Meine Beine sind privat!

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photo credit: bass_nroll via Flickr cc

Wo geht körperliche Intimität los? Wie unterschiedlich das verschiedenen Menschen empfinden, bemerke ich erst in letzter Zeit. Eine Freundin fühlt sich in ihrer Intimsphäre verletzt, sobald Menschen, mit denen sie nicht befreundet ist, sie ungefragt berühren. Während ich sogar noch bei Umarmungen relativ „schmerzfrei“ bin, habe ich dafür ein Problem, zu viel nackte Haut von mir zu zeigen. Diese Tendenz hat sich in den letzten Jahren sogar noch verstärkt.

Ich bin ein ziemlich verfrorener Mensch (wer mich kennt, wird an dieser Stelle schon grinsen und sich an eine der vielen Stories erinnern … jaja^^). Daher laufe ich auch im Sommer nicht zwangsläufig in Shorts oder Rock umher, sondern trage relativ lange noch leichte Hosen – es könnte ja sein, dass ich irgendwo hinkomme, wo es kühler ist. Außerdem bin ich im Gegensatz zu anderen Menschen nicht stundenlang aufgeheizt, sondern kühle wirklich recht schnell wieder runter. Entsprechend wenig kurze Kleidung besitze ich auch. Eines der wenigen Male im letzten Sommer, als ich dann tatsächlich im Rock zur Arbeit gegangen bin, habe ich festgestellt, dass ich mich überhaupt nicht wohlfühlte. Die wenigen Rock-Gelegenheiten waren so oft privater Natur, dass meine nackten Beine jetzt irgendwie Teil meiner Intimzone geworden sind. Das war nicht beabsichtigt, sondern einfach plötzlich da. Nackte Beine sind jetzt privat, intim – Freunde und Familie dürfen sie sehen, auf Partys mit einschlägigem Hintergrund sind sie ebenso okay, aber in der Arbeit, wo ich professionell und möglich unverletzlich mit Kollegen zusammenarbeite: nein!

Überhaupt hängt bei mir ziemlich viel von der Umgebung ab: Ich war im Sommer auf einer Hochzeit und da ich das mit den Badeklamotten verplant hatte, bin ich in Unterwäsche mit den anderen Gästen ins Wasser gesprungen. Auf dem Rückweg hinterher hatte ich natürlich keine Unterwäsche, die ich tragen konnte, weil sie pitschnass war. Der BH war mir egal, der Slip hat wirklich gefehlt. Man hat sicher nicht gesehen, dass ich keine Unterwäsche trug, aber ich fühlte mich sehr unwohl, als ich ohne Höschen in der S-Bahn fuhr. Das Interessante daran ist, dass das ja eine Klassiker-Fantasie im BDSM-Bereich ist. Und ich denke auch nach wie vor, dass ich unter den richtigen Umständen Gefallen daran finden könnte. Aber ohne jegliches Szenario empfand ich es einfach nur als wahnsinnig anstrengend.

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine meiner ersten BDSM-Partys. Ich trug ein rotes Oberteil, das am Rücken von feinen Schnüren zusammengehalten war. Ohne BH sah es noch viel besser aus als mit, aber ich traute mich einfach nicht, keinen BH anzuziehen. Meine damalige Stammtischleiterin hat das wohl ähnlich gesehen, denn sie fragte mich augenzwinkernd, ob es für mich leichter wäre, wenn sie mir den BH ausziehen und ich quasi von ihr gezwungen würde, ohne BH rumzulaufen. Das haben wir gemacht und ich fühlte mich den Rest des Abends auch pudelwohl. [Nur der Vollständigkeit halber: Heute ziehe ich meine Klamotten selbstständig und völlig freiwillig aus, wenn ich auf einschlägige Partys gehe.]

Ohne das passende Setting geht bei mir also nichts. Und was für mich intim ist und was nicht, ändert sich auch immer mal wieder. Allein dass ich mich ohne BH auf Partys rumtreibe, wäre früher undenkbar gewesen und ist heute völlig normal. Dafür sind meine nackten Beine aktuell gerade in die Intimsphäre gerutscht. Ich bin nicht sicher, ob Intimsphäre der richtige Begriff ist. Für mich meint intim hier etwa dasselbe wie privat – also nicht beschränkt auf traute Zweisamkeit, sondern ausgedehnt auf ein persönliches Umfeld, von dem ich weiß, das es mich relativ bedingungslos wertschätzt und im Gegensatz zu Arbeitskollegen nicht nach Äußerlichkeiten beurteilt. 

Meine Erfahrungsberichte beschränken sich bisher auf einen speziellen Bereich meiner körperlichen Intimsphäre. Das heißt aber nicht, dass ich ansonsten völlig offen bin und keine weiteren privaten Einschränkungen habe. Bei Körperlichkeiten ist es beispielsweise so, dass ich umso zugänglicher werde, je mehr ich einen Menschen kenne und je mehr ich ihm vertraue. Interessanterweise hilft es sehr, wenn viele gute Freunde die Person kennen und ihr vertrauen – ich habe unter diesen Voraussetzungen schon erlebt, dass ich innerhalb eines Tages völlig unverkrampft Berührungen mit einem bis dato Fremden ausgetauscht habe (und war selbst etwas überrascht).

Ich bin gespannt, wie sich meine Intimsphäre in den nächsten Jahren noch verändern wird. Insgesamt denke ich, dass es ein Indiz für ein zunehmendes Bewusstsein für sich und seine Bedürfnisse ist, wenn einem nicht alles gefällt, was als „normal“ oder Standard angesehen wird. Insofern finde ich es gut, dass ich jetzt ohne große Probleme im Sommer leichte Hosen trage, auch wenn ich von vielen Seiten schiefe Blicke dafür bekomme. Und hey, wenigstens werde ich erstmal nicht erfrieren, sobald wir aufgrund des Klimawandels den ersten Sekunden-Temperatursturz erleben werden ;-).