Geben und Nehmen

photo credit: Laura Brunow Miner via Flickr cc

Neulich unterhielt ich mich mit einer Freundin über das Buch Die Gabe von Marcel Mauss. Darin untersucht der Autor „primitive“ Kulturen, wie z.B. die Indianer, Polynesier oder Kulturen vor der Einführung von Geld, und stellt fest, dass neben dem Tauschgeschäft die Gabe – also das Schenken von Waren und Dienstleistungen – von wirtschaftlicher Bedeutung war. Diese archaischen Stämme beschenkten ihre Nachbarn sogar über ihre eigenen Ressourcen hinaus. Der beschenkte Stamm durfte diese Geschenke nicht ablehnen und fühlte sich verpflichtet, diese Geschenke mit Gegengeschenken zu übertrumpfen. Den Höhepunkt dieses Wirtschaftprinzips fand sich im Potlatch – ein verschwenderisches Fest. Die Freundin meinte dazu, dass es doof sei, wenn man sich nicht aussuchen könne, wie man beschenkt wird, und darüber hinaus gezwungen sei, dies zu erwidern.

In Beziehungen verhält es sich manchmal sehr ähnlich. Was wir unserem Partner gerne und aus Freude geben, geben wir aus freien Stücken – weil wir es wollen. Gary Chapman hat diese Art der Liebe untersucht und dabei fünf verschiedene „Sprachen“ herausgefunden, wie Menschen ihre Liebe ausdrücken:

  • Words of Affirmation: Unterstützung/Förderung/Ermutigungen/Bewunderung äußern
  • Quality Time: Die ungeteilte Aufmerksamkeit schenken
  • Receiving Gifts: Sich Gedanken über etwas „Besonderes“ machen und dieses vorbereiten/kaufen – insbesondere Materielles ist gemeint
  • Acts of Service: Etwas (wie z.B. Kochen oder Wäsche waschen) für den anderen tun, ohne etwas zurück zu erwarten
  • Physical Touch: Dem anderen seine körperliche Nähe durch achtsame Berührungen schenken

Mit diesen Ausdrucksformen von Liebe zeigen wir den Menschen, die uns wichtig sind, unsere Wertschätzung. Genauso, wie sich im eingangs erwähnten Potlatch die Beschenkten nicht aussuchen konnten, wie sie beschenkt werden, kann es passieren, dass man von einem Partner nicht die Ausdrucksform, die man selbst als besonders wertschätzend empfindet, bekommt. In diesem Fall ist der naheliegendste Weg, den Partner zu fragen, ob er nicht trotzdem die gewünschte Art von Wertschätzung leisten kann. Wenn uns ein Mensch wichtig ist, dann wollen wir sowieso meist gerne seine Wünsche und Bedürfnisse erfüllen. Wird dafür aber eine Ausdrucksform benötigt, in der wir nicht besonders gut sind oder für die wir keine Ressourcen übrig haben, macht es keine Freude und kann sich schnell erzwungen anfühlen.

Als gebende Person hilft es dann, zu zeigen, dass man diese Form von Wertschätzung gerade nicht (und sehr wahrscheinlich nie) leisten kann. Es kann aber auch sehr schön sein, wenn man nur dem anderen Menschen zuliebe etwas Neues ausprobiert und dadurch eine neue Erfahrung macht oder eine neue Kompetenz erlernt. Der Psychologe Wichmann rät (im Zusammenhang mit BDSM) hierzu, sich folgende Fragen zu stellen: „Mache ich das jetzt, weil ich es selbst möchte – oder um meinem Partner einen Gefallen zu tun? Wo setze ich meine persönlichen Grenzen?“.

Schwieriger als die Position des Gebenden ist aber die Position des Nehmenden. Ähnlich wie in den archaischen Kulturen, in denen sich die Beschenkten automatisch gezwungen fühlten etwas zurückzugeben, verhält es sich auch in vielen Beziehungen mit der Wertschätzung. Ich habe schon oft gehört, dass viele gebende Personen behaupten, sie würden dies bedingungslos tun und nichts zurück verlangen. Wenn die Schenkungen aber auf Dauer zu einseitig sind, fühlt sich fast jeder irgendwann ausgenutzt. Und die meisten beschenkten Menschen wissen, dass sie sich irgendwann revanchieren sollten. Das kann die beschenkten Menschen unter Druck setzen, unabhängig von den Gründen: Manchmal sind einfach nicht die Ressourcen übrig, um sich zu revanchieren, oder man wollte von Anfang an nicht, dass sich die Beziehung durch so viele Gaben intensiviert bzw. mehr Ressourcen verlangt.

Die schönste Form der Liebe ist, wenn man sich über solche Druck- und Zwanggefühle keine Gedanken machen muss, weil beide Menschen von Anfang an die richtige Ausdrucksform im richtigen Maß wählen. Grenzen aufzuzeigen und dadurch Konsens herzustellen, ist also erst notwendig, wenn Druck- und Zwanggefühle aufkommen. Allerdings sollte schon beim kleinsten Anzeichen von Druck und Zwang darüber geredet werden. Egal, wie gut man sich kennt, kann der Partner doch immer wieder etwas Neues über einen herausfinden und dadurch lernen, diese Grenzen zu erkennen und zu respektieren.