Welche Beziehungsform passt zu mir? Teil 1, Liebe

Foto von verschiedenen Nägeln

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Letztens war ich in ein Gespräch über deviante Beziehungsformen vertieft. Eine Mithörerin war erfreut, endlich jemanden zu treffen, der sich anscheinend schon viel mit dem Thema beschäftigte, und wollte die Chance nutzen, um zu verstehen, was genau der Unterschied zu einer normativen Beziehung sei: „Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Polyamorie und Polygamie?“, lautete ihre Frage. Die einfache Antwort wäre gewesen, dass Polygamie eine Form von Polyamorie ist. Aber eigentlich wollte sie wissen, wie genau diese mysteriösen polyamoren Menschen ihre Beziehungen definieren. Deswegen zeigte ich ihr eins meiner Lieblingsbilder, das ihr auf Franklin Veaux’s Journal findet. -Nachtrag: Eine deutsche Version von dem Bild findet man hier: Cloudys Übersetzung

Schnell war klar, warum sie bisher von Menschen so unterschiedliche Antworten bekommen hat. Denn alle Menschen verstehen unter „ihrer Form“ der nicht-monogamen Lebensweise etwas anderes. Und auch wenn ich kein Fan von Schubladen bin, die Grenzen zwischen Schubladen fließend sind und sowieso die Beziehung zu jedem Menschen in ihren Details einzigartig sein kann, so wäre gerade für Einsteiger ein Überblick über die Beziehungsformen praktisch. Vielleicht ist etwas dabei, das man selber gerne leben möchte.

In diesem und dem kommenden Artikel möchte ich einen Versuch wagen, einen groben Überblick über Beziehungsarten zu geben und darzutellen, warum ich glaube, dass sich Menschen für jeweils bestimmte Beziehungsarten entscheiden. Im ersten Teil gebe ich einen Überblick über Beziehungen, die insbesondere ideelle Gefühle in den Vordergrund stellen (Mono- oder Polyamorie) und im zweiten Teil über solche, die körperliche Gefühle in den Vordergrund stellen (nicht Mono- oder Polyamorie).

Monogamie
Das Wort stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet die Ehe (-gamie) mit nur einer einzigen Person (Mono-). Die Ehe zu der Zeit der Griechen kann (insbesondere was den Geschlechtsverkehr mit anderen Menschen angeht) nicht mit den Vorstellungen einer Ehe in der heutigen westlichen Kultur verstanden werden. Einig sind sich die Menschen in allen (mir bekannten) Kulturen, dass es sich bei der Ehe um ein Versprechen zwischen zwei Menschen handelt, möglichst lange ein gemeinsames Leben zu führen. Was genau dieses Leben dann alles beinhalten soll, ist sehr unterschiedlich, aber was die Personen für das gemeinsame Leben aushandeln, darf nicht mit anderen Personen geteilt werden. Das gemeinsame Leben wird – meistens mündlich und teilweise nur in den Signalen des anderen gedeutet – als Beziehungsvertrag festgelegt. In der durch die Romantik geprägte westlichen Kultur wird das Versprechen für die Einhaltung dieses Beziehungsvertrags nicht zwingend in einem schriftlichen Vertrag festgehalten, sondern durch die uneingeschränkte gegenseitige Zuneigung und Wertschätzung (Liebe) gesichert. Deswegen ist diese Beziehungsform am besten für Menschen geeignet, die in der Lage sind, über einen sehr langen Zeitraum hinweg Liebe für einen Menschen zu empfinden, und die als Bestätigung, dass der andere Mensch sie genauso stark liebt, die Exklusivität der Monogamie benötigen.

Offene Ehe/Beziehung
Eine besonders verbreitete Form der Monogamie ist die offene Ehe bzw. Beziehung. Bei dieser Form haben sich die Personen darauf geeinigt, ein gemeinsames Leben zu führen, aber körperliche Gefühle mit anderen Personen gegenseitig (oder einseitig) zu dulden, zu erlauben oder zu verschweigen. Die Personen, die sich für diese Beziehungsform entscheiden, genießen die Zuneigung und Wertschätzung einer auserwählten Person (significant other) und können dennoch mit anderen Personen schlafen, wenn zum Beispiel die auserwählte Person bestimmte sexuelle Wünsche oder Bedürfnisse nicht erfüllen kann. In den Fällen, in denen sich zwei Personen auf diese Beziehungsform einigen, haben die Personen ein gegenseitiges ​Veto-Recht, um sich die Erfüllung der sonstigen Beziehungsvertragsbestandteile zu sichern. Es ist also für diese Beziehungsform notwendig, im schlimmsten Fall auch mal auf Sex verzichten zu müssen, wenn der Beziehungspartner einen Bruch des Beziehungsvertrags befürchtet oder unabhängig von dem Treffen mit der anderen Person das Bedürfnis nach einem bestimmten, im Beziehungsvertrag festgelegten, Anspruch verspürt. Nicht empfehlenswert ist es, diese Beziehungsform zu wählen, ohne diese Wahl mit der auserwählten Person auszuverhandeln. Der Sex mit einer anderen Person würde dann nämlich als Vertragsbruch ausgelegt werden und wird – falls die Beziehung, egal in welcher Form, weitergeführt werden sollte – das Verhältnis nachhaltig belasten, da der Vertragsbruch auch gleichzeitig als Vertrauensbruch gilt.

Triade
Die wahrscheinlich schwierigste Form der offenen Beziehung stellt die Triade dar. Sie entsteht meistens, während ein Mensch (Center) eine offene Beziehung mit jemanden (older wing) hat und eine weitere offene Beziehung mit jemand Neuem (younger wing) anfängt. Da der center somit de facto eine polygame (siehe Polygamie) Beziehung hat und die wings eine offene Beziehung mit ihm führen, müssen auf der einen Seite die wings die Fähigkeit besitzen, untereinander Ansprüche auf den center aushandeln zu können, selbst wenn sie sich nicht (mehr) leiden können, und auf der anderen Seite muss der center die Energie haben, zwei Menschen die für den Beziehungsvertrag nötige Aufmerksamkeit geben zu können.

​Polygamie
Ungewöhnlich bei der Ehe mit mehreren (Poly-) Personen ist es, dass der Beziehungsvertrag wie bei der Monogamie der westlichen Kultur allein durch die Zuneigung und Wertschätzung der Personen zueinander gesichert wird, da es dem ungewöhnlichen Umstand bedürfte, dass alle Beteiligten diese Gefühle für jeden (Metamour) empfinden. Stattdessen ist es üblich, dass in den Beziehungsveträgen der Unterhalt und die Aufgabe einer gemeinsamen Familie geregelt wird. Eine besonders häufige Form der Polygamie ist die Polygynie, die die Beziehung eines Mannes zu mehreren Frauen bezeichnet. Nach islamischem Recht darf zum Beispiel ein Mann mehrere Frauen heiraten unter der Voraussetzung, dass er sie (und ihre Kinder) ernähren kann. Das Pendant dazu ist die Polyandrie, die die Beziehung einer Frau zu mehreren Männern beschreibt. In Tibet zum Beispiel heiraten in manchen Regionen alle Brüder dieselbe Frau, damit das Eigentum zwischen den Männern nicht aufgeteilt werden muss, da eine Frau dort kein Anspruch auf das Erbe hat.

Freie Liebe
Da sich in der westlichen Kultur inzwischen oft wenig Gedanken über die Verteilung des Erbes gemacht wird, hat sich insbesondere in der Zeit der sexuellen Befreiung eine Form der Polyamorie verbreitet, die die Zuneigung und Wertschätzung zur Verantwortlichkeit eines jeden selbst macht. Liebe wird also als etwas wahrgenommen, das zwar durch andere hervorgerufen wird, aber nur in einem selbst tatsächlich vorhanden ist. Man ist sich bewusst, dass diese Gefühle wieder vergehen können, aber auch wieder kommen können. Eine Freundin dieser Liebesform erzählte mir, dass sie sich wie eine Sonne fühlt und um sie herum kreisen verschiedene Planeten (Partner) in unterschiedlichen Distanzen – ab und zu schießt ein Komet durch ihr Universum. Jede Form eines Beziehungsvertrags würde jedoch dazu führen, dass die freie Entwicklung dieser Liebe manipuliert wird. Deswegen ist es – im Idealfall – tabu, sich auf irgendwelche Regeln zu einigen oder zu vermuten, dass irgendwelche Regeln nonverbal kommuniziert wurden. Es ist die richtige Form der Beziehung für Menschen, die sich nicht festlegen können und das Leben erst dann genießen, wenn sie sich vollkommen frei fühlen. Ungeeignet ist diese Beziehungsform für Menschen mit Kinderwunsch, da für die Erziehung der Kinder Verpflichtungen notwendig sind, die in Gesellschaften, die freie Liebe ausüben, als Belastung betrachtet werden.

Beziehungsanarchie
Werden Beziehungen ähnlich wie bei der freien Liebe gelebt, aber mit dem Unterschied, dass man Regeln mit jedem Menschen vereinbaren kann, spricht man von Beziehungsanarchie. Die Menschen, die so leben, gehen also mit beliebig vielen Menschen Beziehungsverträge ein, die aber nicht aus typischen gesellschaftlichen Normen hervorgehen, sondern sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Vertragspartner orientieren. Dieses Modell eignet sich für Menschen, die gerne direkt mit ihren Partnern die Beziehung regeln wollen, aber sich nicht durch die Regeln von einem Metamour direkt einschränken lassen wollen.

Polyfidelity
Eine besondere Mischform aus freier Liebe und Polygamie ist die Treue (engl. Fidelity) zu mehreren Personen. In der Polyfidelity wird Zuneigung und Wertschätzung innerhalb einer geschlossenen Gruppe empfunden. Dabei haben die Menschen selten den Anspruch, dass jeder jeden auf dieselbe Art lieben muss, aber haben immer den Anspruch, dass man mit allen Menschen in der Gruppe auf einer Ebene kommunizieren kann. Neue Menschen können in diese Gruppe aufgenommen werden oder Menschen können aus dieser Gruppe wieder austreten. In beiden Fällen sind viele Gespräche notwendig, da im Gegensatz zur freien Liebe jede polyfidele Gruppe ihre eigenen Regeln hat und diese durch solche Fluktuationen neu diskutiert werden müssen. Man geht einen groben Beziehungsvertrag mit der ganzen Gruppe ein – zum Beispiel könnte man vereinbaren, nur innerhalb der Gruppe Sex zu haben – und hat zu den meisten Personen innerhalb dieser Gruppe weitere feinere – oft nicht kommunizierte – Beziehungsverträge. Diese Beziehungsform bietet sich für Menschen an, die ihre Beziehungen genauso wie in der freien Liebe an ihren Wünschen und Bedürfnissen gestalten wollen, aber dennoch das Bedürfnis haben, mit allen Beteiligten im entsprechenden Polyamorie-Netzwerk Regeln vereinbaren zu können. Um diese Balance zwischen freier Entwicklung der Liebe und Vereinbarung von Verbindlichkeiten halten zu können, ist der Anspruch an Kommunikation und soziale Kompetenzen besonders hoch.

Freut euch auf Teil 2, in dem ich über folgende Beziehungsformen schreibe:
Wechselbeziehungen, ​Swingen, Casual Sex und Prostitution