Trauer und Lust

Auf dem Sex&Philosophy Workshop habe ich Peter Banki kennengelernt. Er ist Leiter des Festival of Death and Dying und Gründer der School of Really Good Sex. Durch die Gespräche mit ihm und mit Bestattern, die an dem Sex&Philosophy Workshop teilgenommen haben, habe ich angefangen, darüber nachzudenken, wie Trauer und Lust gleichzeitig gelebt werden können oder sogar zusammen gehören können.

Ich finde es ganz normal, dass man mehrere Gefühle (wie z.B. Trauer und Lust) gleichzeitig empfinden kann. Dennoch ist es nach wie vor ein gesellschaftliches Tabu, Lust zu empfinden, wenn man einen wichtigen Menschen in seinem Leben verloren hat. Ich vermute, das kann auch viel mit Scham zu tun haben: Von mir wird erwartet, dass ich „richtig“ trauern soll. Wenn ich positive Gefühle zeige, dann könnte das nach außen so wirken, als ob ich den Verlust schon überwunden hätte – ganz schön unangemessen, oder?

Ist Lust auf jemand Neues ein Verrat an der alten Liebe?

Vielleicht ist es aber auch eher ein Schuldgefühl, dass einen in der Trauer gefangen hält. Ich kenne das aus den Phasen, in denen ich von mir sehr nahestehenden Menschen getrennt wurde und mir selbst verboten habe, mich auf neue Personen einzulassen. Es erschien mir als Verrat an der Liebe des verlorenen Menschen, mich jetzt schon so kurz nach der Trennung für neue Menschen lustvoll zu interessieren. Nüchtern betrachtet kommt mir im Nachhinein der Gedanke, die Liebe zu einem anderen Menschen würde an Bedeutung verlieren, wenn ich mich zu anderen hingezogen fühle, absurd vor. Zumal ich außerhalb von Trauerphasen die Beziehung zu verschiedenen Menschen sowieso nicht vergleichbar finde. Aber irgendwas macht die Trauer da mit mir, so als ob ich den Verlust zelebrieren möchte. Von jemand anderem habe ich in einer Trauerphase gehört, dass niemand gut genug ist, und die Person ständig die Menschen, die sie trifft, mit der verlorenen Person vergleicht. Ich denke, es liegt auf der Hand, dass sich dann natürlich auch keine Lust entwickeln kann.

Sicherlich trifft es auch auf einige Menschen zu, dass die Trauer sich in den Vordergrund stellt und andere (insbesondere positive) Gefühle zunichte gemacht werden. Apathie und Wut sind dann die einzigen Gefühle, die noch erlebbar werden können. Wie das Hamburger Lotsenhaus jedoch erkannt hat, ist das aber nicht bei allen Menschen so, und bietet deswegen Fortbildungen mit dem Thema Sexualität in der Trauer an. Sie ermutigen die Menschen, ihre Gefühle ernst zu nehmen, und wenn dann dadurch ein Bedürfnis aufkommt, sich intime Beziehungsmenschen zu suchen. Dann können durch das Aussprechen die oben genannten Scham- und Schuldgefühle durchbrochen werden – so sinngemäß Peggy Steinhauser im Interview mit der Zeit.

Lust bei der Trauerbegleitung

Lust kann bei mir aber auch entstehen, wenn ich trauernde Menschen auffange. Erstens ist die Situation, wenn jemand weinend sein Herz in meinen Armen ausschüttet, für mich eine der intimsten Erfahrungen mit einem Menschen, die ich mir vorstellen kann. Da bekomme ich gleich warme Gefühle, den anderen beschützen zu wollen. Zweitens kann man sich, wenn man selbst schon mal an so einem Tiefpunkt in seinem Leben gewesen ist, mit dem anderen sehr verbunden fühlen. Ich erkenne mich dann in dem anderen wieder und kann vollkommen mitfühlen (ohne mitzuleiden, denn das hilft dann keinem!). Und drittens fühle ich mich in der Rolle des auffangenden Menschen sehr sicher. Ich habe dann das Gefühl, auf Grund meiner eigenen Erfahrungen genau zu wissen, was ich machen muss, damit es dem anderen Menschen gut geht und was er braucht (ohne sein Problem dabei zu lösen!). Intimität, Verbundenheit und Sicherheit sind für mich die drei wichtigsten Faktoren, um Lust empfinden zu können.

Vielleicht denken jetzt viele Lesenden, dass ich dadurch dann auch erregt sein müsste. Und durchaus ist mir das auch schon passiert, durch die Trauerbegleitung erregt zu werden. Dann war mir meine Erregung peinlich und ich habe versucht, sie vor der anderen Person zu verstecken. Denn ich fand es unangemessen, dass ich in solchen Situationen Lust empfinde. Seit ich darüber rede, haben mir aber viele Partnerinnen erzählt, dass das für sie keineswegs ein Problem darstellt – zumal die Lust in solchen Momenten keinen fordernden Charakter besitzt. Ein Mensch hat mir sogar von positiven Wirkungen berichtet: Zum einen bietet es auch für den trauernden Menschen eine unglaubliche Sicherheit, sich in dem sich gegenseitig verstärkenden Gefühl von Intimität, Verbundenheit und Sicherheit geborgen zu fühlen und dann die Trauer sogar als etwas Lustvolles erleben zu dürfen. Und zum anderen besteht durch den lustvollen Fokus nicht die Gefahr, dass ich die Gefühle des trauernden Menschen zu meinen Problemen mache und mit Ratschlägen oder übergriffigen Hilfestellungen versuche, seine Probleme zu lösen.

In der Lust kann man einfach nur sein. Denn alles, was versucht, zu kontrollieren oder Probleme zu bearbeiten, ist in meiner Erfahrung der Tod von Lust. Und vielleicht ist es der passende Weg für manche trauernde Menschen, durch das Sein in der Lust seine Trauer akzeptieren oder mit der Zeit sogar loslassen zu können.