(Versteckte) Machtrollen in Beziehungen

In vielen meiner Beziehungen war ich in einer Machtposition, die mir häufig nicht bewusst war. Mit diesem Artikel möchte ich darüber reflektieren, was ich über diese Macht herausgefunden habe. Ich hoffe, ihr seht es mir nach, dass ich diesen Artikel durch fehlende Beispiele schlank halte.

Macht und Gewalt

Unter Macht verstehe ich die Möglichkeit(en), andere Personen in ihren Handlungen und Denkweisen beeinflussen zu können. Sobald mein Einfluss in einem Menschen Widerstand erzeugt und er nur unter Zwang meinen Aufforderungen nachkommen würde, spreche ich nicht mehr von Macht, sondern von Gewalt*. Dieser Unterschied ist mir besonders wichtig, da durch das freiwillige Befolgen meiner Aufforderungen die mir zukommende Macht legitimiert wird. Für das Festigen von Machtrollen in Beziehungen ist meiner Meinung nach deswegen sowohl die Macht ausübende Person als auch die folgsame Person verantwortlich.

Das Bestehen von Macht ist also nichts Schlimmes. Auch im Beziehungsleben kann die Verteilung von Machtrollen durchaus vorteilhaft sein, z.B. können Folgsame sich entspannen, indem sie Entscheidungen an eine andere Person abgeben. Und Mächtige können selbstbestimmter Entscheidungen fällen. Mir persönlich hat es z.B. schon immer gefallen, anderen durch ein Mentor/Schüler-Machtverhältnis etwas Neues beizubringen oder selbst von anderen zu lernen.

Arten von Machtollen

Folgende Formen von Machtrollen sind mir aufgefallen:

  1. Durch ein Raum einnehmendes Auftreten gewinne ich die Aufmerksamkeit für mich. Durch diese Form der Anerkennung wird meinen Worten eher Glauben geschenkt als denen von jemandem, der nicht so wirkt, als wäre er sich seiner Überzeugungen sicher. Dadurch ist es wahrscheinlicher, dass sich andere meine Gedanken aneignen. Zum einen habe ich dieses Auftreten entwickelt, da mir in meiner männlichen Sozialisation beigebracht wurde, stark wirken zu müssen (siehe auch Warum Männer mehr kuscheln sollten). Zum anderen hatte ich schon häufig Moderatorenrollen inne und diese erlaubten es mir, im Interesse aller das Wort an mich zu reißen.
  2. Wissen ist Macht. In Beziehungen ist Wissen bzw. meine Art von Intelligenz, Zusammenhänge schnell erfassen zu können, für mich häufig eine Möglichkeit, andere zu beeindrucken oder tiefe philosophische Gespräche zu führen. Auch dies führt zu einer Bewunderung, durch die ich mit meinen Worten andere beeinflussen kann.
  3. Mein großer Erfahrungsschatz führt dazu, dass ich viele Geschichten erzählen kann. Es wird mir dann zugetraut, nicht nur von Sachen gelesen zu haben, sondern auch Übung darin zu haben. Personen mit weniger oder gar keinen Erfahrungen können dadurch neugierig werden, diese Erfahrungen auch (mit mir?) zu machen, oder sie sind von meinen Erlebnissen zum Nachahmen inspiriert. Manchmal wird mir anhand einer einzelnen Geschichte allerdings mehr Erfahrung zugetraut als ich tatsächlich habe.
  4. Leider kann Macht auch durch kommunikative Einschüchterung entstehen. Ein großer Unterschied in einer Fähigkeit kann z.B. dazu führen, dass die weniger fähige Person sich nicht mehr traut, etwas gegen die andere Person zu sagen. Wenn ich mich sehr gut in einem wichtigen Thema ausdrücke (z.B. über gewaltfreie Kommunikation sehr gut meine Gefühle und Bedürfnisse beschreiben kann), wussten meine Gesprächspartner manchmal nicht mehr was sie sagen bzw. wie sie einen anderen Standpunkt überhaupt auf diesem Niveau formulieren sollten.
  5. Eine andere Form der Einschüchterung kann durch Initiative erfolgen. Menschen, die mir beim Start einer Aktion nicht sofort Einhalt gebieten, sind quasi gezwungen, mir zu folgen bzw. die Aktion zuzulassen. Auch hier sich nicht zu trauen, etwas gegen mich zu sagen, ist Einschüchterung. Für Macht durch Initiative sind insbesondere männliche Rollenbilder und starke Persönlichkeiten aus Medienkonsum für mich Vorbilder gewesen.

Macht birgt Verantwortung

Ich hatte eingangs erwähnt, sowohl als mächtiger Mensch als auch als folgsamer Mensch wären alle gleich verantwortlich. Sobald sich aber jemand eingeschüchtert fühlt, trägt die mächtigere Person mehr Verantwortung, da man nun nicht mehr von fairen, „gleichen“ Ausgangsbedingungen ausgehen kann. Wenn mir auffällt, dass ich Menschen einschüchtere, frage ich häufig nach ihrem Befinden oder versuche, sie durch die richtigen Fragestellungen aus dem Schweigen heraus zu holen. Allerdings gibt es auch viele Menschen, die z.B. auf Grund eines starken Harmoniebedürfnisses, Konflikten aus dem Weg gehen und nur deswegen schweigend die Machtrolle billigen. In diesem Falle wiederum sehe ich die Verantwortung nicht nur bei der mächtigeren Person, sondern auch bei dem schweigenden Menschen, den Konflikt zu klären.

Leider ist es schwierig, Verantwortung für einen Prozess zu übernehmen, wenn dieser größtenteils unterbewusst stattfindet. Umso wichtiger ist es, die Machtrollen in einer Beziehung zusammen zu reflektieren. Insbesondere, wenn durch die Machtrollen die Bedürfnisse einer Person nicht berücksichtigt werden, sollte man die Machtrollen in Frage stellen bzw. neu aushandeln. Deswegen: Redet über Macht-Dynamik und übernehmt Verantwortung.

* Gewalt sehe ich aus dem hier erwähnten Aspekts des Zwangs sehr negativ. Allerdings gibt es z.B. in BDSM-Kreisen die Praktik, speziell einen Konsens auszuhandeln, der Zwang (für einen Lustgewinn) explizit vorsieht. Durch diesen Konsens verliert in diesem Ausnahmefall die Gewalt meine negative Bewertung.