Gefühle authentisch preisgeben
Auf meiner letzten Geburtstagsparty wurde ich überrascht, als mir eine nähere Bekannte erzählte, sie hätte alle meine Artikel auf diesem Blog gelesen. Etwas später am Abend haben wir Arm in Arm gelegen und ich meinte zu ihr, ich würde gerne öfter mit ihr kuscheln. Daraufhin sie: „Ich dachte, du kuschelst nur mit Menschen, mit denen du schon mal Sex hattest?“. Hmm ja, ich hatte tatsächlich hier geschrieben, dass ich beim Kuscheln entspannter sein kann, wenn ich mit einer attraktiven Frau schon einmal Sex hatte. Aber diesen Artikel hatte ich vor fast drei Jahren geschrieben. Inzwischen hat sich mein Flirtverhalten geändert. Ich kann Kuscheln mittlerweile viel mehr abgewinnen, siehe auch „Warum Männer mehr kuscheln sollten“, aber insbesondere wird mir immer bewusster, warum ich so aufgeregt bei einer attraktiven neuen Bekanntschaft bin.
Das überwiegende Gefühl dabei ist Unsicherheit bis Ohnmacht. Z.B. ist es gar nicht lange her, da war ich total aufgeregt, als ich einer neuen Bekanntschaft gestand: „Ich würde dich gerne näher kennenlernen und mit dir ausgehen, aber bin total aufgeregt und weiß nicht, was ich machen soll.“ Da sagte sie zu mir: „Weißt du, was da hilft? Eine Umarmung!“ Und tatsächlich, durch die offene Aussprache meiner Gefühle war das Nähe herstellen durch Kuscheln für mich entspannend statt stressend. Seitdem schlage ich bei emotionalen Themen bzw. beim offenen Aussprechen von Gefühlen öfter mal vor zu kuscheln.
Wunsch nach Kontrolle
Überhaupt habe ich mich in den letzten fünf Jahren viel verändert. Wenn ich da in meine ersten beiden Artikel „Der Unterschied zwischen monogam leben und monogam sein“ und „Ein Loblied auf die Zweckbeziehungen“ reinschaue, kommt mir die rationale Art und Weise irgendwie befremdlich vor. Ich habe versucht, Erklärungen zu finden und daraus Schlüsse für ein generelles Verhalten für mich zu ziehen. Wahrscheinlich versprach ich mir daraus eine Sicherheit oder Kontrolle.
Immerhin wusste ich schon damals in meinem ersten Artikel: „[…] damit ich mir sicher sein kann, mit welcher Person ich es zu tun habe, muss ich das Gefühl haben, dass sie mir ungehemmt alles sagen kann, was ihr bewusst ist. Durch solche Worte kann man natürlich den Partner auch verletzen. Ich arbeite aber lieber eine Lösung mit meinem Partner heraus, als eine Lüge leben zu müssen.“ Inzwischen habe ich Erfahrung mit Persönlichkeitsbildung nach Scott Peck gemacht und dadurch gelernt, meine Gefühle wesentlich mutiger (und ehrlich mit mir selbst) anderen zu kommunizieren, als ich es damals gekonnt hätte.
Alles immer neu
Da ich erst jetzt weiß, was das bedeutet, wenn man seine Gefühle anderen mitteilt und mit diesen nicht gewertet wird, ist mir auch klar geworden, dass Konsens in einer zwischenmenschlichen Beziehung keinen – von mir erhofften – Regeln gehorchen kann. Er muss vielmehr stets neu gebildet werden. Natürlich bin ich nicht frei von Wünschen und Hoffnungen, nach denen ich mich des Öfteren sehne. Diese muss ich zwar kommunizieren, aber damit geht – wie im Artikel „Gedanken zu Verbindlichkeiten“ erklärt – kein Anspruch an die andere Person einher. Vielleicht bin ich der Beziehungsanarchie also gar nicht mehr so fern wie früher, wenn ich mir inzwischen durch die Kommunikation nicht irgendwelche festgeschriebenen Beziehungs-Regeln erhoffe. Stattdessen erwarte ich, dass jeder nach seinem eigenen Gewissen handelt und die Verantwortung für seine Grenzen übernimmt. Der Austausch über die Sehnsüchte soll also nur das Verständnis über die gegenseitigen Gefühle vermitteln. Wie soll ich denn da eine universelle Regel finden, ob ich mit jemandem sofort entspannt kuscheln kann oder erst nach dem Sex entspannt sein kann?