen Beziehungen zu diesem Zeitpunkt noch zu fest verankert. Jedenfalls habe ich nach diesem Treffen erst einige Male bei Freunden über dieses absurde Erlebnis gelacht und dann für lange Zeit nicht mehr an dieses Thema gedacht.
Als ich mich das nächste Mal ernsthaft mit dieser Idee gedanklich auseinandergesetzt habe, waren vielleicht 6 Jahre vergangen (ziemlich genau vor einem Jahr). Zu diesem Zeitpunkt bin ich zufälligerweise auf die deutschsprachige Neuerscheinung eines Buches von Clarisse Thorn „Confessions of a pickup artist chaser“ gestoßen (eine Besprechung zu dem meines Erachtens sehr interessanten Titel wird in Kürze folgen, der deutsche Titel: „Fiese Kerle?: Unterwegs mit Aufreißern. Ein hautnahes Experiment.“ ist meiner Meinung nach keine sehr gelungene Übersetzung). Darin spricht sie auch kurz Polyamorie an und zu diesem Zeitpunkt hat die Idee auf einmal hervorragend in mein Weltbild gepasst. Die Disneyprinzessinnen-Ideen hatte ich schon seit ein paar Jahren zurückgelassen, ich lernte mehr über mich und meine Bedürfnisse und durfte feststellen, dass romantische Beziehungen die fantastischsten Formen annehmen können. Ich habe Menschen getroffen, deren in sich ruhendes Vertrauen in die gegenseitige Bindung Platz lässt für Freiraum und andere intime Bindungen des Partners, ich habe Menschen getroffen, die ihren Partner innig geliebt haben und die feststellen mussten, dass Distanz und die Schwierigkeiten des Alltags trotzdem mächtiger sein können, ich habe Menschen getroffen, deren Prinz sich erst nach der Hochzeit in das Biest verwandelt hat, ich habe Menschen getroffen, die einige wichtige Menschen in ihrem Leben haben und die auch lieben, wenn sie ihren Partner nur zweimal im Jahr sehen und ich habe meinen Partner getroffen, für den ich auch nicht die Einzige bin (ich bin eine von mehreren, wenn auch nicht vielen) und ich habe gelernt, dass das alles Liebe ist. Dass es kein Happy End und keine Garantien gibt und dass das in Ordnung ist.