Interview: Verheiratet mit einer Tantramasseurin

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photo credit: Beth via Flickr cc

H. und ich kennen uns seit Sommer 2013 und sind seit Februar 2015 verheiratet. H. ist selbst weder Teil der „Tantra-Szene“ noch der „Selbsterfahrungs-Szene“ und würde sich selbst nicht als spirituell bezeichnen. Er pflegt jedoch Freundschaften und Kontakte in Netzwerken und Subkulturen rund um nicht-monogame Lebensweisen, BDSM und Tantramassage. Er hat Physik studiert und bringt gerade sein zweites Studium in Energiemanagement und Energietechnik zu Ende. Danach möchte er promovieren.

E: Wie ist das für dich, mit einer Tantramasseurin verheiratet zu sein? Hattest du jemals ein Problem mit meiner Arbeit, warst du eifersüchtig?

H: Als wir uns kennenlernten, wolltest du Sexualbegleiterin werden, was im Unterschied zur Tantramassage Geschlechtsverkehr miteinbeziehen kann. Ich war also sogar auf „mehr“ vorbereitet. Du hast dich dann für die Tantramassage entschieden und darin deine Berufung entdeckt, das wirkte weniger „extrem“ als die Sexualbegleitung. Sicher kam es vor, dass ich mal ein bisschen eifersüchtig war, aber Eifersucht gibt es eben in Beziehungen und auch in unserer Beziehung. Mit oder ohne Tantramassage. Es sind auf jeden Fall eher andere Dinge als dein Beruf, die bei mir Eifersucht hervorrufen. Ich habe mich bewusst entschieden, so zu leben und damit umzugehen.

E: Es hat dich also nicht gestört, dass ich mit so vielen fremden Menschen intime Begegnungen habe und ihre Genitalien anfasse?

H: Ich weiß nicht, wie intim die Begegnungen tatsächlich sind, aber du gehst damit auf jeden Fall sehr professionell um. Sicherlich passiert da was in den Massagen, aber du wahrst eine gesunde Distanz dazu. Du kommst zwar oft nach Hause und sagst „ich hatte eine tolle Massage“, aber es scheint dir nicht ewig nachzuhängen. Du bringst das, was du mit jemandem erlebt hast, nicht wirklich mit nach Hause. Ich glaube die Tatsache, dass du bei der Massage eine sehr aktive und keine passive Rolle einnimmst, macht es leichter, damit umzugehen. Es wäre etwas anderes, wenn du z.B. als Sexarbeiterin mit Klienten Sex hättest.

E: Glaubst du, dass die ursprüngliche Idee, tatsächlich als „Sexarbeiterin“* zu arbeiten, damals deine Wahrnehmung oder dein Bild von mir beeinflusst hat? Hast du Vorurteile bei dir wahrgenommen?

H: Für mich hat es das eher noch interessanter gemacht. Ich hatte mich zu dem Zeitpunkt schon längere Zeit mit der Idee der Polyamorie beschäftigt, mit Eifersucht und wie ich damit umgehe und welche Art Beziehung ich erforschen will. Die Idee, dass meine Partner Sex mit anderen Partnern haben, wurde also immer realistischer für mich und eine Sexarbeiterin als Lebenspartnerin zu haben, war insofern nicht so abwegig, wie es wahrscheinlich gewesen wäre, hätte ich nach einer monogamen Beziehung gesucht. Ich hatte auch im Internet einen Beitrag von einer Prostituierten gelesen und dadurch ein besseres Gefühl dafür bekommen, wie dieser Beruf tatsächlich ist und was sie motiviert, ihn auszuüben. Das alles bildete die Basis für die Entscheidung, dass es wahrscheinlich nichts Schlimmes ist, mit einer Sexarbeiterin zusammen zu sein.

Abgesehen davon bin ich der Meinung, dass Prostitution gar nicht so anders ist als das, was mit Menschen in den meisten „normalen Berufen“ passiert. Sie geben in anderen Zusammenhängen, aber durchaus unter einem gewissen Zwang teilweise ihr ganzes Wesen auf für Geld. Wenn sie körperliche Arbeit machen, verdingen sie ihren Körper; wenn sie stressige Jobs haben, verkaufen sie ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden, um sich und ihre Familien durchzubringen. Oder um reich zu werden. Für mich ist das nicht so anders als die schlimmste Art von Prostitution, bei der die Frau wirklich nur für Geld Sex hat und sich dabei überhaupt nicht wohlfühlt.

E: Findest du, dass mein Beruf unsere Beziehung beeinflusst oder beeinflusst hat?

H: Puh, schwer zu sagen. Ich weiß ja nicht, wie es wäre, mit dir zusammen zu sein, wenn du keine Tantramasseurin wärst. Es beeinflusst die Beziehung auf recht langweilige Weise, nämlich hinsichtlich des Zeitmanagements. Du hast ja keine normalen und regelmäßigen Arbeitszeiten. Die Tatsache, dass du diese Arbeit machst, weil du davon überzeugt bist, damit die Welt zu einem besseren Ort zu machen, spielt außerdem eine Rolle, denn das ist auch mir wichtig.

E: Hast du das Gefühl, dass meine Arbeit und meine Ausbildung Einfluss auf unsere Sexualität hat?

H: Mein erster Gedanke dazu war „nein“. Jetzt wo ich länger drüber nachdenke, wird mir klar, dass das durchaus so ist. Wir hatten eine Phase, wo wir uns weniger auf den Orgasmus fokussieren wollten, die „Energie umleiten“ oder so. Nach und nach war ich immer weniger fokussiert auf meinen Orgasmus. Ich genieße Orgasmen und würde sie wahrscheinlich vermissen, wenn ich sie nicht hätte. Aber ich kann den Weg dahin viel mehr genießen und bin viel entspannter, während ich Sex habe. Ich habe viel mehr Kontrolle darüber, ob ich einen Orgasmus habe oder nicht. Ich glaube, dass die meisten Männer das nicht haben. Und meine Orgasmen haben sich insofern verändert, dass ich danach nicht mehr völlig erschöpft bin, sondern es geht mir einfach gut. Die Erschöpfung kommt nur von der physischen Anstrengung, nicht von dem, was auch immer da noch im Körper passiert. Zuerst hatte ich weniger intensive Orgasmen und dann hat sich das Ganze verändert zu einem ganz neuen Empfinden des Orgasmus. Manchmal sind sie sehr intensiv, aber da ich nicht auf den Orgasmus ausgerichtet bin, spielt es keine so große Rolle mehr, ob der Orgasmus fantastisch ist oder ich fast nichts davon fühle.

E: Warum ist es großartig, mit einer Tantramasseurin zusammen zu sein? Gibt es Aspekte, die dein Leben schwieriger machen?

H: Schwer zu sagen, ich weiß ja nicht, ob die anderen Masseurinnen so sind wie du. Vielleicht ist es gar nicht so viel anders als mit jeder anderen sexuell offenen Frau. Es hilft sicherlich, wenn man ein kleines bisschen verrückt ist und eine Herausforderung sucht. *lacht*

Ich sehe absolut keine Nachteile, im Gegenteil. Es mag wieder langweilig klingen, aber deine freie Zeiteinteilung ist äußerst wertvoll für mich. Fast noch wertvoller: du bist nicht ständig gestresst. In vielen Bürojobs musst du dich mit einem nervigen Boss herumschlagen oder anderen lästigen Dingen. Du kommst eigentlich nie zu mir nach Hause und sagst: „Oh mein Gott, ich hatte so einen schrecklichen Tag auf der Arbeit! Ich muss dir unbedingt davon erzählen.“ Ich höre dich nie über die Arbeit beschweren. Und du hast am Ende des Tages immer noch einiges an geistigen Kapazitäten übrig, du kommst nicht nach Hause und musst dich für ein paar Stunden vor dem Fernseher von all dem Mist ablenken, der dir widerfahren ist.

E: Du wusstest rein gar nichts über die Tantramassage, als wir uns kennengelernt haben. Kannst du dich erinnern, was du dir gedacht hast, als ich dir zum ersten Mal davon erzählte?

H: Ich glaube, ich hatte zuvor auf Polyamorie-Stammtischen hier und da etwas über Tantra gehört. Für mich war das ein totales Nischen-Ding; als du mir erzähltest, dass du damit dein Geld verdienen willst, war ich ziemlich skeptisch. Mir hat gefallen, dass du darüber gesprochen hast, Menschen zu helfen und sie in ihrem Bedürfnis nach Sexualität zu unterstützen. Ich mochte diesen philosophischen Ansatz, dem Ansatz, Menschen zu helfen und nicht einfach nur seinen Körper für Geld zu verkaufen.

E: Warum ist die Tantramassage wertvoll für unsere Gesellschaft?

H: Ich glaube, dass es eine gewisse Lücke gibt zwischen dem, was die „tantrische Community“ über die Massage denkt und was die Kunden darüber denken. Ich glaube, es ist wertvoll, eine weit interessantere Alternative zur Prostitution zu haben. Und eine Alternative zu haben, die nicht nur angenehm ist, sondern auch eine viel positivere Einstellung zur Sexualität transportiert. Ja, ich glaube auf jeden Fall, dass die Massage ein wertvoller Aspekt unserer Gesellschaft ist. Ich weiß nicht, ob das die einzige Art ist, diese Art Dienstleistung zu erbringen. Vielleicht wird sich das ganze Sexdienstleistungsgewerbe in Richtungen entwickeln, die demselben Geist wie die Tantramassage folgen. Ich glaube, es wäre ganz toll, wenn Menschen wie Menschen behandelt würden. Vielleicht ist die Massage auch eine Sache, die mehr in Richtung Therapie gehen sollte. Und Therapien beginnen, Sexualität und Berührung mehr mit einzubeziehen. Es wäre sehr wertvoll, wenn wir an einen Punkt kämen, wo das normal ist. Ich sehe in meinem Leben oft, wie traurig es ist, dass Berührung und Sexualität so sehr verborgen und geschützt hinter Schloss und Riegel sind, irgendwie über alles gestellt und als Machtinstrument missbraucht werden. Es scheint mir, dass mit dieser Einstellung alle nur verlieren.

E: Wie denkst du über den spirituellen Hintergrund der Massage?

H: Ich habe nicht wirklich einen Zugang dazu. Ich weiß, dass diese energetischen Dinge passieren und ich glaube, das hat was mit mir gemacht … aber ich bin nicht so überzeugt davon wie andere in der Szene. Ich will ganz ehrlich sein: ja, irgendwas passiert mit mir, aber ich fühle nicht explizit die Energie durch meinen Körper fließen. Wenn jemand zu mir sagt, sie fühlt eine weiße Kugel in ihrem Herzchakra, fühl ich da keine Resonanz 😉

* Ob die Tantramassage als „Sexarbeit“ einzuordnen ist, ist noch unklar. Jede Masseur*in verortet und definiert ihre Arbeit ein bisschen anders. An dieser Stelle verwenden wir das Wort für Berufe, wo es zu interaktivem Sex kommt.

Mehr Infos über Tantramassage und die Philosophie dahinter:

http://www.tantramassage-verband.de/tantramassage/

http://www.tantramassage.de/de/koeln/philosophie.html

https://ananda.koeln/2016/04/19/ein-spiegel-interview-ueber-tantra-massagen/

Herzlichen Dank an Eva für diesen Gastartikel und an H. für die offenen und ehrlichen Antworten – dieses Interview beantwortet sicher viele Fragen, die sich jeder schon mal gestellt hat ;-).

Eva arbeitet seit 2013 hauptberuflich als Tantramasseurin. Man kann ihre Massage hier erleben.