Eine Liebeserklärung an meine Beziehung

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Ich habe lange gebraucht herauszufinden, was mir in Beziehungen wichtig ist. Und ich habe schon viele Beziehungen geführt, lange wie kurze, unbeschwerte wie intensive, nahe wie ferne. Natürlich habe ich inzwischen eine lange Liste von Green Flags und tollen Merkmalen in meinem Kopf: Ehrlichkeit, Leidenschaft, Zuverlässigkeit, Hingabe, Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation. Die Liste ist lang, aber einen Punkt sehe ich inzwischen als essentiell:

Geteilte Ideale.

Klingt simpel. Ist‘s aber nicht.

Alle Gemeinsamkeiten und alle Kommunikation kann nicht darüber hinwegtäuschen, wenn man unterschiedliche Ideale und Wertesysteme hat. Denn Kommunikation brauchen wir um ein gemeinsames Verständnis von der Welt zu schaffen. Dieses gemeinsame Verständnis ist schwieriger zu erreichen, wenn man von unterschiedlichen Punkten auf die Welt schaut. Dennoch ist es möglich eine gemeinsame Perspektive zu schaffen. Was ich damit sagen will: Uns unterscheidet als Menschen woher wir kommen, welche Geschlechteridentität wir haben, welche Hautfarbe, welches Umfeld, welche Bildung… doch unter den richtigen Voraussetzungen lässt sich über all diese verschiedenen Erfahrungswelten reden, auch wenn das mitunter ein schwieriger und langwieriger Prozess ist. Wir können Verständnis und Nähe trotz aller Differenzen schaffen. Und dann stehen wir nebeneinander in unserer Welt, haben Perspektiven miteinander geteilt, etwas gelernt und den selben Blickwinkel gefunden. Das wurde so oder eben etwas anders schon in vielen Liebesromanen erzählt, unterschiedliche Ausgangspunkte haben eben Potenzial für eine spannende Geschichte mit Missverständnissen, Weiterentwicklung, Drama, aber eben auch Happy End.

Unmöglich wird diese Entwicklung jedoch, wenn Menschen völlig unterschiedliche Wertesysteme haben. Wenn man also vielleicht vom gleichen Standpunkt aus, aber in entgegengesetzte Richtungen schaut. Dann können wir noch so lang darüber reden, unsere Ideale liegen in ganz verschiedenen Welten und deswegen werden wir am Ende nie in der selben landen. Das klingt vielleicht jetzt sehr offensichtlich, wir können uns schließlich auch nicht vorstellen wie Demokraten und Trump-Anhänger Hand in Hand Richtung Sonnenuntergang gehen. In einer Beziehung will man sich schließlich gegenseitig unterstützen und nicht in der Luft zerreißen. Logisch. Dieses Prinzip gilt aber auch bei den kleinen Dingen, zum Beispiel Zeiteinteilung: Ich habe mich mit einem Ex-Partny immer wieder mal gestritten, weil ich Treffen verschoben habe für Freunde, bestimmte Hobbies, Uni. Es war ein Dauertstreithema, denn mir waren diese Dinge wichtig, ihm aber eben nicht. In meiner darauffolgenden Beziehung kam es deswegen kein einziges Mal zum Streit, weil mein Partny verstanden hat warum mir diese Dinge wichtig waren und meine Prioritäten teilweise so stark geteilt hat, dass er mich einfach zu entsprechenden Terminen begleitet hat.

Ideale miteinander zu teilen, bedeutet irgendwann zu den selben, oder ähnlichen Entscheidungen zu kommen, für sich persönlich, in der Beziehung und im großen Ganzen. Das heißt nicht, dass man alles im Leben gleich oder zusammen macht – jeder hat immer noch sein eigenes Leben, seine eigenen Prozesse und seinen eigenen Weg. Aber wenn man in die gleiche Richtung läuft, ist man eben oft nah beieinander, oder kann sogar zusammen gehen. Ein gutes Beispiel in meiner Beziehung ist, dass wir beide für Nachhaltigkeit sind. Trotzdem leben wir dieses Ideal sehr verschieden. Während mein Freund schon lang vegan lebt, habe ich mich erst vor Kurzem für Veganismus entschieden. Er würde mir nie sagen, ich müsse vegan leben. Es war mein eigener Prozess, ich habe es nicht für ihn getan. Sondern weil ich gefühlt habe, dass es für mich nun gerade der Zeitpunkt ist, um diesen Schritt zu gehen.

Aber das klingt noch immer zu simpel!

Natürlich hat die Theorie auch einige Schwachstellen: In meinen vergangenen Beziehungen hatte ich zum Beispiel öfter Mal den Eindruck wir würden ähnliche Ideale und Wertesysteme teilen, sonst wäre ich die Beziehung wohl nicht eingegangen. Aber wenn man eng mit einem Menschen zusammenlebt stellt sich schneller als man will heraus, wenn kommunizierte Ideale nicht mit gelebten Praxis übereinstimmen. Integrität hat eben nicht jeder. Und es ist ein Prozess für sich da hin zu kommen. Die eigenen Ideale entwickeln und festigen sich zwar, aber sie stehen auch immer wieder im Konflikt mit den eigenen Handlungen, äußeren Umständen und anderen Menschen. Vielleicht kennt ihr das selbst von euch, wenn ihr eine gewisse Dissonanz fühlt. Dieses Unwohlsein, wenn man etwas getan hat, was nicht dem eigenen Wertesystem entspricht. Diese Reibung bringt uns dazu entweder unser Wertesystem anzupassen, oder unsere Handlungen zu hinterfragen. Ideale sind also dennoch nicht in Stein gemeißelt. Trotzdem fühlen sie sich für mich an wie Anker und Kompass zugleich.

Auch laut meiner Oma, die ich sehr lieb habe, sind geteilte Ideale als Grundpfeiler übrigens eine total schwachsinnige Theorie, denn:

Manchmal muss man sich in einer Beziehung eben arrangieren!

Joa, das denke ich auch, wenn es gerade ein Problem gibt, muss ich  damit umgehen und vielleicht mal für eine Zeit arrangieren, danke Omi. Aber nicht die selben Ideale zu teilen, das ist nicht mal zwischendurch ein kleines Problem, was sich irgendwann löst, sondern etwas dauerhaftes und damit möchte ich mich nicht arrangieren. Ich möchte mein Leben und meine Bubble gestalten… das kann ich nicht mit Menschen an meiner Seite, die nur ein Kompromiss für mich sind.

Was denkt ihr?