Warum ich mehr große Menschen fesseln möchte

Jemand wesentlich Größeren und Schwereren zu als ich zu fesseln, ist das Beste, was meinem Rigger-Ich dieses Jahr passiert ist. Denn überraschenderweise fessel ich – 160 cm, 60 kg, unsportlich – selten 195 cm große, 90 kg schwere, muskelbepackte Kampfsportler. Damit stecke ich mich in die gleiche komfortable Schublade wie viele andere Menschen, die mich auf Events wie selbstverständlich fragen, ob ich drauf warte, von ihnen gefesselt zu werden, oder ob mein Rigger mich schickt um Hängepunkte auszukundschaften. Immer wieder habe ich den Eindruck, unterschätzt zu werden. Aber am vergangenen Wochenende kam dann dieser große Mensch auf mich zu und fragte mich, ob ich ihm nicht zeigen könne, wie sich dieses Fesseln anfühlt. Ich war so geschmeichelt von seinem Interesse und seinem Vertrauen in mich, da kamen mir die mit großen Körpern verbundenen Unsicherheiten meinerseits erst gar nicht in den Sinn.

Erst nachdem ich zugesagt hatte, fragte ich mich plötzlich, ob ich mich nicht selbst überschätze. Denn wie fessel ich bitte einen so viel größeren Körper? Kann ich überhaupt einmal um ihn drum greifen, oder muss ich das Seil werfen? Werde ich um ihn herumtanzen müssen wie bei einer okkulten Lagerfeuerzeremonie, um die Seilspannung halten zu können? Kann ich sein Gewicht stemmen, wenn er sich anlehnt? Oder wird er wie ein Baumstamm auf mich fallen und platt machen? Kann ich ihn dahin bewegen, wo ich ihn hin haben möchte, ohne ihm weh zu tun? Kann ich mich überhaupt gleichzeitig auf seinen Körper und mein Fesseln konzentrieren? Fuuuuck, wo ist mein Selbstbewusstsein hin? Bin ich wohl gut genug im Fesseln?

Zumindest auf letztere Frage fand ich schnell eine Antwort: Ich bin wohl gut genug im Fesseln, um all meine Schwächen und Lücken zu kennen. Eine wichtige Erkenntnis, fürs Selbstbewusstsein aber eher so semi. Habe danach auch nur noch eine halbe Stunde rumgedruckst und dann beschlossen selbst zu schauen, was ich kann. Eine Art selbst-exploratives Experiment hat schließlich noch niemandem geschadet, oder?

Ich begann die Fesssel-Session mit einem Single Column Tie, in dem ich seine Arme leicht umeinander drehte. Durch diese einfachen Handbewegungen konnte ich seine Arm- und Oberkörperhaltung bereits manipulieren und bestimmen in welche Richtung er sich drehte. Meine Seile formten eine simple Armflöte mit gerade genügend Druck auf den Seilen, dass mein Gegenüber sichtbar tief einatmete. Nach wenigen Seilwindungen spürte ich, wie stark ich seinen Körper bereits unter Kontrolle hatte. Mein Spieltrieb übernahm und kippte ihn aus seinem gemütlichen Sitz Richtung Boden. Sein überraschtes Gesicht verriet mir, seine Gefühle gehörten nun auch mir. Manchmal vergesse ich, dass Fesseln nicht nur ein Service oder ein Skill ist, sondern ein Machtspiel. Es geht nicht nur darum anderen ein Gefühl zu vermitteln, sondern vor allem auch sich selbst drauf einzulassen. Ich habe in den Momenten mit diesem großen Menschen körperlich gefühlt wie viel Ruhe, Selbstbewusstsein und Macht mir Seile geben. Wenn ich fessle, kann ich entscheiden, ob ich eine gemütliche, kuschlige Position wähle, eine herausfordernde, eine entblößende, oder eine demütigende. Ich kann locker oder fest fesseln, schnell oder langsam, sanft oder schmerzhaft, distanziert oder nah. Ich kann entscheiden wie weit ich auf mein Partny eingehe, oder einen anderen Weg wählen. Ich hatte mich wohl selbst zu sehr an meine Schublade gewöhnt, dabei wusste ich längst, sie passt mir nicht.

Am Ende konnte ich seinen großen Körper mehr als neuen Spielraum als als Hindernis sehen. Klar, Größe und Umfang seines Körper waren eine Herausforderung. Ich habe langsamer gefesselt, musste mich stärker darauf konzentrieren, wo ich seinen Körper hin navigieren will, und modifizieren, wie ich bestimmte Fesslungen anhand von Flexibilität, Größe und Schmerzempfinden anlege. Ich konnte auf keinen großen Erfahrungsschatz oder auf Workshopwissen zurückgreifen, sondern musste alles selbst austesten. Doch im Grunde war es genau das Gleiche wie mit anderen neuen Partny zu fesseln: Ein Rantasten wie genau dieser Körper und dieser Menschen mit mir und dem Seil interagiert. Sehr entspannt, stellte sich raus. So entspannt, dass ich ihn zwischenzeitlich komplett halten musste. Habe dann auch festgestellt: Große Körper halten und währenddessen Fesseln funktioniert, ist aber anstrengend. Nur ist es halt die Art von Anstrengung, die einen herausfordert und wachsen lässt.

Ich kann meine Unsicherheiten immer noch verstehen, denn in meiner gesamten Fesselzeit habe ich nicht gelernt, mit diversen, sondern mit schlanken Körpern umzugehen. Ich sehe kaum große, dicke, weniger flexible, oder überhaupt mal nicht-feminine Models. Wenn ich nun darüber nachdenke, wie wenig divers auch meine Fesselpartny waren, ist es mir unangenehm. Ich möchte nicht in die Kategorie „Süßes, kleines Bunny“ geschoben werden, trotzdem bewerte ich andere danach. Dabei kann ich von anderen Körpern so viel lernen. Gut, dass das Jahr noch jede Menge Zeit für neue Ideen und neue Fessel-Partny übrig hat 🙂