Wo bleibt die männliche Emanzipation?

Bild von Figuren mit roter Karte

photo credit: Harald52 via photopin cc

Gestern Abend war ich mit einem Freund unterwegs. Zwischendurch drängte sich ein Unbekannter in unsere vertraute freundschaftliche Zweisamkeit – er hatte den selben Weg wie wir. Dass wir beide nicht viel gemeinsam mit ihm hatten, wurde während unserer Gespräche deutlich, und ein Thema ist bei mir besonders hängengeblieben.

Irgendwie kam mein Freund auf das Thema, dass auf einem Chaos Computer Club Congress rote und gelbe Karten verteilt wurden. Sie sollten den Menschen die Möglichkeit geben, einem Gesprächspartner zu signalisieren, dass das, was er gerade sagt (oder wie er sich ausdrückt), sich  schlecht anfühlt – unwillkürlich musste ich an den Artikel My life as a porcupine von peregrin denken. Leider wurde niemandem richtig erklärt, wie die Karten benutzt werden sollten. Ich selbst war nicht auf der Veranstaltung und kann leider nicht genau sagen, inwiefern die Karten tatsächlich missbraucht wurden, unser Wegbegleiter war jedenfalls der Auffassung, dass Frauen schon bei den kleinsten Annäherungsversuchen die rote Karte gezeigt hätten. Nach seiner Auffassung hätte das dazu geführt, dass die armen armen männlichen Nerds sich eingeschüchtert und vor den Kopf gestoßen fühlten.

Ich kenne das Gefühl des sich vor den Kopf gestoßen fühlens, weil man sich ungünstig artikuliert hat und dann dafür unverhältnismäßig kritisiert fühlt: An einem Abend bei mir zu Hause hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit einer befreundeten Psychologin über übergriffliches Verhalten von Männern und sie vertraute mir eine persönliche Geschichte an. Als ich mehr Details über die Geschichte erfahren wollte, habe ich mich ungünstig ausgedrückt und ihr in dieser sensiblen Situation das Gefühl gegeben, Schuld an der Übergrifflichkeit gewesen zu sein. Es ist vollkommen richtig, dass ich für dieses unsensible Verhalten kritisiert werde. Unangebracht empfand ich jedoch den Zeitpunkt und den Ort für diese Kritik. Zwei Monate nach diesem Abend traf ich sie auf einer Party wieder und wurde dort von ihr – wie gesagt zu Recht – kritisiert und im Laufe des Abends keiner weiteren Aufmerksamkeit gewürdigt. Das hat mir dann die ganze Party versaut, weil ich die ganze Zeit ein unangenehmes Gefühl empfand. Eigentlich hätte man das direkt am Abend klären müssen, am besten mit so einer besagten roten Karte.

Andere Menschen fühlen sich aber schon für JEDE Kritik, die sie bekommen, unverhältnismäßig zurechtgewiesen, obwohl sie selber sehr viel Kritik austeilen. Ich finde, dass es auffällig mehr Männer sind, die sich so ein Verhalten erlauben. Und ich vermute, dass in unserer westlichen Gesellschaft viele Männer – wie auch unser Weggefährte – das nur deswegen denken, da sie als Männer das Privileg empfinden unkritisierbar zu sein. Hallo! Aufwachen meine Herren, es wird Zeit, dass wir mal mehr Stärke zeigen, oder?

Vielleicht bin ich ja auch in den falschen Kreisen unterwegs, aber ich habe das Gefühl, dass viele Frauen wesentlich mehr Kritik einstecken und irgendwie damit klar kommen müssen. Das hat den Vorteil, dass man sich durch dieses Aufnehmen von Kritik aus seiner Rolle heraus entwickeln und (sofern man sich nicht von der Kritik einschüchtern lässt) seinen eigenen Weg finden kann. Wann sind wir  Männer auch mal so stark und nehmen die Kritik auf und entwickeln uns weiter?

Im oben genannten Beispiel vom Chaos Computer Club Congress scheint das zumindest nicht der Fall zu sein. Denn dort schien man nicht fähig zu sein, Kritik annehmen zu können. Da ich wie gesagt nicht dabei war, kann ich auch nicht sagen, wie heftig tatsächlich die Kritik durch die Karten ausgedrückt wurde. Wenn man sich die Kommentare der Männer zu dieser Aktion durchliest, hört man größtenteils, dass sie sich zu Unrecht zurechtgewiesen fühlen.

Eigentlich hätte ich erwartet, dass die ganze Sache dazu führt, dass solche Karten zu mehr Respekt und Achtsamkeit führen. Nach der Aussage meines Freundes treten stattdessen seitdem vermehrt Frauen aus der Szene aus, da sie keine Lust auf so einen Kindergarten haben. Wir sprechen hier von erwachsenen Menschen, die es anscheinend nicht schaffen, sich aus ihrer Männerrolle zu emanzipieren und ihr Verhalten zu reflektieren. Ich würde das ja verstehen, wenn sie irgendwelche Vorteile aus diesem Verhalten  ziehen würden. Vielleicht haben viele Männer auch einfach nur Angst vor der Ungewissheit, was passiert, wenn sie ihren Charakter weiterentwickeln. Aus meiner Sicht verspielen sie sich damit aber viele Chancen auf ein harmonisches Miteinander und einen reinen Charakter.